Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte - Wilhelm  Hauff


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noch einmal so leicht.

      Wir umarmten uns und sagten uns Lebewohl; unter warmem Dank für seine Güte, die er noch zuletzt für mich gehabt, für die schönen Tage, die er uns bereitet habe, begleitete ich ihn an den Wagen; die Wagentüre schloß sich, der Postillion hieb auf seine vier Rosse, sie zogen an und die interessante Erscheinung flog von hinnen; aber aus dem Innern des Wagens glaubte ich jenes heisere Lachen zu vernehmen, das ich von gestern her unter den Bruchstücken meiner Erinnerung bewahrte.

      Als ich die Treppe hinanstieg, händigte mir der Oberkellner einen Brief ein. Der Professor habe ihm solchen zu meinen eigenen Händen zu übergeben befohlen; ich riß ihn auf –

      »Verehrter, Wertgeschätzter!

      Ich bin im Begriff, mein Roß zu besteigen und aus dieser Höhle des brüllenden Löwen zu entfliehen. Ich sage Ihnen schriftlich Lebewohl, weil Sie aus der todähnlichen Betäubung, die Sie härter als uns alle befallen hat, nicht zu wecken sind. Daß unser fröhliches Zusammenleben so schauerlich endigen mußte! Nicht wahr, lieber Zweifler, jetzt haben Sie es ja klar, daß dieser Natas nichts anderes als der leibhaftige Satan war!

      Er schaut mir vielleicht in diesem Augenblick über die Schulter und liest, was ich sage, aber dennoch schweige ich nicht. Den armen Ökonomierat und sein Töchterlein, die blasse Trübenau, meine schöne Thingen, den Hauptmann und den Oberforstmeister hat er in seinem Netz. Gott gebe, daß er Sie nicht auch geködert hat. Mich hat er halb und halb, denn ich habe allzu tief eingebissen, in seine mit chemischen Ideen bespickte Angel. Ich reiße mich los und mache, daß ich fortkomme.

      Adieu Bester! Montag den 7. Oktober, früh 6 Uhr.«

      Jetzt kehrten meine Erinnerungen in Scharen zurück. Ja, es war der Teufel, der sein Spiel mit uns gespielt hatte; es war der Teufel dem es gestern Spaß gemacht hatte, uns zu ängstigen; es mußten des Teufels Memoiren sein, die ich in der Hand hielt.

      Wer stand mir aber dafür, daß diese Schriftzüge mir nicht durch die Augen ins Hirn hinaufkrochen und mich wahnsinnig machten; und konnte ich mich nicht gerade dadurch, daß ich den Dechiffreur und Dekopisten des Satans machte, unbewußt in seine Leibeigenschaft hineinschreiben?

      Ich packte die Handschrift in meinen Koffer und reiste dem Professor nach, um ihn um Rat zu fragen. Aber in Worms traf ich keine Spur von irgendeinem der lustigen Gesellschaft in den Drei Reichskronen. Entweder hat sie der Satan eingeholt, und in seinem achtsitzigen Wagen in sein ewiges Reich gehaudert, oder hatte er mich in den April geschickt. Das letztere schien mir wahrscheinlicher.

      In Worms aber traf ich einen frommen Geistlichen, der an der Domkirche angestellt war. Ich trug ihm meinen Fall vor, und erhielt den Bescheid, ich solle so viele Messen darüber lesen lassen, als das Manuskript Bogen enthalte. Der Rat schien mir nicht übel. Ich reiste in meine Heimat und schickte am nächsten Sonntag den ersten Satans-Bogen in die Kirche. Probatum est; am Montag fing ich an, zu dechiffrieren, und habe noch nicht das geringste Spukhafte weder an dem Papier noch an mir bemerkt.

      Von meinen Genossen in Mainz habe ich indessen wenig mehr gehört. Der Professor fährt fort, durch seine Entdeckungen in der Chemie zu glänzen, und ich fürchte, er ist auf dem Wege, dem Satan Gehör zu geben, der ihn zu einem Berzelius machen will. Der Hauptmann soll sich erschossen haben, Frau von Thingen aber, die schöne Witwe, hat, nach einer Anzeige im »Hamburger Correspondenten«, vor nicht gar langer Zeit wieder geheiratet.

      I

      Die Studien des Satan auf der berühmten Universität ….en

       Inhaltsverzeichnis

      Betrogene Betrüger! Eure Ringe

       sind alle drei nicht echt; der echte Ring

       vermutlich ging verloren.

       Lessing, Nathan. III.

      Fünftes Kapitel

      Einleitende Bemerkungen

       Inhaltsverzeichnis

      Alle Welt schreibt oder liest in dieser Zeit Memoiren; in den Salons der großen und kleinen Residenzen, in den Ressourcen und Kasinos der Mittelstädte, in den Tabagien und Kneipen der kleinen spricht man von Memoiren, urteilt nach Memoiren und erzählt nach Memoiren, ja es könnte scheinen, es sei seit zwölf Jahren nichts Merkwürdiges mehr auf der Erde, als ihre Memoiren. Männer und Frauen ergreifen die Feder, um den Menschen schriftlich darzutun, daß auch sie in einer merkwürdigen Zeit gelebt, daß auch sie sich einst in einer Sonnennähe bewegt haben, die ihrer sonst vielleicht gehaltlosen Person einen Nimbus von Bedeutsamkeit verliehen.

      Gekrönte Häupter, nicht zufrieden, sich aus ihrer frühern Grandezza, wo sie, wie in der Bilderbibel, mit der Krone auf dem Haupt zu Bette gingen, erhoben zu haben; nicht zufrieden damit, daß sie auf Kurierreisen Europa von einem Ende bis zum andern durchfliegen, um sich gegenseitig von ihrer Freundschaft zu versichern, schreiben Memoiren für ihre Völker, erzählen ihnen ihre Schicksale, ihre Reisen. Die Mitwelt ist zur Nachwelt gemacht worden, man hat ihr einen neuen Maßstab, wornach sie die Handlungen richte, in die Hände gegeben – es sind die Memoiren.

      Große Generale, berühmte Marschälle, weit entfernt, das Beispiel jenes Römers nachzuahmen, der in der Muße des Friedens die Taten der Legionen unter seiner Führung der Nachwelt würdig zu überliefern glaubte, wenn er von sich nur immer in der dritten Person spräche, haben den bescheideneren Weg eingeschlagen, sprechen von sich, wie es Männern von solchem Gewichte ziemt als ich, bauen aus ihren Memoiren ein Odeon in verjüngtem Maßstabe, und treten herzhaft vorne auf der Bühne auf. Mit Schlachtstücken im großen Stil dekorieren sie die Kulissen, Staatsmänner und berühmte Damen, die große Armee und ihre lorbeerbekränzten Adler, die ganze Mitwelt stellen sie im Hintergrund als Figuranten auf, sie selbst aber spielen ihre Sulla oder Brutus würdig des unsterblichen Talma.

      Mundus vult decipi, d. i. die Leute lesen Memoiren; was hält mich ab, denselben auch ein solches Gericht »Gerngesehen« vorzusetzen?

      Man wendet vielleicht ein, »der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Satan hat sich nicht mit Memoirenschreiben abzugeben«. Ei! wirklich? Und wenn nun dieser Satan doch einen Beruf hätte, Memoiren in die Welt zu streuen, wenn er doch so viel oder noch mehr gesehen hätte, als jene kriegerischen Diplomaten oder diplomatischen Krieger, welche die Welt mit ihrem literarischen Ruhme anfüllen, nachdem die Bulletins ihrer Siege zu erwähnen aufgehört haben; wenn nun dieser arme Teufel einen Drang in sich fühlte, auch für einen homo literatus zu gelten?

      Ja, ich gestehe es mit Erröten, je länger ich mich in meinem lieben Deutschland umhertreibe, desto unwiderstehlicher reißt es mich hin, zu Schriftstellern; und wenn es den Damen erlaubt ist, die Finger mit Dinte zu beschmutzen, so wird es doch dem Teufel auch noch erlaubt sein?

      Und da komme ich auf einen zweiten Punkt; man sagt vielleicht gegen meine schriftstellerischen Versuche, ich sei kein Literatus, kein Mann vom Gewerbe etc. Aber fürs erste habe ich soeben die Damen, welche, wenn sie noch so gelehrt, doch keine Gelehrte von Profession sind, anzuführen die Ehre gehabt; sodann berufe ich mich auf jene Söhne des Lagers, die unter Gefahren groß geworden, unter Strapazen ergraut, keine Zeit hatten, Humaniora zu studieren, und dennoch so glänzende Memoiren schreiben; ich behaupte drittens, daß das Vorurteil, ich sei ein unstudierter Teufel, ganz falsch ist, denn ich bin in optima forma Doktor der Philosophie geworden, wie aus meinen Memoiren zu ersehen, und kann das Diplom schwarz auf weiß aufweisen.

      Der Erzengel Gabriel, als ich ihn mit dem Plan meine Memoiren auszuarbeiten bekannt machte, warnte mich mit bedenklicher Miene vor den sogenannten Rezensenten. Er gab mir zu verstehen, daß ich übel wegkommen könnte, indem solche niemand schonen, ja sogar neuerdings selbst Doktoren der Theologie in Berlin, Halle und Leipzig hart mitgenommen haben. Ich erwiderte ihm nicht ohne Gelehrsamkeit, daß das Sprichwort »clericus clericum non decimat« füglich auch auf mein Verhältnis zu den Rezensenten angewandt werden könne;


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