Butler Parker 139 – Kriminalroman. Günter Dönges
Parker: hier lag einwandfrei Betrug vor«, entrüstete sich Agatha Simpson eine Viertelstunde später und blickte verächtlich auf eine große Fliegenklatsche aus Plastik, »und mit solch einer Alberei lasse ich mich dann auch noch abspeisen.«
Die Lady verharrte vor dem Imbißstand und wartete darauf, daß man ihr ein heißes Rostwürstchen servierte.
»Mylady ließen Ihren Unmut erkennen«, sagte Parker und blickte hinüber zur Losbude, die nicht mehr so aufgeräumt aussah wie vor dem Besuch durch Lady Agatha. Einige Regale mit Preisen waren zusammengestürzt und hatten sich in heilloses Durcheinander verwandelt. Drei Mitarbeiter des Tombola-Unternehmens hatten alle Hände voll zu tun, um Ordnung zu schaffen. Dabei blickten die Männer scheu zu Agatha Simpson hinüber, die für ihren Geschmack noch zu sehr in der Nähe stand. Wahrscheinlich fürchtete man eine Rückkehr des Tornados, den die ältere Dame verursacht hatte.
Man hatte ihr inzwischen das Rostbratwürstchen gereicht, und Agatha Simpson schnupperte wohlig an der Köstlichkeit. Sie biß herzhaft zu und schaffte es mühelos, einen neben ihr aufgetauchten Besucher des Rummelplatzes mit heißem Fett zu bespritzen.
Der Mann zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und blickte Agatha Simpson grimmig an.
»Wollen Sie was von mir, junger Mann?« fragte die ältere Dame.
»Sie können sich wenigstens entschuldigen«, fauchte der Dreißigjährige, der den Schaden hatte.
»Ich soll mich für Ihre Aufdringlichkeit entschuldigen?« Agatha Simpson kniff die Augen zusammen. »Wie kommen Sie überhaupt dazu, mir so dicht auf den Leib zu rücken?«
Parker musterte den Mann und hatte den Eindruck, ihn schon mal gesehen zu haben. Von der Statur her glich er dem Mann, der das Messer hatte schleudern wollen. Parker schaltete auf höchste Wachsamkeit und beobachtete den Mann, der immer noch fassungslos war. Er hatte wohl tatsächlich eine Entschuldigung erwartet, wurde aber von Lady Simpson herb angegriffen.
Die ältere Dame biß zum zweiten Mal in das heiße Würstchen und hatte erneut keine Schwierigkeit, einen feinen Fettstrahl auf das Hemd des Mannes zu lenken. Der Getroffene sprang zurück und funkelte die Lady jetzt gereizt an.
»Sie werden lästig«, stellte Agatha Simpson fest.
»Das ist die Höhe«, giftete der Mann, »wenn Sie keine Frau wären, verdammt, ich würd’ Ihnen eine scheuern.«
»Würden Sie mir dies bitte übersetzen?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler.
»Der Herr deutete gerade diskret an, Sie möglicherweise ohrfeigen zu wollen, falls Sie ein Mann wären«, antwortete Parker.
»Das ist eine handfeste Beleidigung«, übersetzte Agatha Simpson ihrerseits und benutzte die Fliegenklatsche als Waffe. Sie holte blitschnell aus und versetzte dem völlig überraschten Mann eine Art Doppelohrfeige. Da Lady Agatha Golf und Bogenschießen huldigte, fielen die beiden Schläge recht wirkungsvoll aus. Der Mann wurde nachdrücklich durchgeschüttelt und rutschte förmlich in sich zusammen. Dann fiel er gegen die Kante des behelfsmäßigen Tresens und stützte sich mit dem rechten Ellbogen auf. Dabei kippte ein großes Servierbrett aus Blech hoch und katapultierte vorbereitete, aber noch nicht gebratene Würste in die Luft.
Der Betreiber des Imbißstandes war damit überhaupt nicht einverstanden und hielt sich direkt an den unmittelbaren Verursacher des Schadens. Er goß dem Mann eine Schüssel Spülwasser ins Gesicht und schlug mit einem langen Holzlöffel nach ihm. Der Gemaßregelte fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, wobei sich sein Jackett öffnete und hochschob.
Parker nahm zur Kenntnis, daß dieser Mann eine Schulterhalfter trug, in dem er eine Schußwaffe untergebracht hatte!
*
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbiete?« fragte Josuah Parker. Ohne diese Erlaubnis abzuwarten, bemühte er sich ein wenig oberflächlich um den Mann, der gerade damit beschäftigt war, sich das Spülwasser aus dem Gesicht zu wischen. Dabei verirrte sich Parkers linke, schwarz behandschuhte Hand. Mit unglaublicher Geschicklichkeit verschwand sie unter dem Jackett des Mannes und ließ die Schußwaffe verschwinden. Kein Umstehender bekam dies mit, so geschmeidig und gekonnt agierte der Butler, der mit dieser kleinen Einlage einen professionellen Taschendieb tief beschämt hätte.
Der Entwaffnete, der jedoch nichts gemerkt hatte, sah inzwischen wieder klarer, was das Spülwasser betraf. Er starrte zuerst den Betreiber des Imißstandes an, dann Lady Simpson. Er kam zu dem an sich richtigen Schluß, daß die ältere Dame ihm dies alles eingebrockt hatte, und beging den Riesenfehler, sich weiter mit ihr zu befassen. Ja, er holte sogar aus seinem Jähzorn heraus zu einem Schlag aus...
Lady Agatha schien darauf nur gewartet zu haben.
Sie hatte ihre rechte Hand bereits in richtige Position gebracht und brauchte nur noch die Finger zu schließen, um die Grillzange heben zu können. Es handelte sich dabei um ein recht solide aussehendes Gebilde aus nichtrostendem Stahl, mit dem man die heißen Würste auf dem Rost wenden konnte. Diese Grillzange hatte sich am Rand des Holzkohlenbehälters mit Hitze aufgeladen und gab sie an das Handgelenk des Mannes weiter, der mit solch einer an sich einfachen Reaktion überhaupt nicht gerechnet hatte. Das Resultat war frappierend.
Der Mann jaulte entsetzt auf und starrte auf sein Handgelenk, das verständlicherweise schmerzte. Dann schüttelte er die flachen Enden der Zange ab, die sich um das Gelenk schlossen und konnte für einige Sekunden nichts mehr sehen, weil dicke Tränen ihm die Sicht versperrten.
»Lassen Sie sich das eine Warnung sein«, sagte Agatha Simpson streng, »es gehört sich einfach nicht, eine hilflose Frau schlagen zu wollen ...«
Der Mann wich einen Schritt zurück und wischte sich mit der vorerst noch gesunden Hand die Tränen aus den Augen. Dann besann er sich wohl auf die Waffe in seiner Schulterhalfter und wollte entsprechend reagieren. Bevor er jedoch ein wenig umständlich nach dem nicht mehr vorhandenen Revolver langen konnte, hörte Parker einen schrillen, warnenden Pfiff. Der Mann zuckte förmlich zusammen, wandte sich halb um und ... boxte sich durch die Umstehenden. Er kümmerte sich überhaupt nicht um den Protest der Jahrmarktsbesucher und war innerhalb weniger Sekunden verschwunden.
»Das war sein Glück«, kommentierte die ältere Dame diese Flucht, »ich wollte gerade ärgerlich werden, Mr. Parker.«
»Was mit letzter Sicherheit furchtbar für den Waffenträger geworden wäre, Mylady.«
»Waffenträger, Mr. Parker?«
»Meine Wenigkeit war so frei, dem Störenfried eine Schußwaffe abzunehmen, Mylady.«
»Das ist ja interessant«, gab die ältere Dame zurück, »man versucht also mit allen Mitteln, Mr. Parker, mich umzubringen. Zuerst dieser Lümmel von einem Messerwerfer, dann dieser Scharfschütze!«
»Es ist in der Tat mehr als nur erstaunlich, daß man Mylady hier auf dem Jahrmarkt erwartet«, entgegnete Butler Parker, während er Lady Simpson unmerklich vom Imbißstand wegdirigierte, »Myladys Entschluß, das Land einer glücklichen Kindheit aufzusuchen, kam schließlich spontan und wurde keineswegs vorangekündigt.«
»Das sage ich doch die ganze Zeit«, meinte sie nachdenklich, »aber Sie wollten mir natürlich wieder mal nicht glauben. Warum haben Sie dieses Subjekt nicht gestellt?«
»Die Dinge entwickelten sich mit einer unvorhergesehenen Schnelligkeit«, erwiderte Parker und war froh, daß er Lady Agatha aus dem Bereich der amüsierten und neugierigen Zuschauer herausgebracht hatte.
»Man muß eben allzeit bereit sein«, sagte sie streng, »ich habe das seinerzeit bei den Pfadfindern gelernt.«
»Eine Maxime, Mylady, die stets ihre Gültigkeit behalten wird«, meinte Josuah Parker, »sollte man daher nicht vielleicht den sogenannten Rummelplatz verlassen und die Gegner dazu bringen, Mylady zu folgen?«
»Das wollte ich gerade vorschlagen«, sagte sie wohlwollend, »ich werde die Lümmel in eine Falle locken. Lassen Sie sich etwas einfallen, Mr. Parker! Ich erwarte allerdings von Ihnen, daß diese Falle dann auch zuschnappt!«
Josuah