Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
schien er die Versammlung zu überschauen, hustete dann etwas weniges und begann:
»Hochachtbare, hochansehnliche!« (damit meinte er die, welche sechs Taler Honorar zahlten).
»Wertgeschätzte!« (die welche das gewöhnliche Honorar zahlten).
»Meine Herren!« (das waren die, welche nur die Hälfte oder aus Armut gar nichts entrichteten), und nun hob er seinen Sermon an, die Federn rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond aus Regenwolken.
Ich hätte zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen können, denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt »De angelis malis«, worin ich vorzüglich traktiert zu werden hoffen durfte. Wahrhaftig, er ließ mich nicht lange warten: »Der Teufel«, sagte er, »überredete die ersten Menschen zur Sünde, und ist noch immer gegen das ganze Menschengeschlecht feindlich gesinnt.« Nach diesem Satz hoffte ich nun eine philosophische Würdigung dieses Teufelsglaubens zu hören; aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort Teufel stehen, und daß mich die Juden Beelzebub geheißen hätten. Mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock nicht gesucht hätte, warf er nun das Wort Beelzebub dreiviertel Stunden lang hin und her. Er behauptete, die einen erklären, es bedeute einen »Fliegenmeister«, der die Mücken aus dem Lande treiben solle, andere nehmen das »sephub« nicht von den Mücken, sondern als » Anklage« wie die Chaldäer und Syrier. Andere erklären »sephul« als Grab, sepulcrum; die Federn schwirrten und flogen, so tiefe Gelehrsamkeit hört man nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklärungen hatte er aber volle dreiviertel Stunden verwendet, denn die Zitaten aus heiligen und profanen Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es mir vielen Spaß gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und namentlich den Satan so gründlich anatomiert zu sehen; aber endlich machte es mir doch Langeweile und ich wollte schon meinen Platz verlassen, um dem unendlichen Gewäsch zu entfliehen, da ruhte der Doktor einen Augenblick aus, die Schnupftücher wurden gebraucht, die Füße wurden in eine andere Lage gebracht, die Federn ausgespritzt und neu beschnitten – alles deutete darauf hin, daß jetzt ein Hauptschlag geschehen werde.
Und es war so; der große Theologe, nachdem er die Meinungen anderer aufgeführt und gehörig gewürdigt hatte, begann jetzt mit Salbung und Würde seine eigene Meinung zu entwickeln.
Er sagte, daß alle diese Erklärungen nichts taugen, indem sie keinen passenden Sinn geben; er wisse eine ganz andere, und glaube sich in diesem Stück noch über Michaelis und Döderlein stellen zu dürfen. Er lese nämlich saephael und das bedeute Kot, Mist und dergleichen. Der Teufel oder Beelzebub würde also hier der » Herr im Dreck«, » der Unreinliche«, Ôï ðíåõìá áêáèáñôïí, » der Stinker« genannt, wie denn auch im Volksglauben mit den Erscheinungen des Satans ein gewisser unanständiger Geruch verbunden sei.
Ich traute meinen Ohren kaum; eine solche Sottise war mir noch nie vorgekommen; ich war im Begriff, den orthodoxen Exegeten mit dem nämlichen Mittel zu bedienen, das einst Doktor Luther, welcher gar keinen Spaß verstand, an mir probierte, ihm nämlich das nächste beste Dintenfaß an den Kopf zu werfen; aber es fiel mir bei, wie ich mich noch besser an ihm rächen könnte, ich bezähmte meinen Zorn und schob meine Rache auf.
Der Doktor aber schlug im Bewußtsein seiner Würde das Heft zu, stand auf, bückte sich nach allen Seiten und schritt nach der Türe; die tiefe Stille, welche im Saal geherrscht hatte, löste sich in ein dumpfes Gemurmel des Beifalls auf.
»Welch ein gelehrter Mann, welch tiefer Denker, welche Fülle der tiefsten Gelehrsamkeit!« murmelten die Schüler des großen Exegeten. Emsig verglichen sie untereinander ihre Hefte, ob ihnen auch kein Wörtchen von seinen schlagenden Beweisen, von seinen kühnen Behauptungen entgangen sei; und wie glücklich waren sie, wenn auch kein Jota fehlte, wenn sie hoffen durften, ein dickes, reinliches, vollständiges Heft zu bekommen.
Sobald sie aber die teuren Blätter in den Mappen hatten, waren sie die alten wieder; man stopfte sich die ellenlangen Pfeifen, man setzte die Mütze kühn auf das Ohr, zog singend oder den großen Hunden pfeifend ab, und wer hätte den Jünglingen, die im Sturmschritt dem nächsten Bierhaus zuzogen, angesehen, daß sie die Stammhalter der Orthodoxie seien, und recta via von der kühnsten Konjektur des großen Dogmatikers herkommen?
So schloß sich mein erster theologischer Unterricht, ich war, wenn nicht an Weisheit und Einsicht, doch um einen Begriff meiner selbst, an den ich nie gedacht hätte, reicher geworden.
Ich schwor mir selbst mit den heiligsten Schwüren, keinen Theologen dieser finstern Schule mehr zu hören. Denn, wenn der oberste unter ihnen solche grasse Begriffe zu Markt brachte, was durfte ich von den übrigen hoffen? Aber der orthodoxen saephael oder Dr–ck-Seele hatte ich Rache geschworen, und ich war Manns genug dazu, sie auszuführen.
Achtes Kapitel
Der Satan bekömmt Händel und schlägt sich; Folgen davon
Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht übergehen darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes, unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit fleißig die Anatomie besucht, um auch die Ärzte kennenzulernen, da geschah es eines Tages, daß ich mit mehreren Freunden um einen Kadaver beschäftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des Hirns, des Herzens etc. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit darzutun suchte.
Auf einmal höre ich hinter mir eine Stimme, »Pfui Teufel! wie riecht’s hier!«
Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den Eifer und das Wohlbehagen, mit welchem er die unsinnige Konjektur des Professors niederschrieb, gegen sich aufgebracht hatte. Als ich nun diese Äußerung »pfui Teufel, wie riecht’s hier!« die ich in jenem Augenblick aus des Theologen Munde nur auf mich, als den »Herrn im Kot« bezog, hörte, sagte ich ihm ziemlich stark, daß ich mir solche Gemeinheiten und Anzüglichkeiten verbitte.
Nach dem uralten heiligen Gesetzbuche der »Burschen«, das man Komment heißt, war dies eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Der Theologe, ein tüchtiger Raufer, ließ mich daher am andern Tage sogleich fordern. Ein solcher Spaß war mir erwünscht, denn wer sein Ansehen unter seinen Kommilitonen behaupten wollte, mußte sich damals geschlagen haben, obgleich das Duell an sich von meinen Freunden als etwas Unvernünftiges, Unnatürliches angesehen wurde. Ich hatte meinen Gegner bestimmen lassen, die Sache in einem Vergnügungsort, eine Stunde vor der Stadt, auszumachen, und beide Partien erschienen zur bestimmten Zeit an Ort und Stelle.
Feierlich wurde jeder einzelne in ein Zimmer geführt, der Oberrock ihm ausgezogen, und der »Paukwichs«, das heißt, die Rüstung, in welcher das Duell vor sich gehen sollte, angelegt. Diese Rüstung oder der Paukwichs bestand in einem Hut mit breiter Krempe, die dem Gesicht hinlänglichen Schutz verlieh, einer ungeheuern, fußbreiten Binde, die über den Bauch geschnallt wurde; sie war von Leder, gepolstert und mit der Farbe der Verbindung, zu welcher man gehörte, ausgeschmückt; eine ungeheure Krawatte, wogegen Herrn Studiosus Würgers ein Groschenstrick war, stand steif um die Gegend des Halses und schützte Kinn, Kehle, einen Teil der Schultern und den obern Teil der Brust. Den Arm, vom Ellbogen bis zur Hand, bedeckte ein, aus alten seidenen Strümpfen verfertigtes Rüstzeug, Handschuh genannt. Ich gestehe, die Figur, in diese sonderbare Rüstung gepreßt, nahm sich komisch genug aus; doch gewährte sie große Sicherheit, denn nur ein Teil des Gesichtes, der Oberarm und ein Teil der Brust war für die Klinge des Gegners zugänglich. Ich konnte mich daher des Lachens nicht enthalten, wenn ich im Spiegel meinen sonderbaren Habit betrachtete; der Satan in einem solchen Aufzuge und im Begriff, sich wegen des schlechten Geruchs auf der Anatomie zu schlagen!
Meine Genossen aber nahmen dieses Lachen für einen Ausbruch der Kühnheit und des Muts, gedachten, es sei jetzt der rechte Augenblick gekommen, und führten mich in einen großen Saal, wo man mit Kreide die gegenseitige feindliche Stellung auf dem Boden markiert hatte. Ein Fuchs rechnete es sich zur hohen Ehre, mir den »Schläger« vorantragen zu dürfen, wie man den alten Kaisern