Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ich an­ders. Ich habe die Dre­sche zu Recht be­zo­gen, aber von nun an will ich auch an­ders sein …

      Er liegt ganz still in dem schma­len Bett, die Hän­de ge­wis­ser­ma­ßen an der Ho­sen­naht, und starrt ge­gen die De­cke. Er zit­tert vor Käl­te, vor Er­schöp­fung, vor Schmer­zen. Aber er spürt das gar nicht. Er denkt dar­an, was für ein ge­ach­te­ter und be­lieb­ter Ar­bei­ter er frü­her mal war, und jetzt ist er nur ein schä­bi­ger klei­ner Kerl, vor dem alle aus­spu­cken. Nein, bei ihm ha­ben die Schlä­ge ge­hol­fen, nun wird al­les an­ders. Und wäh­rend er sich die­ses An­ders­s­ein aus­malt, schläft er ein.

      Um die­se Zeit schla­fen auch alle Per­sickes, es schla­fen Frau Gesch und Frau Klu­ge, es schläft das Ehe­paar Bark­hau­sen – er hat der Otti wort­los er­laubt, zu ihm ins Bett zu krie­chen.

      Es schläft ge­ängs­tigt, schwer at­mend, Frau Ro­sen­thal. Auch die klei­ne Tru­del Bau­mann schläft. Sie hat am Nach­mit­tag ei­nem ih­rer Ver­schwo­re­nen zu­flüs­tern kön­nen, dass sie un­be­dingt et­was mit­tei­len müs­se und dass sie sich alle am nächs­ten Abend im Ely­si­um tref­fen müs­sen, mög­lichst un­auf­fäl­lig. Sie hat ein we­nig Angst, weil sie nun ihre Schwatz­haf­tig­keit ge­ste­hen muss, aber jetzt ist sie doch ein­ge­schla­fen.

      Frau Anna Quan­gel liegt im Dun­keln im Bett, wäh­rend ihr Mann wie im­mer um die­se Nacht­zeit in sei­ner Werk­statt steht und auf­merk­sam je­den Ar­beits­gang ver­folgt. Sie ha­ben ihn nicht zur tech­ni­schen Lei­tung we­gen Ver­bes­se­rung der Fa­bri­ka­ti­on ge­ru­fen, auch dort hal­ten sie ihn für einen vollen­de­ten Trot­tel. Umso bes­ser!

      Anna Quan­gel, die im Bett liegt, aber noch nicht schla­fen kann, hält noch im­mer ih­ren Mann für völ­lig kalt und herz­los. Wie er die Nach­richt von Ot­to­chens Tode auf­nahm, wie er die arme Tru­del und die Frau Ro­sen­thal aus der Woh­nung ge­setzt hat: kalt, herz­los, im­mer nur an sich den­kend. Sie wird ihm nie wie­der so gut sein kön­nen wie frü­her, als sie dach­te, er hät­te we­nigs­tens für sie was über. Das hat sie nun ge­se­hen. Nur be­lei­digt über das vor­schnell her­aus­ge­fah­re­ne Wort ›Du und dein Füh­rer‹, nur ge­kränkt. Nun wird sie ihn nicht so leicht noch ein­mal so krän­ken, nicht so leicht wird sie wie­der mit ihm zu re­den an­fan­gen. Heu­te ha­ben sie nicht ein Wort mit­ein­an­der ge­wech­selt, nicht ein­mal gu­ten Tag ha­ben sie sich ge­sagt.

      Der Kam­mer­ge­richts­rat a.D. Fromm wacht noch, wie im­mer ist er in der Nacht wach. Er schreibt mit sei­ner klei­nen ge­sto­che­nen Schrift einen Brief, in dem die An­re­de lau­tet: »Hoch­ver­ehr­ter Herr Reichs­an­walt …«

      Un­ter der Le­se­lam­pe er­war­tet ihn auf­ge­schla­gen sein Plut­arch.

      13. Siegestanz im Elysium

      Die we­ni­gen Zi­vi­lis­ten ver­lo­ren sich voll­stän­dig in die­sem Ge­wim­mel, sie wa­ren be­deu­tungs­los, lang­wei­lig un­ter die­sen Uni­for­men, wie ja auch das zi­vi­le Volk drau­ßen auf den Stra­ßen und in den Fa­bri­ken nie eine Be­deu­tung der Par­tei ge­gen­über er­langt hat­te. Die Par­tei war al­les und das Volk nichts.

      So wur­de auch ein Tisch am Ran­de des Saa­l­es fast gar nicht be­ach­tet, an dem ein Mäd­chen und drei jun­ge Män­ner sa­ßen. Kei­ne von den vier Per­so­nen trug eine Uni­form, nicht ein­mal ein Par­tei­ab­zei­chen war zu se­hen.

      Ein Paar, das jun­ge Mäd­chen und ein jun­ger Mann, war zu­erst ge­kom­men; spä­ter hat­te ein an­de­rer jun­ger Mann um die Er­laub­nis ge­be­ten, sich her­an­set­zen zu dür­fen, und schließ­lich hat­te noch ein vier­ter Zi­vi­list um die glei­che Er­laub­nis nach­ge­sucht. Das jun­ge Paar hat­te auch ein­mal den Ver­such ge­macht, in dem Ge­wühl zu tan­zen. In die­ser Zeit wa­ren die bei­den an­de­ren Män­ner in ein Ge­spräch mit­ein­an­der ge­kom­men, in ein Ge­spräch, an dem sich das zer­drückt und er­hitzt zu­rück­kom­men­de Paar auch ge­le­gent­lich be­tei­lig­te.

      Ei­ner der Män­ner, an­fangs der Drei­ßi­ger, mit ho­her Stirn und schon zu­rück­wei­chen­dem Haar­wuchs, hat­te sich weit mit sei­nem Stuhl zu­rück­ge­lehnt und eine Wei­le schwei­gend das Ge­wühl auf der Tanz­flä­che und die Ne­ben­ti­sche ge­mus­tert. Nun sag­te er, wo­bei er die an­de­ren kaum an­sah: »Ein schlecht ge­wähl­ter Ver­samm­lungs­ort. Wir sind fast der ein­zi­ge nur mit Zi­vil be­setz­te Tisch hier im Saal. Wir fal­len auf.«

      Der Ka­va­lier des jun­gen Mäd­chens sag­te lä­chelnd zu die­sem, sei­ne Wor­te wa­ren aber für den Mann mit der ho­hen Stirn be­stimmt: »Im Ge­gen­teil, Gri­go­leit, wir wer­den über­haupt nicht be­ach­tet, höchs­tens ver­ach­tet. Die Herr­schaf­ten den­ken nur dar­an, dass ih­nen die­ser so­ge­nann­te Sieg über Frank­reich für ein paar Wo­chen Tan­zer­laub­nis ge­bracht hat.«

      »Kei­ne Na­men! Un­ter kei­nen Um­stän­den!«, sag­te der Mann mit der ho­hen Stir­ne scharf.

      Ei­nen Au­gen­blick schwie­gen alle. Das Mäd­chen mal­te mit dem Zei­ge­fin­ger et­was auf den Tisch, es sah nicht auf, ob­wohl es fühl­te, dass alle es an­sa­hen.

      »Je­den­falls, Tru­del«, sag­te der drit­te Mann mit dem Un­schulds­ge­sicht ei­nes groß­ge­wor­de­nen Säug­lings, »ist jetzt der rich­ti­ge Au­gen­blick für dei­ne Mit­tei­lung. Was gib­t’s? Die Ne­ben­ti­sche sind fast un­be­setzt, al­les tanzt. Los!«

      Das Schwei­gen der bei­den an­de­ren Män­ner konn­te nur Zu­stim­mung be­deu­ten. Tru­del Bau­mann sag­te sto­ckend, ohne hoch­zu­se­hen: »Ich habe, glau­be ich, einen Feh­ler be­gan­gen. Je­den­falls habe ich mein Wort nicht ge­hal­ten. In mei­nen Au­gen ist es frei­lich kein Feh­ler …«

      »Oh, höre auf!«, rief der Mann mit der ho­hen Stir­ne ver­ächt­lich. »Willst du jetzt auch in die Ge­wohn­hei­ten der Gän­se ver­fal­len? Schnat­te­re nicht, sage ge­ra­de­her­aus, was ist!«

      Das Mäd­chen sah hoch. Es sah lang­sam einen nach dem an­de­ren die drei Män­ner an, die sie, wie es ihr schi­en, mit grau­sa­mer Käl­te an­blick­ten. In ih­ren Au­gen stan­den zwei Trä­nen. Sie woll­te spre­chen, sie konn­te es nicht. Sie such­te nach ih­rem Ta­schen­tuch …

      Der mit der ho­hen Stirn lehn­te sich zu­rück. Er ließ einen lei­sen, ge­dehn­ten Pfiff er­tö­nen. »Sie soll nicht schnat­tern? Sie hat ja schon ge­schnat­tert! Seht sie bloß an!«


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