Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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sag­te: »Sie sind also un­ter dem Ver­dacht, einen Mord­ver­such an Ih­rer Frau be­gan­gen zu ha­ben, fest­ge­nom­men, Herr Som­mer. Was ha­ben Sie dazu zu sa­gen?«

      Zu die­sem Zeit­punkt hat­te ich schon ein sol­ches Zu­trau­en zu al­len Leu­ten hier ge­won­nen, dass ich ganz harm­los rief: »Um Got­tes wil­len, wird denn das noch im­mer auf­recht­er­hal­ten, dass ich mei­ne Frau habe er­mor­den wol­len? Nie im Le­ben habe ich dar­an ge­dacht. Ich lie­be doch mei­ne Frau, und wenn ich auch …«

      »Nein, nein, Herr Som­mer«, sag­te der Amts­ge­richts­di­rek­tor be­ru­hi­gend, »ein Mord­ver­such kommt na­tür­lich nicht in­fra­ge. Es war ein ver­such­ter Tot­schlag, nicht wahr? Sie ha­ben im Af­fekt ge­han­delt, Sie wa­ren be­trun­ken, nicht wahr?«

      »Aber, Herr Di­rek­tor, ich habe mei­ne Frau doch auch nicht tot­schla­gen wol­len, das war doch nur so be­trun­ke­nes Ge­re­de, weil ich gern den Kof­fer ha­ben woll­te und weil mei­ne Frau doch stär­ker als ich ist.«

      »Nun, nun«, mein­te der Di­rek­tor und lä­chel­te dünn. »Ein biss­chen mehr als eine harm­lo­se be­trun­ke­ne Katz­bal­ge­rei war es wohl doch. Sie ha­ben in der letz­ten Zeit ein biss­chen viel ge­trun­ken, nicht wahr, Herr Som­mer? Nun er­zäh­len Sie mir mal, was Sie so al­les ge­trun­ken hat­ten, ehe Sie den nächt­li­chen Be­such bei Ih­rer Frau mach­ten.«

      So ka­men wir lang­sam in die Ver­neh­mung hin­ein, ich er­zähl­te al­les, wie es ge­we­sen war, ich zer­grü­bel­te mei­nen Kopf, um auch nicht eine ein­zi­ge Fla­sche Korn zu ver­ges­sen, ich sag­te die un­ge­schmink­te Wahr­heit, und ich Narr glaub­te, ich kön­ne es mit sol­cher Wahr­heits­lie­be schaf­fen. Ich be­harr­te aber da­bei, dass ich nie die Ab­sicht ge­habt habe, mei­ner Frau ernst­lich et­was zu tun, ich woll­te nur die Sa­chen ha­ben, so sag­te ich.

      Der Amts­ge­richts­di­rek­tor hüs­tel­te stär­ker, er las in dem ma­schi­nen­ge­schrie­be­nen Bo­gen, er sag­te: »Ich will Ih­nen da doch ein­mal vor­hal­ten, was Ihre Frau aus­ge­sagt hat. Hier: ›Er würg­te mich am Hal­se und ver­such­te, mir mit den Fü­ßen in den Leib zu tre­ten!‹ Und hier: ›Er flüs­ter­te mir ins Ohr: Mor­gen Nacht be­su­che ich dich und brin­ge dich um!‹ Das klingt doch aber al­les ge­wal­tig nach et­was mehr als blo­ßen Dro­hun­gen, nicht wahr, Herr Som­mer?«

      Ich war sprach­los über Mag­das Ge­mein­heit, das al­les so dar­zu­stel­len; zum Min­des­ten hät­te sie doch hin­zu­set­zen müs­sen, dass sie dies nur für blo­ßes be­trun­ke­nes Ge­re­de ge­hal­ten habe. Ich ver­such­te, es dem Di­rek­tor so zu er­klä­ren, ich wies ihn auch dar­auf hin, dass auch Mag­da er­regt ge­we­sen sei und vie­les viel­leicht in ih­rer Er­re­gung schwe­rer ge­nom­men habe, als es ge­meint ge­we­sen sei.

      Der Di­rek­tor nick­te und seufz­te, wisch­te an sei­ner Bril­le, ob ich ihn über­zeugt habe, weiß ich nicht. Schließ­lich sag­te er: »Nun gut, ich will Sie heu­te auch gar nicht län­ger ver­neh­men. Das wird erst ein­mal ge­nü­gen.«

      »Sie er­las­sen also kei­nen Haft­be­fehl ge­gen mich?!«, frag­te ich in über­strö­men­der Freu­de.

      Der Di­rek­tor hüs­tel­te schon wie­der. »Nein, kei­nen ei­gent­li­chen Haft­be­fehl, so­zu­sa­gen. So­zu­sa­gen. Se­hen Sie, Herr Som­mer, Sie wa­ren nach Ihren ei­ge­nen Aus­sa­gen über­mä­ßig be­trun­ken …«

      »Nicht über­mä­ßig be­trun­ken, Herr Di­rek­tor. Ich ver­tra­ge sehr viel.«

      »Sie hat­ten«, fuhr der Di­rek­tor, sich ver­bes­sernd, fort, »über­mä­ßig viel ge­trun­ken, und da be­steht nun ein­mal der Ver­dacht, dass Sie bei Be­ge­hung Ih­rer Tat nicht im Voll­be­sitz Ih­rer Geis­tes­kräf­te wa­ren. Was wol­len Sie jetzt zu Haus? Sie wür­den wie­der mit Ih­rer Frau Streit an­fan­gen, Sie wür­den wie­der zu trin­ken an­fan­gen. Nein, Herr Som­mer, erst müs­sen Sie wie­der rich­tig ge­sund wer­den. Ich wer­de Sie erst ein­mal in eine Heil- und Pfle­gean­stalt ein­wei­sen, da wer­den Sie un­ter ärzt­li­cher Be­treu­ung ste­hen und rich­tig ge­sund wer­den …«

      »Ich dan­ke Ih­nen, ich dan­ke Ih­nen, Herr Di­rek­tor«, rief ich Trot­tel und wäre am liebs­ten dem al­ten Herrn um den Hals ge­fal­len. Für sei­ne große Güte, ja­wohl, für sei­ne große Güte.

      31

      Von Mord­horst hör­te ich es dann, zwei oder drei Tage spä­ter (sie lie­ßen sich Zeit mit mei­ner Über­wei­sung in eine Heil- und Pfle­gean­stalt; auf dem Ge­richt ha­ben über­haupt alle Zeit, bloß die Ge­fan­ge­nen nicht, de­nen doch die Zeit so lang­sam ver­geht) – also, von Mord­horst hör­te ich es, dass ich mich wie ein voll­kom­me­ner Idi­ot be­nom­men hat­te.

      »Mensch«, sag­te er, »wie konn­test du nur so däm­lich sein? Der alte Fuchs hat sich ins Fäust­chen über dich ge­lacht, als du eine Fla­sche Korn nach der an­de­ren aus­pack­test. Der hat dich fein mit sei­ner ver­stell­ten Freund­lich­keit ge­fan­gen! Sa­gen hät­test du müs­sen, schwö­ren hät­test du müs­sen: Ich bin gar nicht be­sof­fen ge­we­sen, kei­ne Spur war ich an­ge­trun­ken! Ich hab’s bei vol­lem Be­wusst­sein, nach reif­li­cher Über­le­gung ge­tan, was ich ge­tan habe! Und warum muss­test du so sa­gen? Weil du so am we­nigs­ten ris­kier­test! Sieh mal, für einen ver­such­ten Tot­schlag be­kommst du ein hal­b­es, höchs­tens ein Jahr Kitt­chen. Die reißt du ab und stehst wie­der drau­ßen als frei­er Mann, und kei­ner kann dir an den Wa­gen fah­ren.

      Und was ge­schieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wo­chen in die An­stalt zur Beo­b­ach­tung auf dei­nen Geis­tes­zu­stand. Denkst du, die An­stalt ist bes­ser als ein Kitt­chen? Schlech­ter ist sie! Al­les Drum und Dran ist ge­nau wie hier, Fres­sen und Ar­beit und Wacht­meis­ter, aber du bist nicht mehr mit ver­nünf­ti­gen Men­schen zu­sam­men, son­dern mit lau­ter Idio­ten! Und dann gibt der Arzt sein Gut­ach­ten ab, und du kriegst den § 51, und das Ver­fah­ren ge­gen dich wird ein­ge­stellt. Aber du wirst für geis­tes­krank und ge­mein­ge­fähr­lich er­klärt und dei­ne dau­ern­de Un­ter­brin­gung in sol­cher Heil­an­stalt an­ge­ord­net, und da sitzt du, fünf Jah­re, zehn Jah­re, zwan­zig Jah­re, kein Hahn kräht nach dir, und lang­sam wirst du un­ter all den Idio­ten auch ein Idi­ot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wol­len. Wie du mir er­zählt hast, hat dei­ne Alte viel fürs Ge­schäft üb­rig; dann hat sie das Ge­schäft und al­les, was dir ge­hör­te. Du bist dann bloß noch ein ar­mer ent­mün­dig­ter Trot­tel, und wenn sie dir zu Weih­nach­ten ein Stück Ku­chen und eine Rol­le Priem schickt, so ist das schon viel …«

      So re­de­te Mord­horst, der Er­fah­re­ne, zu mir, und zu je­dem sei­ner Wor­te sag­te es in mei­nem In­nern »Ja«. Wie ein Trot­tel hat­te ich mich be­nom­men, aufs Glatteis hat­te ich mich lo­cken las­sen, und nun saß ich drin. Ich hat­te es doch im­mer schon ge­ahnt, was Mag­da plan­te, von al­lem An­fang an, aber dann hat­te ich es ver­ges­sen; ich hat­te nicht mehr dran den­ken wol­len. Ich hat­te mir et­was vor­ge­lo­gen, dass sie mei­ne Frau sei, dass sie mich doch ein­mal lieb ge­habt habe und mich nicht ver­ra­ten wür­de … Aber sie hat­te mich ver­ra­ten, schon lan­ge hat­te sie auf die­ses Ziel hin­ge­ar­bei­tet! Erst hat­te sie mir die Ärz­te nach­ge­schickt, und dann hat­te sie die­se ver­hee­ren­de Aus­sa­ge über mich ge­macht, in der sie all mein be­trun­ke­nes Ge­schwätz wie pu­ren Ernst be­han­delt hat­te!

      Und wie hat­te sie sich zu mir be­nom­men, seit ich im Kitt­chen saß? Hat­te sie da so ge­han­delt, wie es ei­ner Ehe­frau ge­ziemt, de­ren Mann im Un­glück sitzt? Hat­te sie


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