Die Vampirschwestern 10 - Ein Date mit Bissverständnis. Franziska Gehm
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Franziska Gehm
Die Vampirschwestern – Ein Date mit Bissverständnis
Liebe macht blöd
Glaubst du etwa nicht an die wahre, flammende Liebe, bei der man lichterloh brennt? Bei der alle anderen irdischen Belange nichtig werden?‘, fragte er. ‚Oh, wie gerne würde ich in dieses süße Reich der Gefühle fliehen‘, erwiderte sie. ‚Doch schon allzu oft brach man mir gar grausam mein unschuldiges Herz. Es wurde zerschmet–‘“
„SILVANIA! Lies deinen Liebes-Fumpfs-Roman gefälligst leise!“ Daka hing kopfüber an der Metallleine, die durchs gemeinsame Zimmer der Vampirschwestern gespannt war. „Sonst verstopfen meine Gehörgänge noch vor lauter Schmalz.“ Sie bohrte sich den kleinen Finger ins Ohr, zog ihn heraus und tat so, als würde sie eine Ladung Schmalz durchs Zimmer schnipsen.
Silvania, Dakas sieben Minuten ältere Schwester, saß unter ihr in einem alten Samtsessel, hatte die Beine übereinandergeschlagen und ein dickes Buch auf dem Schoß. „Skyzati“, sagte Silvania.
Das war Vampwanisch und hieß „Entschuldigung“. Silvanias Ton war allerdings so spitz und zitronig, dass „Bunkprum“ besser gepasst hätte. Auch das war Vampwanisch und hieß so viel wie „oller Sargpupser“.
„Ich wollte Helene nur in die richtige Stimmung für ihren Chat mit Murdo bringen“, sagte Silvania.
Helene war die beste Freundin der Vampirschwestern. Sie saß am Schreibtisch vor einem Laptop. Ihre Finger flogen wie Spinnenbeinchen über die Tastatur, während sie mit glänzenden blauen Augen auf den Bildschirm starrte. Sie bekam vom Schmalz der Vampirschwestern nichts mit. Sie war gerade in einer anderen Welt: im Vampir Vunio Zettercorda, kurz VampirVZ.
„Liegt Murdo denn in seinem virtuellen Sarg?“ Daka schielte auf den Laptopbildschirm, erkannte aber nichts.
„Hat er dir eine romantische Nachricht in den Sargdeckel geritzt?“, fragte Silvania und richtete sich im Samtsessel auf.
„Oder dir eine virtuelle Fledermaus mit einem Kanister Blut geschickt?“, fragte Daka.
„Oder hat er dich gegreißt?“ Silvania zwinkerte Daka verschwörerisch zu.
Greißen war eine Mischung aus liebevollem Beißen und Grüßen. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hätte Daka auch nichts dagegen gehabt, von Murdo mal so richtig schön gegreißt zu werden. Murdo war wild, verwegen und finster. Und er war ein Star. Zumindest in Bistrien, der unterirdischen, transsilvanischen Heimatstadt von Silvania und Daka Tepes. Murdo war der unwiderstehlich modrige Sänger der unwahrscheinlich muffigen Band Krypton Krax.
Als Helene mit den Vampirschwestern in den Ferien nach Bistrien geflogen war, hatte sie Murdo bei einem Konzert kennengelernt. Knallbumm oder rapedadi, wie man auf Vampwanisch sagen würde, hatte sie sich in ihn verliebt. Bisher war es weder zum Kuss noch zum Biss gekommen. Aber die Botschaften, die Murdo im VampirVZ an Helene schickte, brachten ihr Blut in Wallung – was Murdos Eckzähne wiederum vor Entzückung zum Quietschen brachte.
„He, Helene!“ Daka schaukelte an der Metallleine. „Hast du dein Hörgerät ausgeschaltet?“
„Ich würde sagen, das ganze Gehirn“, meinte Silvania und musterte Helene wie eine Chefärztin mit Kennerblick. „Oder aber Liebe macht nicht nur blind, sondern auch taub.“
„Gumox! Liebe macht blöd. Sieht man doch.“ Daka blickte mitleidig zu Helene.
Helene tippte ungestört fieberhaft auf der Tastatur. Die feinen blonden Härchen auf ihren Armen, die wie immer mit Kugelschreiber-Tattoos verziert waren, stellten sich vor Prickeln auf.
„Ist schon klasse, wenn man eine Freundin hat, die immer ein offenes Ohr und Zeit für einen hat.“ Daka sah zu Helene.
Silvania nickte. „Eine Freundin, mit der man sich richtig gut unterhalten kann.“
„Soll ja Freundinnen geben, die hocken nur vor dem Computer und schweigen sich an“, meinte Daka.
„Echt? Wie furchtbar!“ Silvania schielte zu Helene. „Stell dir vor, man sitzt zusammen mit der Freundin in einem Zimmer und man ist Luft für sie.“
„Ach komm, hör auf, so etwas gibt es doch gar nicht“, erwiderte Daka.
Plötzlich knallte ein tennisgroßes dunkelgraues Bündel gegen das Fenster. Silvania und Daka zuckten zusammen. Helene tippte unbeirrt weiter.
„Fledermauspost!“ Daka schwang sich mit einer Rolle rückwärts von der Leine und flopste zum Fenster. Sie holte die Fledermaus herein, nahm ihr das Papierröllchen ab und hängte sie an die Metallleine. Dann fischte sie aus einem Spinnennetz eine Fliege und fütterte damit die Fledermaus. Nach dem langen Flug aus Transsilvanien hatte sie sich eine Stärkung verdient.
Silvania sah gespannt zu ihrer Schwester, die das Papierröllchen öffnete.
Helene blickte gebannt auf den Bildschirm.
Einen Moment wurde es totenstill im Zimmer. Dann riefen Daka und Helene plötzlich wie aus einem Mund:
„KRYPTON KRAX GEHEN AUF TOUR!“
Silvania rutschte der dicke Liebesroman vom Schoß, als sie aufsprang. „Schlotz zoppo!“
Helene fuhr am Schreibtisch herum. Ihre Augen funkelten vor Freude und Aufregung. „Murdo hat es mir gerade in den Sarg geritzt! Krypton Krax kommen zu uns nach Deutschland, nach Bindburg! Aaaaaaaah!“ Sie kreischte und trommelte mit den Füßen auf den Boden, zog sich an den Haaren und schüttelte danach den Kopf wild hin und her.
Silvania hatte wieder den Chefärztinnenblick aufgelegt und musterte sie besorgt.
„Und hier schreibt Murdo“, Daka hielt das Papierröllchen hoch, „dass wir in Bindburg die Managerinnen der Band sein sollen. Er sagt, wir sollen eine modrige Location für das Konzert auschecken, eine gruftige Bude zum Pennen für sie finden und mal schön bissig Werbung machen, damit viele leckere Fans aller Blutgruppen kommen.“
„Zensatoi futzi!“ Helene sprang auf den Schreibtisch und führte einen Ausdruckstanz auf. Es sah gefährlich aus.
Dr. Silvania machte ein Gesicht, als müsste dringend eine Not-OP durchgeführt werden.
Doch davon ließ sich Helene nicht stören. Sie und Daka hüpften auf den Möbeln durchs Zimmer, sprangen im Kreis und riefen: „KRYPTON KRAX AUF TOUR, boi, boi, boi!“
Friedhofsnotizen
Als Helene an diesem Nachmittag das Haus der Familie Tepes verließ und den Lindenweg entlanglief, hatte sie das Gefühl, genau wie ihre besten, bissigen Freundinnen fliegen zu können. Wie eine riesengroße Seifenblase kam sie sich vor. Eine Seifenblase voller rosa Brausepulver, in der es kribbelte, gluckerte und vergnügt quietschte.
Immer wieder musste sie an die Nachricht von Murdo denken – und dann schnell die Luft anhalten, damit sie vor Freude und Aufregung nicht laut loslachte. Am liebsten hätte sie es der ganzen Welt entgegengeschrien: MURDO KOMMT!
Murdo Dako-Apusenu. Sänger von Krypton Krax. König ihres Herzens. Wie oft hatte Helene sich in den letzten Monaten zurückgeträumt nach Transsilvanien! Wie oft hatte das Konzert in den Baumkronen des finsteren Waldes vor ihrem inneren Auge (und Ohr) stattgefunden? Murdo hatte sie damals auf die Bühne geholt und mit ihr zusammen ein Liebeslied gesungen. Danach hatte er sie durch die Luft gewirbelt, dass Helene nicht mehr gewusst hatte, ob sie Haare auf dem Kopf oder an den Füßen hatte. Verwirrt genug war sie ohnehin schon gewesen, allein von Murdos flammengleichen Blicken aus seinen orangefarbenen Augen und seinen lila Lippen, die hervorragend zu seiner blassen Haut passten. Dazu noch seine Stimme – tief und rau wie das Gurgeln im Abfluss der Badewanne. Helene badete seitdem sehr häufig.
Silvania und Daka waren allerdings gar nicht erfreut darüber gewesen, dass Helene sich ausgerechnet in Murdo verliebt hatte. Murdo war ein Vampir. Beißen, saugen, unsterblich, Knoblauchallergie, das ganze Programm. Nicht nur das, er stammte aus einem besonders aggressiven und blutrünstigen Vampirgeschlecht, den Transgiganten. Obwohl es Silvania und Daka zu verhindern versucht hatten, war es Helene damals gelungen, Murdo alleine im transsilvanischen Wald zu