Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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ge­las­sen?«, frag­te der Kom­missar, ein we­nig un­ge­dul­di­ger.

      »Das Geld?« Sie ver­sucht, sich zu be­sin­nen. Es war ja wirk­lich noch et­was da ge­we­sen. Wo war es nur hin­ge­kom­men? Aber das schar­fe Nach­den­ken macht ihr Mühe, da­für fällt ihr et­was an­de­res ein. Sie hält das Sa­phi­r­arm­band dem Kom­missar hin. »Da«, sagt sie ein­fach. »Da!«

      Der Kom­missar Rusch wirft einen ra­schen Blick dar­auf, dann sieht er sich nach sei­nen bei­den Beglei­tern um, die­sem za­cki­gen HJ-Füh­rer und nach sei­nem stän­di­gen Ge­folgs­mann, dem Fried­rich, ei­nem di­cken Klotz, an­zu­se­hen wie ein Scharf­rich­ter­ge­hil­fe. Er sieht, dass die bei­den ihn ge­spannt be­ob­ach­ten. So stößt er die Hand mit dem Arm­band un­ge­dul­dig bei­sei­te, er packt die schwe­re Frau bei den Schul­tern und beu­telt sie or­dent­lich durch. »Wa­chen Sie jetzt end­lich auf, Frau Ro­sen­thal!«, schreit er. »Ich be­feh­le es Ih­nen! Sie sol­len auf­wa­chen!«

      Dann lässt er sie los: Ihr Kopf fällt hin­ten ge­gen die So­fa­leh­ne, der Kör­per sackt in sich zu­sam­men – ihre Zun­ge lallt et­was Un­ver­ständ­li­ches. Die­ses Mit­tel, sie wach zu ma­chen, scheint nicht ganz rich­tig ge­we­sen zu sein. Eine Wei­le be­trach­ten die drei schwei­gend die alte Frau, wie sie da zu­sam­men­ge­sun­ken hockt, das Be­wusst­sein scheint nicht in sie zu­rück­zu­keh­ren.

      Der Kom­missar flüs­tert plötz­lich ganz lei­se: »Nimm sie dir mal mit, da hin­ten in die Kü­che, und sieh, dass du sie wach kriegst!«

      Der Hen­kers­knecht Fried­rich nickt nur. Er nimmt die schwe­re Frau wie ein Kind auf den Arm und steigt vor­sich­tig mit ihr über die am Bo­den lie­gen­den Hin­der­nis­se fort.

      Die Tür klappt hin­ter den bei­den, der Kom­missar und der HJ-Füh­rer sind al­lein.

      Kom­missar Rusch steht am Fens­ter und sieht auf die Stra­ße. »Ru­hi­ge Stra­ße das«, sagt er. »Rich­ti­ger Kin­der­spiel­platz, wie?«

      Bal­dur Per­si­cke be­stä­tigt, dass die Ja­blons­ki­stra­ße eine ru­hi­ge Stra­ße ist.

      Der Kom­missar ist ein biss­chen ner­vös, nicht etwa we­gen der Sa­che, die der Fried­rich da mit der al­ten Jü­din in der Kü­che an­stellt. I wo, sol­che Sa­chen und tol­le­re noch ent­spre­chen sei­nem We­sen. Rusch ist ein ver­krach­ter Ju­rist, der den Weg zur Kri­mi­nal­po­li­zei fand. Die gab ihn spä­ter an die Ge­sta­po ab. Er tut ger­ne sei­nen Dienst. Er wür­de je­der Re­gie­rung ger­ne je­den Dienst ge­tan ha­ben, aber die za­cki­gen Metho­den die­ser Re­gie­rung ge­fal­len ihm be­son­ders. »Bloß kei­ne Ge­fühls­du­se­lei«, sagt er manch­mal zu ei­nem Neu­ling. »Wir er­fül­len un­se­re Pf­licht nur dann, wenn wir un­ser Ziel er­rei­chen. Der Weg da­hin ist ganz egal.«

      Nein, we­gen der ol­len Jü­din macht sich der Kom­missar nicht die ge­rings­ten Ge­dan­ken, er ist wirk­lich frei von je­der Ge­fühls­du­se­lei.

      Aber die­ser Jun­ge, der HJ-Füh­rer Per­si­cke, passt ihm nicht recht in den Kram. Er hat Au­ßen­sei­ter nicht ger­ne bei so was, man weiß nie ge­nau, wie sie’s auf­neh­men. Frei­lich, die­ser scheint die rich­ti­ge Sor­te, aber ge­nau weiß man es im­mer erst nach­her.

      »Ha­ben Sie ge­se­hen, Herr Kom­missar«, fragt Bal­dur Per­si­cke eif­rig – er will jetzt ein­fach nicht mehr nach der Kü­che hin­hor­chen, das ist de­ren Sa­che! »Ha­ben Sie ge­se­hen, sie trug kei­nen Ju­dens­tern?«

      »Ich habe noch mehr ge­se­hen«, sagt der Kom­missar nach­denk­lich, »ich habe zum Bei­spiel ge­se­hen, dass die Frau sau­be­re Schu­he an­hat­te, und drau­ßen ist Dreck­wet­ter.«

      »Ja«, be­stä­tigt Bal­dur Per­si­cke, noch ver­ständ­nis­los.

      »Also muss sie ei­ner hier im Hau­se ver­steckt ge­hal­ten ha­ben, seit Mitt­woch, wenn sie wirk­lich so lan­ge nicht in der Woh­nung war, wie Sie sa­gen.«

      »Ich bin fast si­cher«, fängt Bal­dur Per­si­cke an, et­was un­si­cher ge­macht durch die­sen nach­denk­li­chen, nicht von ihm ab­las­sen­den Blick.

      »Fast si­cher ist gar nichts, mein Jun­ge«, sagt der Kom­missar ver­ächt­lich. »Fast si­cher gibt es nicht!«

      »Ich bin ganz si­cher!«, sagt Bal­dur schnell. »Ich kann je­der­zeit be­ei­den, dass Frau Ro­sen­thal seit Mitt­woch nicht in ih­rer Woh­nung war!«

      »Schön­schön«, sagt der Kom­missar leicht­hin. »Sie wis­sen na­tür­lich, dass Sie seit Mitt­woch die Woh­nung un­mög­lich al­lein un­ter Beo­b­ach­tung ge­hal­ten ha­ben kön­nen. So was nimmt Ih­nen kein Rich­ter ab.«

      »Ich habe zwei Brü­der in der SS«, sagt Bal­dur Per­si­cke eif­rig.

      »Na schön«, gibt sich Kom­missar Rusch zu­frie­den. »Es wird al­les schon schief­ge­hen. Üb­ri­gens, was ich Ih­nen noch sa­gen woll­te, ich wer­de erst ge­gen Abend dazu kom­men, hier Haus­su­chung zu hal­ten. Vi­el­leicht ob­ser­vie­ren Sie die Woh­nung so lan­ge wei­ter? Schlüs­sel ha­ben Sie ja wohl?«

      Bal­dur Per­si­cke ver­si­chert zu­frie­den, dass er das ger­ne tun wür­de. Sei­nen Au­gen war tie­fe Freu­de an­zu­se­hen. Na also – so ging es auch, er wuss­te es ja, und ganz le­gal!

      »Es wäre ja ganz gut«, sagt der Kom­missar ge­lang­weilt und sieht wie­der aus dem Fens­ter, »wenn dann al­les etwa so rum­lä­ge wie jetzt. Na­tür­lich, für das, was in den Schrän­ken und Kof­fern ist, kön­nen Sie nicht ste­hen, aber sonst …«

      Ehe Bal­dur noch ant­wor­ten kann, er­tönt aus dem In­nern der Woh­nung ein schril­ler, ho­her Angst­schrei.

      »Ver­dammt!«, sagt der Kom­missar, tut aber kei­nen Schritt.

      Bleich, mit spit­zer Nase starrt ihn Bal­dur an, sei­ne Knie sind weich ge­wor­den.

      Der Angst­schrei ist so­fort er­stickt, man hört nur den Fried­rich flu­chen.

      »Was ich sa­gen woll­te …«, fängt der Kom­missar lang­sam wie­der an.

      Er spricht aber, im­mer­fort lau­schend, nicht wei­ter. Plötz­lich sehr lau­tes Schimp­fen in der Kü­che, Ge­trap­pel, Hin- und Her­stamp­fen. Nun brüllt Fried­rich sehr laut: »Wills­te gleich! Wills­te woll!«

      Dann ein lau­ter Schrei. Noch wüs­te­res Flu­chen. Nun wird eine Tür auf­ge­ris­sen, Ge­stampf über den Flur, und ins Zim­mer hin­ein brüllt Fried­rich: »Was sa­gen Sie nun, Herr Kom­missar? Gra­de hat­te ich sie so weit, dass sie ver­nünf­tig re­den konn­te, springt das Aas mir doch aus dem Fens­ter!«

      Der Kom­missar schlägt ihm wü­tend ins Ge­sicht: »Gott­ver­damm­ter Trot­tel, ich reiß dir die Kaldau­nen aus dem Lei­be! Los, schnell!«

      Und er stürzt aus dem Zim­mer, läuft die Trep­pen hin­un­ter …

      »Auf den Hof doch!«, ruft Fried­rich fle­hend, wäh­rend er hin­ter­drein­läuft. »Sie ist ja bloß auf den Hof ge­fal­len, nicht auf die Stra­ße! Es wird gar kein Auf­se­hen ge­ben, Herr Kom­missar!«

      Er be­kommt kei­ne Ant­wort. Alle drei lau­fen sie die Trep­pen hin­un­ter, wo­bei sie sich be­mü­hen, mög­lichst we­nig Lärm in


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