Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
wie ich höre, Frau –?« Die Dame wartete einen Augenblick, da ihr aber kein Name genannt wurde, lächelte sie unmerklich und sagte: »Aber bitte, nehmen Sie doch Platz! Sicher handelt es sich um eine Spende – ich gebe gerne, soweit es mir möglich ist.«
»Es handelt sich um keine Spende!« Anna Quangel stieß diese Worte fast zornig hervor. Sie empfand plötzlich eine tiefe Abneigung gegen dieses bildschöne Geschöpf, das doch nur ein Weibchen war und das nie Frau und Mutter werden würde, wie es Anna Quangel gewesen war und noch war. Sie hasste und verachtete die andere, weil sie nie jene Bindungen anerkennen würde, die Anna Quangel stets heilig und unverletzlich erschienen waren. Dieser da war alles nur ein Spiel, zu wahrer Liebe war sie völlig unfähig, und nur auf jene Beziehungen legte sie Wert, die Anna in ihrer Ehe mit Otto Quangel stets als einen ganz unwesentlichen Teil dieser Ehe erschienen waren. »Nein, keine Spende!«, stieß sie noch einmal ungeduldig hervor. »Sondern es handelt sich darum –«
Sie wurde noch einmal unterbrochen. »Aber bitte, nehmen Sie doch wirklich Platz! Ich kann doch nicht sitzen bleiben, wenn Sie hier stehen, und Sie als die Ältere …«
»Ich habe keine Zeit!«, sagte Anna Quangel. »Wenn Sie mögen, dann stehen Sie auf, sonst können Sie auch ruhig sitzen bleiben. Mir macht das nichts aus!«
Frau Gerich kniff die Augen ein wenig zusammen und musterte erstaunt diese biedere Frau aus dem Volke, die mit solcher Brutalität gegen sie vorging. Sie zuckte leicht mit den Achseln und sagte, immer noch liebenswürdig, aber nicht mehr ganz so verbindlich: »Ganz nach Ihrem Wunsch! Ich werde also sitzen bleiben. Sie wollten sagen …«
»Ich will Sie fragen«, sagte Frau Quangel entschlossen, »warum Sie nicht arbeiten? Sie haben doch sicher die Aufrufe gelesen, dass jeder in der Rüstungsindustrie arbeiten soll, der noch keine Beschäftigung hat? Warum arbeiten Sie also nicht? Was haben Sie für Gründe?«
»Ich habe den sehr guten Grund«, sagte Frau Gerich jetzt mit heiterer Gelassenheit und betrachtete nicht ohne Spott die verarbeiteten, vom Gemüseputzen verfärbten Hände der anderen, »dass ich noch nie in meinem Leben körperlich gearbeitet habe. Ich bin in keiner Weise für körperliche Arbeit geeignet.«
»Haben Sie es denn je versucht?«
»Ich denke gar nicht daran, mich durch einen solchen Versuch krank machen zu lassen. Ich kann jederzeit ein ärztliches Attest beibringen, dass –«
»Das glaube ich!«, unterbrach sie Frau Anna Quangel. »Ein Attest für zehn oder zwanzig Mark! Aber bei dieser Sache sind nicht die Atteste gefälliger Privatärzte gültig, sondern der Fabrikarzt des Betriebes, dem Sie zugewiesen werden, wird über Ihre Arbeitsfähigkeit entscheiden!«
Frau Gerich betrachtete für einen Augenblick das zornige Gesicht der Frau. Dann zuckte sie die Achseln. »Also schön, weisen Sie mich irgendeinem Betriebe zu! Sie werden ja sehen, was Sie davon haben!«
»Das werden Sie sehen!« Anna Quangel holte ein Heft hervor, ein in Wachstuch eingeschlagenes Heft, wie es die Schulkinder benutzen. Sie trat an ein Tischchen, schob ärgerlich eine Schale mit Blumen beiseite und feuchtete, ehe sie mit Schreiben anfing, den Bleistift mit der Zungenspitze an. Sie tat das alles bewusst, sie wollte die andere reizen; sie konnte nicht eher den Zweck dieses Besuches für erfüllt ansehen, ehe sie nicht die spöttische Gelassenheit der anderen zerschlagen und auch sie in Zorn gebracht hatte.
Was war der Vater gewesen? Tischlermeister, so – und dann im ganzen Leben nie körperlich gearbeitet! Nun ja, wir werden ja sehen. Wie groß ist denn hier der Haushalt? Drei Personen? Die Hausangestellte mit eingerechnet? Also eigentlich zwei Personen …
»Können Sie wirklich nicht Ihren Mann allein versorgen? Noch ein Mensch mehr der Rüstungsindustrie entzogen, werde ich mir auch notieren! Kinder haben Sie natürlich keine?«
Der anderen schoss jetzt auch das Blut in die Wangen, man sah es aber nur an den Schläfen, so gemalt war sie. Aber eine Ader über die Stirn weg zur Nasenwurzel hin fing an zu schwellen und zu klopfen.
»Nein, Kinder natürlich keine!«, sagte Frau Gerich jetzt auch sehr scharf. »Aber Sie können sich noch notieren, dass ich mir zwei Hunde halte!«
Anna Quangel richtete sich steif auf und sah die andere mit düster glühenden Augen an. (In diesem Augenblick hatte sie vollkommen vergessen, warum sie diesen Besuch gemacht hatte.) »Sagen Sie mal!«, rief sie und gab ihrer Stimme absichtlich einen gewöhnlichen Klang. »Wollen Sie mich und die Frauenschaft verhöhnen? Wollen Sie sich etwa über die Arbeitsbestimmungen und unsern Führer lustig machen? Ich warne Sie!«
»Und ich warne Sie!«, schrie Frau Gerich dagegen. »Sie scheinen nicht zu wissen, bei wem Sie sind! Ich und mich über eine Bestimmung lustig machen! Mein Mann ist Obersturmbannführer!«
»Ach so!«, sagte Anna Quangel. »Ach so!« Ihre Stimme war plötzlich ganz ruhig geworden. »Na ja, Ihre Angaben habe ich ja nun, Sie bekommen dann Bescheid! Oder haben Sie noch irgendwas geltend zu machen? Vielleicht eine kranke Mutter zu versorgen?«
Frau Gerich zuckte nur verächtlich mit den Achseln. »Ehe Sie jetzt gehen«, sagte sie, »möchte ich doch einmal Ihren Ausweis sehen. Ich hätte mir auch gerne Ihren Namen notiert.«
»Bitte!«, sagte Frau Quangel und hielt der anderen ihren Ausweis hin. »Steht alles drauf. Visitenkarten habe ich leider keine.«
Zwei Minuten später war Frau Anna Quangel gegangen, und nicht drei Minuten danach rief ein fassungsloses, in Tränen aufgelöstes Wesen den Obersturmbannführer Gerich an und berichtete ihm schluchzend, manchmal aber auch vor Wut mit den Füßen trampelnd, von der unerhörten Beleidigung, die ihr durch eine Botin der Frauenschaft angetan worden war.
»Nein, nein, nein«, gelang es dem Obersturmbannführer schließlich, beruhigend einzuschieben. »Wir werden selbstverständlich von Partei wegen dies nachprüfen. Aber du musst immer bedenken, dass Nachkontrollen notwendig sind. Natürlich war es eine Dämelei, mit so was zu dir zu kommen. Ich werde dafür sorgen, dass das nicht wieder vorkommt!«
»Nein, Ernst!«, schrie es förmlich am anderen Ende der Leitung. »Du wirst nichts derart tun! Sondern du wirst dafür sorgen, dass mich dieses Weib um Verzeihung bittet. Schon der Ton, in dem sie mit mir gesprochen hat! ›Kinder natürlich keine!‹, das hat sie gesagt. Damit hat sie auch dich beleidigt, Ernst – empfindest du das denn gar nicht?«
Der Obersturmbannführer musste es schließlich empfinden, er versprach seiner ›süßen Claire‹ alles, um sie zu beruhigen. Ja,