Fürstenkrone Staffel 8 – Adelsroman. Maria Czigler Bianca
stieß und das Porzellan heftig aneinanderklirrte, zuckte Ulrike erschrocken zusammen.
Der Rokokospiegel entglitt ihr und polterte auf die Kommode. Als die Baroness ihn wieder aufhob und zurückstellen wollte, stieß sie einen erschrockenen Schrei aus.
Drei große Risse durchzogen das Kristallglas.
»Wie …, wie kann ich das nur wieder gutmachen?«, stammelte die Baroness und kam mit dem antiken Spiegel zu Tante Ludovica zurück. »Er ist mir aus der Hand gerutscht«, fügte sie entschuldigend hinzu.
»Ach, das werde ich schon noch verkraften können«, antwortete die alte Dame und schmunzelte. »Die Permonts gehören ja nicht zu den Ärmsten im Lande.«
»Das bringt Unglück«, orakelte Amanda, die den Tee servierte. »Bei uns zu Hause sagte man jedenfalls so. Drei Risse? Das bedeutet drei Monate oder drei Jahre Unglück.«
»Vielleicht auch nur drei Tage?«, meinte Tante Ludovica bissig.
»Vielleicht auch das«, antwortete Amanda ahnungslos.
»Hören Sie auf, mir das Kind zu ängstigen«, wetterte die alte Dame plötzlich und klopfte mit dem Gehstock auf den Boden. »Ich will von diesem Aberglauben nichts hören. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, aber ich wollte doch nur …«
»Lassen Sie uns allein«, forderte Tante Ludovica herrisch.
»Wie Sie wünschen, Gräfin.« Amanda neigte den Kopf und verließ rasch das blaue Zimmer.
»Nimm das Geschwätz nicht ernst«, sagte Tante Ludovica jetzt. »Amanda ist abergläubisch, das ist alles. Mir ist schon so mancher Spiegel aus der Hand gefallen, aber ich hatte deshalb kein Pech.«
»Ach, im Grunde bin ich auch nicht abergläubisch«, entgegnete Ulrike nachdenklich. »Doch warum passiert es ausgerechnet jetzt?«
»Wie meinst du das?«, Tante Ludovica betrachtete nachdenklich ihr leeres Glas. Soll ich mir noch einen genehmigen?, fragte sie sich insgeheim. Nein, lassen wir es lieber, Ulrike könnte sich falsche Gedanken über mich machen.
»Ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll …« Ulrike von Menden zögerte. Wenn sie ihre Befürchtungen artikulierte, stellte sie Tante Ludovicas Neffen nicht gerade ein gutes Zeugnis aus.
»Zier dich nicht, mir kannst du alles sagen.« Die hellen grauen Augen fixierten die Baroness scharf.
»Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich an Gerhard denke«, gestand Ulrike.
»Er hat nur einmal angerufen, geschrieben hat er überhaupt nicht. Tante Ludovica, halte mich bitte nicht für hysterisch, aber ich werde den Gedanken nicht los, dass sich auf Capri irgendetwas ereignet hat …«
»Eine Frau? Unsinn.« Leichte Unsicherheit im Ton der Gräfin klang mit.
»Und jetzt die Geschichte mit dem Spiegel?«
Ulrike schüttelte den Kopf. »Hoffentlich habe ich unrecht.«
»Reden wir nicht mehr davon«, schlug die Gräfin leichthin vor. »Liebes Kind, ich verspreche dir, dass ich Gerhard zurückbeordern werde, sobald er noch mal anruft. Wird dir jetzt ein bisschen leichter ums Herz?«
»Ja, es geht schon wieder.« Die Baroness riss sich zusammen. Hatte Tante Ludovica nicht recht? »Nimm mich nicht so ernst. Wahrscheinlich habe ich mich wirklich zu sehr von Amanda anstecken lassen.«
Die Gräfin und die Baroness plauderten noch eine gute Stunde, dann fuhr Ulrike von Menden zur Stadt zurück, in der sie eine Villa bewohnte.
*
Mode hatte Gerhard Graf von Permont noch nie sonderlich interessiert, doch seit Tagen besuchte er nun schon die Boutique Bella Anacapri, kaufte sinnlos ein paar Seidenschals, Blusen für Ulrike und eine fantastische Spitzenstola für Tante Ludovica.
Und das alles nur, um eine rassige Schönheit wiederzusehen, der er vor ein paar Tagen hier begegnet war. Seit diesen wenigen Sekunden, in denen er sich im tiefsten Samtbraun ihrer Augen verloren hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken.
Ich muss sie wiedersehen, war am Morgen sein erster Gedanke, der ihn auch sofort aus dem Bett trieb. Nach einem hastigen Frühstück auf der Terrasse des Hotels spazierte Graf Gerhard den ganzen Tag über durch das Städtchen Anacapri, in der Hoffnung, die wunderschöne Fremde wiederzusehen.
Gerhard kannte sich selbst nicht wieder, und an Liebe auf den ersten Blick hatte er noch nie geglaubt.
»Es muss wohl so etwas geben«, murmelte er missgelaunt und starrte in die Schaufensterauslage der Boutique. Eigentlich sollte Gerhard schon längst wieder auf Schloss Pallenberg sein, doch er konnte sich zu dieser Reise nicht entschließen.
Zuvor musste er die Fremde wiedersehen, die ihm den Schlaf raubte und durch seine Träume geisterte.
Tante Ludovica wird wütend sein, dachte er, und an Ulrike wage ich gar nicht zu denken. Seiner Freundin gegenüber hatte Gerhard ein besonders schlechtes Gewissen, doch jedes Mal, wenn er diesen Punkt erreichte, schob er die Gedanken an zu Hause rigoros beiseite.
Absichtslos hob Gerhard von Permont den Kopf.
Siedend heiß durchzuckte es ihn, als er die rassige Schönheit im Spiegel des Fensters wiedererkannte.
Dass sie in Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes war, störte Gerhard zwar, hinderte ihn jedoch nicht daran, alles daranzusetzen, die Fremde kennenzulernen.
Sie begab sich an der Seite des Mannes in die Boutique, und noch bevor Gerhard ihr folgen konnte, kam ihr Begleiter wieder heraus.
Der Graf lächelte, als er dem elegant gekleideten Mann nachsah. War das nicht eine Fügung des Schicksals, dass er, Gerhard, die schöne Fremde gleich allein antreffen würde?
Nichts hielt Gerhard mehr zurück. Er betrat die Boutique und schaute sich suchend um. Drüben im anderen Raum, in dem nur Seidenartikel verkauft wurden, stand die Dunkelhaarige und drehte ihm den Rücken zu.
Gerhard von Permont schlenderte hinüber. Er blieb neben der Fremden stehen und griff nach einem hellgrauen Seidenschal, den er eingehend betrachtete.
Zumindest gab er sich diesen Anschein. In Wirklichkeit waren all seine Sinne auf die Fremde gerichtet. Wenn sie sich bewegte, streifte ihn ein Hauch ihres schweren Parfüms, und in diesen Augenblicken schloss Gerhard unwillkürlich die Augen.
Ich kann doch nicht nur stumm neben ihr stehen, dachte er. Ich muss irgendetwas unternehmen …
Hinter Gerhard befand sich ein großer Spiegel. Der Graf drehte sich um, hielt das Seidentuch unters Kinn. Unschlüssig betrachtete er sich.
Es entging Gerhard nicht, dass ihn der Blick der dunkelhaarigen Schönen ab und zu streifte. Ja, und manchmal glaubte Gerhard sogar, ein amüsiertes Aufblitzen in ihren Samtaugen zu erkennen.
Er drehte sich um, verneigte sich und redete die Fremde an. »Verzeihen Sie, Signora, dass ich Sie anspreche, aber ich fühle mich hilflos. Können Sie mir helfen? Sagen Sie mir, ob mich dieser Seidenschal kleidet?«
Als Gerhard keine Antwort erhielt, ihn statt dessen jedoch ein seltsam fragender, vorwurfsvoller Blick streifte, verneigte er sich und räusperte sich.
»Verzeihen Sie, ich habe mich nicht vorgestellt. Ich bin Graf Permont. Gerhard von Permont.« Der Graf hatte sich der englischen Sprache befleißigt, denn sein Italienisch war nicht salonfähig.
»Sie sind Deutscher?«, fragte die rassige Schöne mit kaum merklichem Akzent.
»Oh …, ja …, sicher …«, Gerhard stotterte vor Verlegenheit. »Ich freue mich, dass Sie meine Sprache sprechen, Signora. Die Ihre werde ich sicher noch vollends lernen. Signora …«
Der junge Graf brannte darauf, den Namen seiner Angebeteten zu erfahren.
»Ich bin Silvia Contessa de Mirandola«, stellte sie sich vor und neigte anmutig den Kopf.
Jetzt war Gerhard restlos begeistert.