Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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Da sei ver­mut­lich eine ge­naue Nach­prü­fung fäl­lig! Ja­wohl, um Ver­zei­hung habe die­se Quan­gel-Quin­gel-Qu­un­gel sei­ne Frau zu bit­ten! Heu­te Abend noch, er müs­se doch sehr bit­ten! Er ver­lan­ge auch so­for­ti­ge Mel­dung von dem Ge­sche­he­nen!

      Als der Ober­sturm­bann­füh­rer schließ­lich an­häng­te, war er nicht nur blau­rot im Ge­sicht, son­dern er war jetzt auch fest da­von über­zeugt, un­ver­zeih­lich schwer be­lei­digt wor­den zu sein. Er rief so­fort sei­ne süße Claire an, muss­te es aber min­des­tens zehn­mal ver­su­chen, ehe er eine Ver­bin­dung mit ihr be­kam, denn sie war jetzt eif­rig da­bei, ihre Freun­din­nen von der ihr an­ge­ta­nen Schmach zu be­nach­rich­ti­gen.

      Das von ih­rem Man­ne aber ge­führ­te Te­le­fon­ge­spräch si­cker­te ein in das Netz von Ber­lin, es brei­te­te sich aus, es lief hier­hin und dort­hin, Er­kun­di­gun­gen wur­den ein­ge­zo­gen, Nach­fra­gen wur­den ge­hal­ten, streng ver­trau­lich wur­de ge­flüs­tert. Manch­mal schi­en das Ge­spräch ganz von sei­nem ur­sprüng­li­chen Zie­le ab­ge­kom­men, aber dank der Treff­lich­keit und Un­fehl­bar­keit des Selbst­wäh­ler­sys­tems fand es im­mer wie­der zu­rück, bis es schließ­lich, zu ei­ner La­wi­ne ver­grö­ßert, jene klei­ne Ge­schäfts­stel­le der Frau­en­schaft fand, der Anna Quan­gel un­ter­stellt war. Dort hat­ten zur­zeit zwei Da­men (eh­ren­amt­lich) Dienst, die eine weiß­haa­rig und dürr, mit dem Mut­ter­kreuz ge­schmückt, die an­de­re mol­lig und noch jung, aber mit Her­ren­schnitt und dem Par­tei­ab­zei­chen auf der schwel­len­den Brust ver­se­hen.

      Die Weiß­haa­ri­ge hat­te es er­wi­scht, sie hat­te zu­erst zum Te­le­fon ge­grif­fen, über sie stürz­te die­se La­wi­ne zu­erst da­hin. Sie wur­de völ­lig über­schüt­tet von ihr, sie ru­der­te hilf­los mit den Ar­men, sie warf fle­hen­de Bli­cke auf die Mol­li­ge, sie ver­such­te klei­ne Be­mer­kun­gen ein­zu­schie­ben: »Aber die Quan­gel – eine ganz zu­ver­läs­si­ge Frau. Ken­ne sie seit Jah­ren …«

      Um­sonst, nichts konn­te sie ret­ten! Kein Blatt wur­de, auch bei der Frau­en­schaft nicht, vor den Mund ge­nom­men, es wur­de ihr klar­ge­macht, was für eine Sau­wirt­schaft auf ih­rer Ge­schäfts­stel­le herr­sche. Sie kön­ne sich gra­tu­lie­ren, wenn sie da ei­ni­ger­ma­ßen mit sau­be­rer Wes­te her­aus­kam! Aber was die­se Quan­gel an­ge­he – na­tür­lich heu­te noch und für im­mer und ewig ab­set­zen und um Ver­zei­hung bit­ten, heu­te noch! Ja­wohl, Heil Hit­ler!

      Und kaum hat­te die Weiß­haa­ri­ge an­ge­hängt und be­gann, noch an al­len Glie­dern zit­ternd, der Mol­li­gen einen Be­richt zu ma­chen, so schrill­te wie­der das Te­le­fon, und eine an­de­re vor­ge­setz­te Dienst­stel­le fühl­te sich eben­falls be­ru­fen, zu schrei­en, zu schel­ten, zu dro­hen.

      Dies­mal hat­te es die Mol­li­ge ge­trof­fen. Auch sie wank­te un­ter die­sem An­prall, auch sie zit­ter­te, denn wenn sie auch schon in der Par­tei war, ihr Mann galt als po­li­tisch un­zu­ver­läs­sig, weil er als An­walt vor 1933 öf­ters ›Ro­te‹ vor Ge­richt ver­tei­digt hat­te. So eine Sa­che konn­te ih­nen den Hals bre­chen. Sie ver­such­te es mit De­mut, Be­reit­wil­lig­keit, tiefs­ter Er­ge­ben­heit. »Ja­wohl, ein be­dau­er­li­ches Ver­se­hen … Die­se Frau muss wahn­sin­nig ge­wor­den sein … Na­tür­lich, es wird al­les ge­sche­hen, heu­te Abend noch. Ich gehe sel­ber …«

      Um­sonst, al­les um­sonst! Die La­wi­ne stürz­te auch über sie nie­der und zer­brach ihr je­den Kno­chen im Lei­be. Sie war nur noch ein nas­ser Lap­pen.

      Und nun folg­te An­ruf auf An­ruf. Es war, als sei die Höl­le her­ein­ge­bro­chen! Sie be­ka­men kaum noch Atem, so rasch folg­te ein An­ruf dem an­de­ren. Schließ­lich flo­hen sie aus die­sem Büro, ein­fach un­fä­hig, die­se stän­dig wie­der­hol­ten Be­schimp­fun­gen wei­ter an­zu­hö­ren. Noch als sie die Tür ab­schlos­sen, hör­ten sie das Te­le­fon nach im­mer neu­er Beu­te schrei­en, aber sie gin­gen nicht wie­der zu­rück. Sie nicht, für kein Geld der Welt! Ihr Be­darf war ein­ge­deckt für heu­te, für mor­gen, für die nächs­ten Jah­re!

      Eine Wei­le mar­schier­ten sie schwei­gend ih­rem Zie­le, der Quan­gel’­schen Woh­nung, zu. Dann sag­te die eine: »Der wer­de ich es aber ge­ben, uns der­ar­ti­ge Schwie­rig­kei­ten zu be­rei­ten!«

      Und die mit dem Par­tei­ab­zei­chen: »So ist es. Die Quan­gel kann uns ganz egal sein! Aber Sie wis­sen ja, man hat auch so schon viel zu viel Schwie­rig­kei­ten …«

      »Ge­wiss!«, sag­te das Mut­ter­kreuz kurz und dach­te an einen Sohn, der in Spa­ni­en, aber auf der falschen, näm­lich auf der ro­ten Sei­te ge­kämpft hat­te.

      Aber die Un­ter­hal­tung mit Frau Anna Quan­gel ver­lief dann doch we­sent­lich an­ders, als die bei­den er­war­tet hat­ten. Frau Quan­gel ließ sich we­der an­don­nern noch ein­schüch­tern.

      »Er­klä­ren Sie mir bloß erst, was ich falsch ge­macht habe. Hier sind mei­ne No­ti­zen. Die Frau Ge­rich fällt un­ter das Ar­beits­dienst­pflicht-Ge­setz …«

      »Aber, Liebs­te, Bes­te« – dies sag­te die Mol­li­ge – »dar­um han­delt es sich hier doch gar nicht. Sie ist die Gat­tin ei­nes Ober­sturm­bann­füh­rers. Sie ver­ste­hen doch?«

      »Nein! Was hat das da­mit zu tun? Wo steht ge­schrie­ben, dass die Frau­en von hö­he­ren Füh­rern frei sind? Ich weiß da­von nichts!«

      »Sei­en Sie bloß nicht so be­griffs­stut­zig!«, mein­te die Weiß­haa­ri­ge streng. »Als Frau ei­nes hö­he­ren Füh­rers hat Frau Ge­rich hö­he­re Pf­lich­ten. Sie muss für ih­ren über­ar­bei­te­ten Mann sor­gen.«

      »Muss ich auch.«

      »Sie hat große Re­prä­sen­ta­ti­ons­pflich­ten.«

      »Was ist denn das?«

      Nichts zu ma­chen mit der Frau, nichts mir ihr an­zu­fan­gen, sie sieht ihr Un­recht nicht ein. Sie will ein­fach nicht be­grei­fen, dass hö­he­re Füh­rer mit all ih­ren An­ver­wand­ten von all ih­ren Pf­lich­ten ge­gen den Staat und die Ge­mein­schaft be­freit sind.

      Die Mol­li­ge mit dem Ha­ken­kreuz ist es, die den wirk­li­chen Grund für Frau Anna Quan­gels Hart­nä­ckig­keit zu er­mit­teln meint. Sie ent­deckt das Foto ei­nes bläss­lich, un­ter­er­nährt aus­se­hen­den Jun­gen an der Wand, mit ei­nem Kranz und ei­ner Trau­er­schlei­fe ge­schmückt. »Ihr Sohn?«, fragt sie.

      »Ja«, ant­wor­tet Anna Quan­gel kurz und ver­dros­sen.

      »Ihr ein­zi­ger – ge­fal­len?«

      »Ja.«

      Die Weiß­haa­ri­ge mit dem Mut­ter­kreuz sagt mil­de: »Man soll eben nicht nur einen Sohn in die Welt set­zen!«

      Anna Quan­gel hat eine has­ti­ge Ant­wort auf der Zun­ge. Aber sie ver­kneift sie sich noch. Sie will nicht jetzt noch al­les ver­der­ben.

      Die bei­den Da­men tau­schen einen Blick. Ih­nen ist al­les klar. Die­se Frau hat den ein­zi­gen Sohn ver­lo­ren, und da sieht sie solch eine Dame, von der sie meint, sie will sich ei­ner klei­nen Pf­licht ent­zie­hen, nicht das ge­rings­te Op­fer brin­gen … So was muss ja schief­ge­hen.

      Die Mol­li­ge sagt: »Sie wer­den sich doch ent­schlie­ßen, eine klei­ne Ent­schul­di­gung vor­zu­brin­gen?«

      »So­bald Sie mir be­wie­sen ha­ben, dass ich im Un­recht bin.«

      Die


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