Mami Staffel 7 – Familienroman. Lisa Simon
lächelte mit einer Spur Stolz in den Augen.
»Melinda arbeitet bei der Deutschen Bank«, vertraute er Roberta offenherzig an. »Sie ist im Börsen- und Devisenhandel tätig. Ein sehr aufreibender Job und zudem eigentlich fest in Männerhänden. Daß sich eine Frau auf diesem Platz tummelt, ist den meisten sowieso suspekt. Daß diese Frau nun aber auch noch ihre Vorgesetzte ist, macht die Sache nur schlimmer. Melinda muß jeden Tag neu beweisen, daß sie besser ist als alle anderen.«
Das war das Los der meisten Frauen in Führungspositionen. Aber Roberta nahm an, daß Melinda den richtigen Biß besaß, um sich zu behaupten. Sie machte jedenfalls nicht den Eindruck eines Mimöschens, das bei der kleinsten Schwierigkeit in Tränen ausbrach.
Stephan seufzte und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
»Der Wein ist lecker«, lobte er den Tropfen mit Kennermiene. »Sehr fruchtig und lieblich, aber mit dem richtigen Schuß Herbe, um nicht süß zu sein.«
»Danke.« Roberta führte ihr Glas ebenfalls an die Lippen. »Ich kaufe ihn ausschließlich von einem Bekannten im Rheingau. Er besitzt dort eine eigene Winzerei.«
»Melinda trinkt lieber Sekt.« Nachdenklich drehte Stephan den Stiel des Glases zwischen seinen Fingern. »Das heißt, am liebsten mag sie Champagner. Sie hat einen exquisiten Geschmack.« Er seufzte und stellte das Glas auf den Tisch zurück. »Mir ist ein guter Wein lieber. Oder ein richtig schön gezapftes Bier«, fügte er mit einem kleinen Schmunzeln hinzu.
Roberta lehnte sich zurück und schickte einen nachdenklichen Blick zum sternenübersäten Himmel hinauf.
»Mir auch«, murmelte sie abwesend. »Herrlich, diese Nacht. Das Wasser fühlt sich bestimmt wie Seide an.« Plötzlich biß das Teufelchen zu. Roberta sprang auf und klatschte unternehmungslustig in die Hände. »Wissen Sie was? Wir gehen schwimmen!«
»Jetzt?« Stephan starrte sie vollkommen verdattert an. »Es ist gleich Mitternacht.«
»Na und?« Roberta lachte unbekümmert. »Was macht das? Los, seien Sie kein Spießer. Stehen Sie auf und holen Sie Ihre Badesachen. In fünf Minuten starten wir.«
»Also – gut…« Stephan zögerte noch. Er schien nicht spontan zu sein. Eher der Typ Mensch, der alles, was er tut, erst einmal gründlich bedenkt. Aber dann sprang Robertas Unternehmungslust auf ihn über.
Früher hätte ich doch auch nicht stundenlang überlegt, rügte sich Stephan selbst, während er sich in Bewegung setzte. Da konnte mir eine Sache gar nicht verrückt genug sein. Himbeereis zum Frühstück, mhmhm… und mitten in der Nacht zum Erbsensuppe essen in Häns-chens Eckkneipe oder über den Zaun der Badeanstalt und dann oben und unten ohne im Schwimmbecken herumgetollt, bis die Polizei kam…
Gott, er hätte Stories erzählen können! Und heute? Heute schreckte er schon zurück, wenn es bloß darum ging, mitten in der Nacht und ganz legal in der Nordsee ein Bad zu nehmen!
Stephan kletterte einfach über den Zaun und verschwand im Haus. Keine fünf Minuten später war er wieder da, ein zusammengerolltes Handtuch unter dem Arm und ein breites Grinsen auf dem Gesicht.
»Sonnencreme habe ich nicht mitgebracht«, neckte er Roberta fröhlich. »Hoffentlich scheint der Mond nicht so doll.«
Roberta schickte einen Blick zum Himmel hinauf, an dem der dicke gelbe Planet leuchtete. Millionen Sterne funkelten wie Diamanten auf schwarzem Samt.
Das Mondlicht beschien den Weg durch die Dünen und ließ das Wasser der Nordsee wie pures Silber glitzern. Der sanfte Wind, der durch das Dünengras streifte, brachte den Duft nach Teer und Tang mit.
Die See war so platt wie ein Ententümpel. Mit einem wohligen Seufzer glitt Roberta ins Wasser, drehte sich auf den Rücken und ließ sich einfach treiben.
Es war wunderschön. Der Körper, schwerelos im seidigwarmen Wasser, nur das leise Plätschern der winzigen Wellen, die Stephan durch seine Schwimmbewegungen verursachte, und über sich dieser tolle schwarze Himmel mit seinen Milliarden von Sternen und diesem prallen gelben Mond, der die Landschaft in ein klares und dennoch geheimnisvolles Licht tauchte.
Eine Weile schwammen sie nebeneinander her, planschten wie die Kinder herum und kehrten schließlich, vom Spielen atemlos, ans Ufer zurück.
Sorglos schlüpfte Roberta in ihr T-Shirt, rollte Jeans und Handtuch zusammen und wartete, bis auch Stephan seine Siebensachen zusammengepackt hatte.
Anschließend brachen sie zu einem kleinen Spaziergang auf, der sie am Ufer entlangführte, wobei die seichte Dünung ab und zu ihre Füße umspülte.
»Darf ich auch mal neugierig sein?« fragte Stephan, nachdem sie eine ganze Weile schweigend gegangen waren.
Roberta blieb stehen und musterte ihn lächelnd. Stephan konnte die winzigen goldenen Reflexe sehen, die das Mondlicht in ihre Augen zauberte.
»Was heißt ›auch mal‹?« erkundigte sie sich neckend.
Er lachte leise.
»Also gut, nur ›mal‹. Darf ich mal neugierig sein?« Als Roberta nickte, fuhr er fort: »Was machen Sie beruflich? Ich meine, sechs Wochen Urlaub am Stück kann sich heute doch kaum noch ein normaler Angestellter leisten.«
Roberta ließ die Blicke über das Meer wandern. Das Mondlicht färbte es silbern, nur der Tanker, der weit draußen am Horizont dahinzog, war schwarz wie ein Scherenschnitt.
»Ich bin Schriftstellerin«, antwortete sie endlich.
Stephan stutzte einen Moment, dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn.
»Rob Simonas, na klar!« Plötzlich wirkte er aufgeregt. »Sie sind Rob Simonas, nicht wahr? Die bekannte Drehbuch- und Romanautorin, die einen Bestseller nach dem anderen produziert. Wieso bin ich nicht gleich drauf gekommen?«
Jetzt war es Roberta, die verwundert reagierte.
»Wieso sollten Sie?« fragte sie erstaunt. »Erstens bin ich bei weitem nicht so berühmt und erfolgreich, wie Sie es jetzt darstellen, und zweitens – nun ja – eigentlich kennen nur wahre Leseratten diese Abkürzung meines Vornamens.«
»Ah, und ich sehe aus wie ein Sekundäranalphabet?« hakte Ste-phan sofort nach. Da erst wurde Roberta klar, was sie ihm unfreiwillig unterstellt hatte.
»Nein, natürlich nicht«, versuchte sie die Scharte wieder auszuwetzen. »Ich wollte damit nur sagen, daß…« Hilflos brach sie ab. Wie sollte sie sich aus der Affäre ziehen? »Ach, verdammt, ich wollte eigentlich nur sagen, daß ich nicht so bekannt bin, daß jeder meinen Namen kennen muß.«
Stephan lächelte.
»Nun, ich kenne Ihren Namen«, erwiderte er sanft. »Und ich habe sogar zwei Ihrer Bücher gelesen. Ziemlich blutrünstig, muß ich sagen, aber wahnsinnig spannend. Sie verstehen es, den Leser zu fes-seln.«
»Danke.« Obwohl Roberta nicht besonders eitel war, schmeichelte ihr das Lob. Vielleicht, weil es Ste-phan Hollrieder war, der es ausgesprochen hatte?
Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis Stephan plötzlich stehenblieb und sich mit einem tiefen, wohlig klingenden Seufzer einfach hintenüber in den Sand fallen ließ.
»Ach, ist das schön!«
Roberta betrachtete ihn einen Moment verwirrt, dann ließ sie sich neben ihm nieder.
»Ja, es ist herrlich«, stimmte sie zu. »Ich weiß gar nicht, wie lange ich mich nicht mehr so wohl gefühlt habe. Hier werden all die Dinge, die man zu Hause so furchtbar ernst nimmt, ganz, ganz unwichtig.«
Stephan verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte zum Himmel empor. … werden Dinge, die man zu Hause furchtbar ernst nimmt, ganz, ganz unwichtig… Robertas Worte kreisten in seinem Kopf. Hatte sie recht? Ja, sie hatte! Wenn nur Melinda genauso empfinden würde!
Aber Mel war so gefangen in ihrer Zahlenwelt, daß sie sich weder an der Landschaft, noch dem schönen Wetter erfreuen konnte. Allmählich begann Stephan