DIE LETZTE FIREWALL. William Hertling

DIE LETZTE FIREWALL - William Hertling


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aber meistens war er ein Verfechter der ›Zurück-zur-Natur-Bewegung‹. Und Sarah war zu sehr in ihren VR-Sims versunken, um sich um irgendetwas anderes zu scheren.

      Die Sonne schien warm auf ihre Schultern und es gelang ihr, sich ein wenig zu entspannen. Der Duft von Gras strömte mit einer sanften Brise zu ihr herüber. Hunderte von Menschen kamen in den Park, um zu arbeiten oder zu lernen. Ein paar ältere Leute bewegten sich, weil sie noch Gestiksteuerung benutzten, aber die meisten saßen einfach reglos da und ihre Aktivitäten waren nach außen hin unsichtbar.

      Sie fand eine sonnige kleine Rasenfläche, setzte sich im Schneidersitz hin und startete ihre Schul-App.

      Kapitel 3

      Leon hängte sich seine Tasche über die Schulter und nahm die Treppe im Laufschritt. Aus der U-Bahn trat er in den Sonnenschein eines späten Frühlingstages, jener Zeit in DC, in der es warm war, ohne schwül zu sein. Er ging die fünf Blocks bis zum Institut für Angewandte Ethik, Teil der George-Washington-Universität, zu Fuß.

      Seine schmucklose Ziegelfassade täuschte über die Wichtigkeit der Arbeit hinweg, die hier geleistet wurde.

      An der Tür standen Menschen und Roboter Wache. Leon spürte, wie die KI sein Neuralimplantat abfragte, um seine ID zu überprüfen, und gewährte ihr Zugang.

      »Guten Morgen, Leon«, sagte ein Mann und streckte ihm die Hand hin.

      »Morgen, Henry. Wie geht es Ihrer Frau?« Leon gab Henry seine Tasche.

      »Oh, der geht es gut.« Er lehnte sich dichter herüber und fuhr mit gedämpfter Stimme fort. »Sie ist für eine Woche weg, um ihre Schwester zu besuchen.« Mit einem Augenzwinkern richtete er sich auf und schob Leons Tasche in den Scanner, wartete einige Sekunden und gab sie ihm dann zurück. »Einen schönen Tag noch, Leon!«

      »Ihnen auch, Henry.«

      Nachdem das Eingangsritual beendet war, nahm Leon die Marmortreppe mit schnellen Schritten. Im ersten Stock legte er seine Hand auf den biometrischen Scanner, der seinen Handabdruck mit der Datenbank abglich, bevor er die Tür entriegelte. Leon trat ein und blieb stehen, um wie jeden Morgen einen Blick auf die weite, offene Bürofläche zu werfen. In kleinen Gruppen unterteilt, arbeiteten die Wissenschaftler des Instituts miteinander, gestikulierten und kommunizierten mit den KIs, ihren Computern oder über das Netz. Es war der ewig gleiche Anblick, der ihn jeden Morgen begrüßte, aber er zauberte trotzdem immer ein Lächeln auf sein Gesicht.

      Leon ging zu seinem Gemeinschaftsbüro auf der anderen Seite. Die Mitarbeiter bemerkten seine Anwesenheit, einige wenige visuell, die meisten jedoch durch digitale Hinweise. Einige nickten ihm zu oder riefen »Guten Morgen«. Aber die meisten kommunizierten über ihr Implantat: Sprechblasen, die aus Richtung der Absender kommend in seinem Gesichtsfeld erschienen und dann in seine Infoleiste sickerten. Durch einen Gedankenimpuls antwortete er allen mit ›Hallo zusammen!‹ und betrat sein Büro.

      Die von KIs entwickelten Neuralimplantate waren seit acht Jahren für die breite Masse zugänglich. Sie verbanden Menschen mit dem Netz, dienten als Computer, Smartphone und Display in einem. Ein knapp ein Quadratzentimeter großer, graphenbasierter Computerchip wurde implantiert, stimulierte die Neuronen und ließ sowohl Text als auch Grafik in der visuellen Wahrnehmung erscheinen.

      In seinem Büro angekommen, stapelten sich die nachträglich eingegangenen Grußworte am Rande seines Gesichtsfeldes. Als er zur Tür sah, vibrierten diese Mitteilungen, um so seine Aufmerksamkeit zu erregen. Mit einem Gedankenbefehl versenkte er sie im Papierkorb und antwortete mit einem letzten ›Guten Morgen zusammen!‹, dann setzte er seinen Status auf ›Arbeit‹, um weitere Ablenkungen auszublenden.

      »Guten Morgen!«, rief er Mike zu und ging sich einen Kaffee holen. Ein kleiner Bot eilte los und traf ihn auf halbem Weg mit einem vollen Becher.

      »Danke«, sagte er geistesabwesend und der Bot piepte freundlich, bevor er wieder in der Wand verschwand. Mike hatte nicht geantwortet. Leon sah auf Mikes Statusmeldung: Er führte noch ein Telefonat. Leon setzte sich, nippte an seinem Kaffee, legte die Füße auf seinen Tisch und wartete darauf, dass Mike sein Gespräch beendete.

      Mikes Statusanzeige verschwand mit einem hörbaren ›Plopp‹ etwa eine Minute später. Er sah sich im Raum um und grinste Leon an. »Morgen. Tut mir leid, ich war beschäftigt.«

      »Keine Ursache«, antwortete Leon. »Wir erwarten heute noch Gäste.«

      »Wen?« Ohne auf Leons Antwort zu warten, zog sich Mike den Terminkalender aus dem Netz. »Die Gewinner des ›Von Neumann-Preises‹?«

      »Genau die. Die hundert Besten aus den Mathematik- und Wissenschaftsteams der Highschools. Unser alljährlicher Flohzirkus.«

      Mit dem Kaffee in der Hand gingen sie nach unten ins Auditorium. Schüler strömten durch die Haupteingänge hinein und wurden von ihren Lehrern zu den Sitzen geführt.

      Leon und Mike betraten den Raum nicht direkt, sondern gingen von hinten zur Bühne und schüttelten Rebecca Smith die Hand. Die ehemalige Präsidentin der Vereinigten Staaten hatte ihre zweite Amtszeit beendet. Danach hatte man ihr den Chefsessel des Instituts angeboten, das zuvor auf ihre eigene präsidiale Order hin gegründet worden war. Es war die Kontrollbehörde für alle künstlichen Intelligenzen. Da die KIs achtzig Prozent der globalen Wirtschaft ausmachten, galt das Institut als eine der einflussreichsten Organisationen der Welt.

      »Bereit, ein paar Kids zu begeistern?«, fragte Rebecca. Ihr verkniffenes Gesicht wollte nicht zum lockeren Ton ihrer Stimme passen.

      »Klar«, antwortete Mike. »Alles in Ordnung?« Er kannte Rebecca und ihre Launen seit zwanzig Jahren.

      »Ärger mit dem Budget. Interne Querelen.« Sie schüttelte ärgerlich den Kopf. »Diese verdammte Menschenrechtspartei macht uns im Kongress zu schaffen.«

      »Ich dachte, die Menschenrechtspartei wäre der politische Ableger der Anti-KI-Extremisten«, sagte Leon.

      »Genau das ist sie«, bellte Rebecca.

      Leon trat unwillkürlich einen halben Schritt zurück.

      »Oder sie war es. Die haben mittlerweile ziemlichen Einfluss im Kongress. Senator Watson sammelt täglich mehr Stimmen ein.« Sie hob die Hände. »Schon gut, es ist mein Problem. Ich werde mich darum kümmern.«

      Währenddessen war Rebeccas Assistent auf die Bühne getreten und wartete, bis die Unruhe sich gelegt hatte. »Herzlich willkommen! Erlaubt mir, euch unsere Direktorin und Vorsitzende Rebecca Smith, die ehemalige Präsidentin der Vereinigten Staaten, vorzustellen.«

      Rebecca betrat unter stehenden Ovationen die Bühne, während Mike und Leon auf der Seite warteten.

      »Guten Morgen, alle zusammen! Willkommen im Institut für Angewandte Ethik. Ihr seid die Besten, außergewöhnliche Denker, die Gewinner von nationalen und internationalen Wettbewerben. Hier an unserem Institut beschäftigen wir viele Gewinner früherer Jahre.«

      Mit ihren 65 Jahren war die ehemalige Präsidentin so schneidig, wie sie es immer gewesen war – eine mitreißende Rednerin und eine charismatische Anführerin. Leon kannte sie eigentlich nur in maßgeschneiderter Kleidung und mit perfekter Frisur. Im Privaten konnte sie freundlich und gesellig sein, aber wenn sie wütend wurde, dann konnte sie auch ziemlich furchteinflößend wirken. Wenn sie über eine neue politische Strömung besorgt war, dann war es etwas Ernstes.

      »Wir stellen nur die Allerbesten ein«, beendete Rebecca ihre Einleitung. »Um euch mehr über unsere Arbeit zu erzählen, begrüßen wir den geschäftsführenden Direktor Mike Williams und Leon Tsarev, den Leiter des Bereichs Programmarchitektur.«

      »Danke, Frau Vorsitzende«, sagte Mike und betrat das Podium. Er schüttelte Rebecca die Hand und sie verließ die Bühne. Mike legte beide Hände aufs Rednerpult und blickte in den Saal.

      »Während der letzten zehn Jahre haben wir eine Explosion des technischen Fortschritts erlebt, eine solche Flut an Erfindungen, dass sie die letzten einhundert Jahre, im Vergleich dazu fast belanglos erscheinen


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