Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
ordentlich gekleidet herumlaufen, die Bauern vergessen doch nie, wie du zu ihnen gekommen bist. Wie ein Dreckschwein, werden sie noch in zehn Jahren sagen. Wie ein Penner.«
»Da haste recht«, sagte er. »So sind die Brüder. Na, denn mach ma und hol Zeuch! Ick will ma sehn, det ick mir unterdes hier ’n bissken abschrubbe.«
»Ich bringe Seife und Bürste mit«, rief sie noch und machte sich eilig auf den Weg ins Dorf.
Später am Tage, sehr viel später am Tage, schon am Abend, als sie zu dreien ihr Abendbrot gegessen hatten: Frau Eva, der weißhaarige Kienschäper und ein fast bis zur Unkenntlichkeit verwandelter Kuno-Dieter, später also sagte Frau Eva: »Heute schläfst du hier noch auf dem Heuboden, Kuno. Von morgen an kriege ich die kleine Kammer, sie müssen nur erst das Gerümpel rausstellen. Ich richte sie dir hübsch ein. Möbel habe ich genug.«
Kuno sah sie nur an. »Det soll heeßen, det ick jetzt zu vaduften habe«, sagte er, »det de Herrschaften unter sich sein wollen. Na denn! Aba schlafen jeh ick jetzt noch nich, Eva, ick bin doch keen Siebenmonatskind. Ick wer mir erst ma det Kaff bekieken.«
»Aber lass es nicht zu spät werden, Kuno! Und rauch nicht auf dem Heuboden!«
»I wo denn! Wo wer ick!, wär ja der Erste, der abnibbeln müsste. Na denn! Ville Spaß noch, junge Leute, sagte der Vata, da machte er Mutta een Kind!«
Und Herr Kuno-Dieter ging ab. Ein glänzendes Produkt nationalsozialistischer Erziehung.
Frau Eva Kluge lächelte etwas bekümmert. »Ich weiß doch nicht, Kienschäper«, sagte sie, »ob ich grade recht daran getan habe, dieses Früchtchen in unsere kleine Familie aufzunehmen. Er ist eine Zumutung, das ist er!«
Kienschäper lachte. »Aber, Evi«, sagte er, »du musst doch selber merken, dass der Junge jetzt nur angibt! Der will sich hier ganz groß zeigen! Auch in aller Scheußlichkeit. Und gerade, weil er merkt, du bist ein bisschen zimperlich …«
»Ich bin doch nicht zimperlich!«, rief sie. »Aber wenn mir ein vierzehnjähriger Junge erzählt, er hat schon zwei Geliebte gehabt …«
»… so bist du eben doch zimperlich, Evi. Und was heißt übrigens zwei Geliebte, die er bestimmt gar nicht gehabt hat, sondern im schlimmsten Falle haben sie ihn gehabt! Das heißt gar nichts! Ich will es deinen Ohren ersparen, Evi, dir zu erzählen, was die Kinder dieses schlichten, frommen Dorfes alles miteinander vorhaben, dagegen ist dein Kuno-Dieter noch Gold!«
»Aber die Kinder reden nicht davon!«
»Weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Er aber hat keines, sondern sieht es ganz natürlich an, weil er es nämlich nie anders gesehen und gehört hat. Das gibt sich alles. Ein guter Kern steckt in dem Jungen; in einem halben Jahr wird er schon schamrot werden, wenn er an das denkt, was er dir in den ersten Tagen alles gesagt hat. Er wird’s ablegen, genauso wie sein Berlinisch. Hast du gemerkt, er kann ganz gut hochdeutsch reden, er will bloß nicht.«
»Ich habe ein schlechtes Gewissen, besonders vor dir, Kienschäper.«
»Das brauchst du nicht zu haben, Evi. Der Junge macht mir Spaß, und dessen sei sicher, er mag werden, wie er will: einer aus dem Hitlerdutzend wird er nie. Vielleicht ein Sonderling, aber nie ein Parteimann, sondern stets ein Einzelgänger.«
»Das gebe Gott!«, sagte Eva. »Mehr will ich ja gar nicht erreichen.«
Und sie hatte das dunkle Gefühl, als mache sie mit dem geretteten Kuno-Dieter die von Karlemann begangenen Schandtaten ein bisschen wieder gut.
45. Kriminalrat Zott gestürzt
Der Brief des Reviervorstehers war zwar ganz richtig an Herrn Kriminalrat Zott bei der Geheimen Staatspolizei, Berlin, adressiert gewesen. Aber das hatte noch nicht zur Folge, dass dieser Brief auch direkt bei dem Kriminalrat Zott eintraf. Sondern dessen Vorgesetzter, der SS-Obergruppenführer Prall, hatte ihn in den Händen, als er beim Kriminalrat eintrat.
»Was ist das für eine Sache, Herr Kriminalrat?«, fragte Prall. »Hier ist wieder so ’ne Karte vom Klabautermann und daran angeheftet ein Zettel: Häftlinge laut telefonischer Weisung der Gestapo, Kriminalrat Zott, wieder entlassen. Was sind das für Häftlinge? Warum ist mir davon nichts gemeldet?«
Der Kriminalrat sah schräg durch die Brille zu seinem Vorgesetzten hin: »Ach so! Ja, jetzt erinnere ich mich. Das war vorgestern oder noch einen Tag früher. Jetzt weiß ich es wieder genau: am Sonntag war es. Abends. Zwischen sechs und sieben, achtzehn und neunzehn Uhr wollte ich sagen, Herr Obergruppenführer.«
Und er sah, stolz auf sein ausgezeichnetes Gedächtnis, den Obergruppenführer an.
»Und was war da am Sonntag zwischen achtzehn und neunzehn Uhr? Wieso gab es da Häftlinge? Und warum wurden sie wieder entlassen? Und weshalb ist mir davon nichts gemeldet? Es ist zwar sehr beruhigend, dass Sie es jetzt wieder wissen, Zott, aber ich möcht’s auch gerne wissen.«
Dieses ohne alle Titelei hervorgestoßene »Zott« klang wie ein erster Kanonenschuss.
»Aber eine ganz belanglose Geschichte!« Der Kriminalrat machte beruhigende Bewegungen mit seinem aktengelben Händchen. »Ein Unsinn auf dem Revier. Die hatten da als Kartenschreiber oder Kartenverteiler ein paar Leutchen festgenommen, ein Ehepaar, natürlich blanker Unsinn mal wieder von der Schupo. Ehepaar – da wir doch wissen, der Mann muss allein leben! Und dann, jetzt fällt mir auch das noch ein, von Beruf war der Mann Tischler, und wir wissen doch, er muss etwas mit der Straßenbahn zu tun haben!«
»Wollen Sie damit sagen, Herr«, antwortete, nur noch mühsam an sich haltend, der Obergruppenführer (das »Herr« war der zweite und weitaus schärfere Schuss in diesem Kriege), »wollen Sie damit sagen, dass Sie die Enthaftung dieser Leute angeordnet haben, ohne sie überhaupt zu sehen, ohne sie zu vernehmen – bloß weil es zwei waren statt einer und bloß weil der Mann sich für einen Tischler ausgab? Herr!«
»Herr Obergruppenführer«, antwortete der Kriminalrat Zott und stand auf. »Wir Kriminalisten arbeiten nach einem bestimmten Plan und weichen davon nicht ab. Ich suche einen einsam lebenden Mann, der was mit der Straßenbahn zu tun hat, und keinen Ehemann, der Tischler ist. Der interessiert mich nicht. Wegen dem gehe ich keinen Schritt.«
»Als wenn ein Tischler nicht auch für die BVG arbeiten könnte, zum Beispiel Bahnwagen reparieren!«, schrie jetzt Prall. »So eine Hornsdummheit!«
Zuerst wollte Zott beleidigt sein, aber die treffende Bemerkung seines Vorgesetzten machte ihn doch bedenklich. »Freilich«, sagte er betreten, »daran habe ich freilich nicht gedacht.« Er sammelte sich. »Aber ich suche einen einsam lebenden Menschen«,