Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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den Fe­der­hal­ter, vor al­lem auch alte Kar­ten und al­tes Brief­pa­pier, das wir noch hier ha­ben. Al­les muss ver­brannt wer­den! Sieh je­des Schub­fach nach. Es darf nichts mehr von all dem Zeug im Haus sein!«

      »Aber, Otto, wir sind doch nicht in Ver­dacht! Das al­les hat doch Zeit!«

      »Nichts hat Zeit! Tu, was ich dir sage! Al­les durch­se­hen, al­les ver­bren­nen!«

      Er ging.

      Als er wie­der­kam, war er ru­hi­ger. »Ich habe das Fläsch­chen in den Fried­richs­hain ge­wor­fen. Hast du al­les ver­brannt?«

      »Ja!«

      »Wirk­lich al­les? Al­les durch­ge­se­hen und ver­brannt?«

      »Wenn ich es dir doch sage, Otto!«

      »Na­tür­lich, ist ja gut, Anna! Aber ko­misch, wie­der ist mir so, als könn­te ich den Feind nicht se­hen, wo er wirk­lich sitzt. Als hät­te ich was ver­ges­sen!«

      Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, sah sie nach­denk­lich an.

      »Be­ru­hi­ge dich, Otto, du hast be­stimmt nichts ver­ges­sen, nichts. In die­ser Woh­nung ist nichts mehr.«

      »An mei­nen Fin­gern habe ich kei­ne Tin­te? Ver­stehst du, ich darf nicht den ge­rings­ten Tin­ten­fleck an mir ha­ben, jetzt, wo kei­ne Tin­te mehr im Hau­se ist.«

      Sie sa­hen nach, und wirk­lich fan­den sie noch einen Tin­ten­fleck an sei­nem rech­ten Zei­ge­fin­ger. Sie rieb ihn mit der Hand fort.

      »Siehst du, ich sage es ja, man fin­det im­mer noch was! Das sind die Fein­de, die ich nicht se­hen kann. Nun, viel­leicht war es die­ser Tin­ten­fleck, auf den ich nicht ge­ach­tet habe und der mich im­mer noch quäl­te!«

      »Er ist fort, Otto, nun ist nichts mehr, das dich un­ru­hig ma­chen muss!«

      »Gott sei Dank! Ver­steh, Anna, ich habe kei­ne Angst, aber ich möch­te doch nicht, dass wir zu früh ent­deckt wer­den. So lan­ge wie mög­lich möch­te ich noch mei­ne Ar­beit tun. Wenn es geht, will ich noch er­le­ben, wie dies al­les zu­sam­men­bricht. Ja, das möch­te ich noch er­le­ben. Ein we­nig ha­ben doch auch wir dazu ge­hol­fen!«

      Und dies­mal ist es Anna, die ihm Trost zu­spricht: »Ja, du wirst es er­le­ben, wir wer­den es bei­de noch er­le­ben. Was ist denn ge­sche­hen? Ge­wiss, wir wa­ren in großer Ge­fahr, aber … du sagst, das Glück hat sich ge­gen uns ge­wen­det? Das Glück ist uns treu ge­blie­ben, die Ge­fahr ist vor­über. Wir sind hier.«

      »Ja«, sag­te Otto Quan­gel. »Wir sind hier, wir sind frei. Noch sind wir es. Und ich hof­fe, wir sind es noch lan­ge, lan­ge …«

      42. Der alte Parteigenosse Persicke

      Der Schnüff­ler des Kri­mi­nal­rats Zott, ein ge­wis­ser Klebs, hat­te die Ja­blons­ki­stra­ße nach dem al­ten, al­lein­le­ben­den Mann ab­zu­klap­pern, auf des­sen Fest­stel­lung man bei der Ge­sta­po so großen Wert leg­te. In der Ta­sche trug er eine Lis­te, in der für je­des Haus und mög­lichst auch für je­des Hin­ter­haus ein zu­ver­läs­si­ger Par­t­ei­ge­nos­se ge­nannt war, auch der Name Per­si­cke stand auf die­ser Lis­te.

      Leg­te man in der Prinz-Al­brecht-Stra­ße großen Wert auf die Er­grei­fung des Ge­such­ten, für den Schnüff­ler Klebs war es ein blo­ßes Rou­ti­ne­ge­schäft. Klein, schlecht be­zahlt und schlecht er­nährt, mit schie­fen Bei­nen, ei­ner un­rei­nen Haut und ka­ri­ösen Zäh­nen er­in­ner­te Klebs an eine Rat­te, und er ver­rich­te­te sei­ne Ge­schäf­te, wie eine Rat­te in Ab­fall­ton­nen wühlt. Im­mer war er be­reit, eine Stul­le Brot an­zu­neh­men, um was zu trin­ken oder zu rau­chen zu bet­teln, und sei­ne kläg­li­che, quie­ken­de Stim­me be­kam bei die­sem Bet­teln et­was lei­se Pfei­fen­des, als gehe dem Un­se­li­gen der letz­te Atem aus.

      Bei den Per­sickes öff­ne­te ihm der Alte. Er sah wüst aus, das graue Haar in Zot­teln, das Ge­sicht ge­dun­sen, die Au­gen rot, und der gan­ze Mann schwan­kend und rol­lend wie ein Schiff im schwe­ren Sturm.

      »Wat wills­te denn?«

      »Nur ’ne klei­ne Er­kun­di­gung ein­zie­hen, für die Par­tei.«

      Es war die­sen Schnüff­lern näm­lich strengs­tens ver­bo­ten, sich bei ih­ren Er­kun­di­gun­gen auf die Ge­sta­po zu be­ru­fen. Die­se gan­ze Nach­fra­ge soll­te wie eine be­deu­tungs­lo­se Er­kun­di­gung nach ei­nem Par­tei­mit­glied aus­se­hen.

      Aber auf den al­ten Per­si­cke wirk­te selbst die­se harm­lo­se Aus­kunft »Er­kun­di­gung für die Par­tei« wie ein Schlag auf den Ma­gen. Er stöhn­te und lehn­te sich ge­gen den Tür­pfos­ten. In sein blö­des, von Al­ko­hol­düns­ten um­ne­bel­tes Hirn kehr­te für einen Au­gen­blick et­was Be­sin­nung zu­rück und – mit der Be­sin­nung – Angst.

      Dann raff­te er sich auf und sag­te: »Komm rein!«

      Die Rat­te folg­te schwei­gend. Sie be­ob­ach­te­te den al­ten Mann mit spit­zen, flin­ken Au­gen. Nichts ent­ging ihr.

      In der Stu­be sah es wüst aus. Um­ge­stürz­te Stüh­le, um­ge­fal­le­ne Fla­schen, vor de­ren Häl­sen Schnaps stin­kend am Bo­den ver­duns­te­te. Eine zu­sam­men­ge­knüll­te Schlaf­de­cke auf der Erde. Ein her­un­ter­ge­ris­se­nes Tisch­tuch. Un­ter dem Spie­gel, der von ei­nem Schlag ein Spin­nen­netz von Sprün­gen auf­wies, ein Hau­fen Glas­scher­ben. Eine zu­ge­zo­ge­ne Gar­di­ne und eine her­ab­ge­ris­se­ne Gar­di­ne. Und über­all Zi­ga­ret­ten­stum­mel, Zi­ga­ret­ten­stum­mel, halb an­ge­ris­se­ne Pa­ckun­gen mit Rauch­wa­ren.

      In den Diebs­fin­gern des Schnüff­lers Klebs zuck­te es. Am liebs­ten hät­te er jetzt ge­rafft und ge­grapscht: Schnaps, Rauch­wa­ren, Kip­pen, auch die Ta­schen­uhr dort aus der Wes­te, die über ei­nem Stuhl hing. Aber er war jetzt nur ein Bote der Ge­sta­po oder der Par­tei. So setz­te er sich brav auf ein Stühl­chen und pieps­te fröh­lich: »Ach, hier gib­t’s zu trin­ken und zu rau­chen! Du hast’s gut, Per­si­cke!«

      Der Alte sah ihn mit ei­nem schwe­ren, trü­ben Blick an. Dann schob er dem Be­su­cher mit ei­nem Ruck eine halb­vol­le Fla­sche Schnaps über den Tisch – Klebs konn­te sie gra­de noch fas­sen, ehe sie kipp­te.

      »Such dir was zu rau­chen!«, mur­mel­te Per­si­cke und sah sich in der Stu­be um. »Hier muss ir­gend­was zu rau­chen rum­lie­gen.« Und er setz­te mit schwe­rer Zun­ge hin­zu: »Aber Feu­er habe ich kei­nes!«

      »Mach dir kei­ne Sor­gen, Per­si­cke!«, pfiff Klebs be­ru­hi­gend. »Ich fin­de schon, was ich brau­che. Du wirst ja in der Kü­che Gas ha­ben und einen Ga­san­zün­der.«

      Er tat so, als kenn­ten sie sich schon seit lan­gem. Als sei­en sie die äl­tes­ten Freun­de. Ganz selbst­ver­ständ­lich schlich er auf sei­nen schie­fen Bei­nen in die Kü­che – dort sah es mit zer­trüm­mer­tem Ge­schirr und um­ge­stürz­ten Mö­beln noch schlim­mer aus als in der Stu­be –, fand wirk­lich den Ga­san­zün­der in all dem Durchein­an­der und mach­te sich Feu­er.

      Er hat­te sich gleich drei an­ge­bro­che­ne Zi­ga­ret­ten­pa­ckun­gen ein­ge­steckt. Eine da­von hat­te zwar in Schnaps ge­ba­det, aber das konn­te man trock­nen. Auf dem Rück­weg sah Klebs noch in die bei­den an­de­ren Stu­ben, al­les sah völ­lig ver­wüs­tet und ver­kom­men aus. Wie Klebs gleich ver­mu­tet hat­te, war der alte Mann al­lein in der Woh­nung. Der Schnüff­ler rieb sich zu­frie­den die Hän­de, wo­bei sei­ne gelb­schwar­zen


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