Butler Parker 140 – Kriminalroman. Günter Dönges
ist, Mr. Parker, wenn das Tor verschlossen sein sollte?« sorgte sich die ältere Dame.
»Es wird sich Myladys Wünschen beugen«, antwortete der Butler gemessen, denn unter seinen schwarz behandschuhten Fingern hatte es bisher noch kein Schloß gegeben, das seinen Widerstand nicht nach wenigen Augenblicken aufgegeben hätte ...
*
Desmond Ball hielt eine Schlange in den nackten Händen.
Es handelte sich um eine veritable Grubenotter, wie Parker sah. Das Reptil war äußerst gereizt und klapperte mit seiner stark ausgebildeten Schwanzrassel. Der Rachen der Schlange war weit geöffnet, und die Giftzähne standen deutlich hervor.
Desmond Ball lehnte sich an einen weißen Labortisch, auf dem Meßbecher und Glaskolben zu sehen waren. Es machte ihm nichts aus, daß der starke Leib des Reptils sich um seinen linken Unterarm wand, denn die Giftzähne des Reptils bedrohten nicht ihn, sondern einen Besucher, den der Butler erst vor einer halben Stunde im Gasthof angesprochen hatte. Es war der kreidebleiche John Midhurst. Er stierte förmlich auf den Rachen der Schlange, wich zurück und bewegte sich dabei mit einer Vorsicht, als stünde er auf Glatteis.
»Sie ... Sie sind verrückt, Ball«, sagte Midhurst mit belegter Stimme, »lassen Sie den Unsinn... Machen Sie sich nicht unglücklich!«
»Das Tier ist völlig harmlos«, behauptete der Besitzer der Schlangenfarm, »wollen Sie es nicht mal anfassen? Sie werden überrascht sein, wie kühl und glatt so ein Schlangenleib ist...«
»Bleiben Sie stehen«, erwiderte John Midhurst, der nicht weiter zurückweichen konnte. Sein Rücken berührte bereits die gekachelte Wand des kleinen Labors. »Bleiben Sie stehen, oder ...«
»Oder was, Midhurst«, sagte Desmond Ball freundlich, »falls Sie schießen wollen, dann kann ich Ihnen nur gratulieren. Die Schlange wird schneller sein als Sie ...«
»Wenn Sie gestatten, möchte ich mich dieser Lagebeurteilung vollinhaltlich anschließen«, schaltete sich Josuah Parker in diesem Augenblick in das Gespräch ein. Er lüftete höflich die schwarze Melone, als Ball und Midhurst sich zu ihm umwandten. Josuah Parker stand in der Seitentür und schien das Reptil in Balls Händen nicht zu sehen.
Desmond Ball hatte plötzlich Schwierigkeiten mit der Schlange. Das starke, ausgewachsene Tier bäumte sich auf, wand sich verzweifelt und ... glitt dann aus Balls Händen. Der Besitzer der Schlangenfarm reagierte augenscheinlich automatisch. In dem Bestreben, einem Giftbiß zu entgehen, warf er die Grubenotter weit von sich – unglücklicherweise in Parkers Richtung.
Josuah Parker ließ sich keinen Moment aus der Fassung bringen. Sein altväterlich gebundener Universal-Regenschirm zuckte wie ein ausfallender Degen und stoppte den Flug des Reptils. Die Grubenotter schnappte prompt zu und – verbiß sich in den Falten des Schirms. Sie ahnte nicht, daß dieser Schirm keineswegs mit schwarzer Seide allein bestückt war. Unter der Seide befand sich feines, aber zähes Gewebe aus Glasfiberfäden. Die Giftzähne trafen also auf Widerstand und verfingen sich.
Mit der linken Hand faßte der Butler blitzschnell zu und erwischte die Grubenotter hinter dem Hals. Er löste vorsichtig die Zähne aus dem Gewebe und hielt die Otter hoch.
»Ein sehr hübsches Exemplar«, stellte Parker fest, »gehe ich recht in der Annahme, Mr. Ball, daß es sich um eine Diamantklapperschlange handelt?«
»Wie ... ? Ja, eine Diamantklapperschlange«, bestätigte Ball mechanisch und starrte auf sein Reptil, das einen recht hilflosen Eindruck machte.
»Wollten Sie das Reptil melken, wie wohl der Fachausdruck lautet?«
»Was wollte ich? Ja, melken... Natürlich, was dachten Sie denn?« Desmond Ball konnte sich von dem Anblick nicht losreißen. Da stand dieser Butler in der Tür und hielt eine tödlich giftige Klapperschlange in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand, als handle es sich um einen harmlosen Wasserschlauch! Das Reptil – gut und gern zwei Meter lang – hatte inzwischen jeden Widerstand aufgegeben und zeigte sich von seiner relativ friedlichen Seite.
»Die Herren kennen sich?« fragte Josuah Parker.
»Uber... Überhaupt nicht«, erwiderte John Midhurst umgehend.
»Wir haben uns eben erst gesehen«, fügte Desmond Ball hinzu.
»Sie unterhielten sich zweifelsfrei über den verblichenen Mr. Jerry Puckley, wie ich hörte?« bluffte der Butler.
»Da müssen Sie sich verhört haben«, behauptete John Midhurst.
»Er wollte sich nur mal die Schlangenfarm ansehen«, log Desmond Ball.
»Vielleicht darf ich die Führung übernehmen?« Parker gab die Tür frei und deutete mit der Hand nach draußen. »Inzwischen kennt meine bescheidene Wenigkeit sich hier ein wenig aus, wie ich behaupten möchte.«
»Mein... Mein Bedarf ist gedeckt«, sagte John Midhurst hastig.
»Natürlich werden Sie mitkommen, junger Mann«, schaltete sich Lady Agatha in diesem Augenblick ein. Sie erschien hinter ihrem Butler und ließ den Pompadour am rechten Handgelenk pendeln. John Midhurst, der sich in die Enge getrieben fühlte, beging den Kardinalfehler, nach seiner Schußwaffe zu greifen, die sich eindeutig in einer Schulterhalfter befand.
Er sollte dies wenig später bereuen ...
*
Der Pompadour hatte sich vom Handgelenk der älteren Dame gelöst und zischte mit viel Fahrt durch die Luft. Der perlenbestickte Handbeutel landete ungemein zielsicher auf der Stirn des Gangsterbosses. Der ›Glücksbringer‹ im Pompadour tat augenblicklich seine tiefgreifende Wirkung und fällte den Mann, der es noch nicht mal geschafft hatte, die Waffe aus der Schulterhalfter zu ziehen. John Midhurst schielte, um dann anschließend völlig groggy zu Boden zu gehen.
»Das fehlte noch, eine wehrlose Frau anzugreifen«, entrüstete sich Lady Simpson.
»Eine unverzeihliche Frechheit, Mylady«, urteilte Josuah Parker, »darf ich mir übrigens erlauben, eine Empfehlung auszusprechen?«
»Ich sollte dieses Subjekt ohrfeigen, nicht wahr?« Agatha Simpson drängte es, dieser Empfehlung nachzukommen.
»Vielleicht könnten Mylady mit Mr. Ball die Räume des Instituts besichtigen«, redete Parker höflich weiter.
»Sehr schön.« Die resolute Sechzigerin war sofort einverstanden. »Bringen Sie gleich meinen Pompadour mit, Mr. Ball... und beeilen Sie sich gefälligst!«
Desmond Ball dachte nicht im Traum daran, Protest gegen diese Behandlung einzulegen. Die grimmige Autorität der Lady Agatha war einfach zu beeindruckend. Ball langte nach dem Pompadour und überbrachte ihn der selbstbewußten Dame. Anschließend beeilte er sich, Lady Simpson zu folgen.
Parker, der die Diamantklapperschlange noch immer fest im Griff hatte, trat an den Labortisch und angelte ein Glasgefäß, dessen Öffnung mit einer zähen Kunststoffhaut überspannt war. Er drückte die Giftzähne der Klapperschlange gegen diese zähe Haut, und das Reptil schnappte wütend zu. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Gift tropfenweise ins Glas rann. Parker ›molk‹ die Giftschlange – fachgerechter hätte es kein Experte tun können.
Nachdem die Schlange ihre Giftdrüsen entleert hatte, zeigte sie sich ein wenig ruhiger. Ihre Gereiztheit legte sich merkbar. Wahrscheinlich spürte sie instinktiv, daß sie im Moment wehr- und waffenlos war.
Josuah Parker hatte keine Bedenken mehr, das Reptil auf dem Boden des Labors abzusetzen. Die Diamantklapperschlange zischte, rollte sich zusammen, züngelte und wollte dann langsam und fast träge in eine Ecke kriechen. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms dirigierte Josuah Parker jedoch das Reptil in die Nähe des Gangsterbosses, der zu sich kam und bereits nach Stirn und Nasenwurzel fingerte. Dann öffnete John Midhurst die Augen und entdeckte das nicht gerade zierliche Reptil in seiner Nähe.
Midhurst kreischte, zog schleunigst die Beine an seinen Körper und stierte auf den Kopf des Reptils. Die Diamantklapperschlange züngelte erneut, spürte wohl die Wärmeausstrahlung des Zweibeiners und fühlte sich