Die einsame Frau des Herzogs. Barbara Cartland

Die einsame Frau des Herzogs - Barbara Cartland


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sie, „weil sie in diesem Haus geboren ist.“

      „Wie kommt das denn?“

      „Es war im Sommer des Jahres 1804, ein bißchen später als jetzt, so Anfang Juli denke ich. Ich saß hier in meinem Sessel, als an der Vordertür ein lautes Hämmern erklang, das Tote hätte aufwecken können. Ich sprang auf die Füße - damals war ich noch jünger und konnte mich schneller bewegen - und lief zur Tür, um mich nach der Ursache des Lärms zu erkundigen. Draußen hatten sich viele Leute versammelt, und zwei Männer beugten sich über eine Frau, die entweder tot oder bewußtlos war. Ein Wagen hatte sie auf der Straße angefahren, ein Rad hatte sie überrollt. Der Kutscher war weitergefahren, ohne anzuhalten.“

      Mrs. Barrowfield hielt ihm auffordernd das leere Glas entgegen, das er gehorsam vollschenkte.

      „Erzählen Sie weiter“, bat er.

      „Sie trugen die Frau herein, und ich schickte einen Jungen nach dem Arzt, der nur drei Straßen weit wohnt. Ein Dr. Weber behandelte damals die Waisen, ein unangenehmer Mann, den ich nicht ausstehen konnte.“

      „Und die Frau?“ fragte Mr. Falkirk, der sich bemühte, Mrs. Barrowfield beim Thema zu halten.

      „Ich hielt sie zunächst für tot, bis sie sich in Krämpfen wand und stöhnte. Ihre Wehen hatten begonnen, wie ich spät aber richtig feststellte.“

      „Haben Sie nicht sofort bemerkt, daß sie in anderen Umständen war?“

      „Leider nein“, mußte sie zugeben. „Damals hatte ich noch kein so geschultes Auge wie heute. Sie war sehr schlank und trug ein loses Gewand, so daß sich ihr Zustand nicht so deutlich zeigte wie bei einer größeren Frau.“

      „Was geschah weiter?“

      „Es dauerte Stunden, bis der Arzt eintraf. Entweder war er nicht zu finden, oder er hatte keine Lust gehabt, uns zu besuchen. In der Zwischenzeit kümmerte ich mich um die Frau, so gut ich es verstand“, fuhr sie fort. „Der Arzt benahm sich so gleichgültig, wie Leute das tun, die wissen, daß sie kein dickes Honorar zu erwarten haben.“

      Mrs. Barrowfield trank einen Schluck.

      „Da ich noch nie einer Entbindung beigewohnt hatte, bedeutete alles einen ziemlichen Schock für mich. Ich habe keine eigenen Kinder, bin nicht einmal verheiratet gewesen“, setzte sie hinzu.

      Mr. Falkirk wußte, daß es Sitte war, die Leiterin eines Waisenhauses mit „Mrs.“ anzureden, auch wenn ihr dieser Titel nicht zustand.

      „Der Arzt legte das Baby auf den Tisch“, berichtete Mrs. Barrowfield weiter. „,Wenn Sie sich darum kümmern, wird es leben; die Mutter ist tot’, stellte er fest.“

      „Konnte er sie nicht retten?“

      „Wenn Sie mich fragen, hat er es gar nicht versucht“, schnaubte sie. „Als die Mutter abgeholt wurde, weil man sie unter die Erde bringen wollte, merkte ich erst, daß sie noch sehr jung war und daß ich sie wahrscheinlich falsch eingeschätzt hatte.“

      „In welcher Beziehung?“

      „Obwohl es anscheinend niemanden gab, dem ihr Wohl und Wehe am Herzen lag, hätte ich sie für eine Lady gehalten. Sie war sehr hübsch mit rotblonden Haaren, weißer Haut und Kleidern, die ohne Zweifel eine Menge gekostet hatten.“

      „Haben Sie davon etwas aufbewahrt?“

      Mrs. Barrowfield schüttelte den Kopf.

      „So etwas ist hier unmöglich, weil die Kinder, wenn sie frieren, alles nehmen, was sie in die Hände bekommen können. Falls sie einen Unterrock getragen hat, was ich annehmen möchte, wurde er in Streifen gerissen, um Verbände daraus zu fertigen. Eines dieser kleinen Unglückswürmer blutet immer an irgendeiner Stelle.“

      „Gab es denn keinen Hinweis darauf, wer sie gewesen ist?“

      „Soviel ich weiß, hat der Doktor überall in der Nachbarschaft Erkundigungen nach einer vermißten Person eingezogen, vermutlich um sein Honorar zu kassieren. Da sich jedoch niemand nach dem Baby erkundigt hat, nehme ich an, daß seine Nachforschungen ohne Erfolg geblieben sind.“

      „Warum haben Sie die Kleine Tara genannt?“

      „Darauf wollte ich gerade kommen. Sie haben gefragt, ob die tote Frau nichts bei sich trug, was ihre Identität ermöglicht hätte. Sie besaß nicht einmal eine Handtasche, vielleicht ist sie ihr auch bei dem Unfall auf der Straße gestohlen worden.“

      Mrs. Barrowfield machte eine Pause, um der dramatischen Wirkung willen.

      „Ich kann noch etwas aufzählen, was fehlte“, sagte sie, „nämlich ein Ehering. Vielleicht war es Vorbestimmung, daß sie mit ihrem namenlosen Kind den richtigen Ort fand.“

      „Und warum haben Sie sie Tara genannt?“ fragte er noch einmal.

      „Einen Augenblick Geduld, dann wissen Sie es“, erwiderte die Heimmutter. „Die tote Frau trug an einer Kette ein Medaillon um den Hals. Sie werden mich vielleicht für sentimental halten, weil ich es nicht verkauft habe, obwohl ich das hätte tun müssen, wenn ich nur einen Funken gesunden Menschenverstand besessen hätte. Es gab Zeiten, da war das Essen so knapp, daß uns schon ein paar Shilling geholfen hätten.“

      „Kann ich das Medaillon sehen?“ fragte Mr. Falkirk.

      Falls ihre Weitschweifigkeit ihn irritierte, ließ er sich nichts anmerken. Seine Miene blieb unbewegt, als sie sich schwerfällig erhob und zu dem Schränkchen ging, dem sie schon die Flasche und die Gläser entnommen hatte.

      Sie zog eine Schublade auf, die mit Papieren, zerknitterten Seidenbändern, Haarkämmen und allen möglichen anderen Gegenständen gefüllt war, wie er von seinem Platz aus erkennen konnte. Nachdem sie einen Augenblick darin herumgestöbert hatte, kam sie mit einer kleinen Schatulle wieder, die sie auf den Tisch stellte.

      „Hier bewahre ich meine Kostbarkeiten auf“, erklärte sie, „von denen ich, wie Sie sich denken können, nicht viele besitze. Wenn ich die Dinge aber herumliegen ließe, würden die kleinen Teufel bald ihre Finger darauf legen.“

      Sie setzte sich wieder in ihren Sessel und klappte den Deckel hoch. Mr. Falkirk erhaschte einen Blick auf einige lose blaue Perlen, die zu einer Kette gehört haben mußten, eine billige Brosche ohne Nadel und einen Mistelzweig, vermutlich ein Andenken aus Mrs. Barrowfields Jugend, wenn es auch schwer war, an sie in Verbindung mit einer Romanze zu denken.

      „Da ist es ja“, rief sie und brachte ein an einer Kette hängendes Medaillon zum Vorschein, das sie ihm entgegenhielt.

      Das Schmuckstück war zwar aus Gold, aber von minderer Qualität, so daß es nicht viel gekostet haben konnte. Auf der Außenseite war „Tara“ eingraviert, als er es öffnete, entdeckte er darin eine dunkle Haarlocke.

      „Ehrlich bin ich“, stellte Mrs. Barrowfield fest. „Jeder andere hätte es längst verkauft, aber ich war der Meinung, daß es eines Tages von Nutzen sein könnte.“

      „Sie werden sicher verstehen, daß ich das Medaillon mitnehmen möchte“, sagte Mr. Falkirk.

      „Selbstverständlich, wenn ich mir auch nur schwer vorstellen kann, daß Seine Gnaden Wert auf solchen Schnickschnack legt“, erwiderte sie. „Übrigens haben Sie mir noch nicht mitgeteilt, was das Mädchen in Schottland tun soll.“

      „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, mußte er eingestehen. „Ich führe lediglich eine Anweisung aus, die mir der Herzog erteilt hat, bevor er nach dem Norden reiste.“

      „Das erscheint mir seltsam.“

      Mr. Falkirk war geneigt, ihr recht zu geben, mochte das aber nicht zugeben.

      „Wenn Sie jetzt nach Tara schicken wollen“, sagte er ruhig. „Ich würde sie gern kennenlernen.“

      „Wann wollen Sie sie mitnehmen?“ fragte Mrs. Barrowfield.

      „Ich reise heute Nachmittag ab“, erwiderte er. „Da ich auf dem Weg von Arkcraig House sowieso hier vorbeikomme, werde ich


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