Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
sich selbst unter Zwang zu setzen«, fügte Dr. Daniel hinzu. »Sie verließen sich auf das Medikament, das ich Ihnen zweimal wöchentlich spritzte, und konnten dadurch Ihre Spannungen ablegen.«
Patricia sah ihn mit ernstem Blick an. »Aber Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen – ohne Sie hätte ich das niemals geschafft. Ich hätte mich immer tiefer in meine Zwangsvorstellungen verrannt.« Sie senkte den Kopf. »Meine Ehe war kurz davor, in die Brüche zu gehen, weil ich nur noch mit Oliver zusammen war, um ein Kind zu bekommen, aber nicht, weil ich ihn liebte.«
»Und jetzt?« wollte Dr. Daniel wissen.
Patricia lächelte. »In den vergangenen Wochen haben wir wieder zueinander gefunden. Oliver hat meine Veränderung sofort bemerkt, und dadurch wurde auch er wieder offener für unsere gegenseitigen Gefühle. So wie jetzt habe ich unsere Ehe… unser ganzes Zusammensein schon lange nicht mehr genossen.«
Zufrieden lehnte sich Dr. Daniel aus seinem Sessel zurück. Er freute sich, weil er hier hatte helfen können.
»Haben Sie Ihrem Mann schon von Ihrem Verdacht erzählt?« fragte er.
Patricia schüttelte den Kopf. »Ich wollte erst die Untersuchung bei Ihnen abwarten.« Dann glitt ein glückliches Strahlen über ihr Gesicht. »Heute abend werde ich es ihm sagen, und ich freue mich schon jetzt auf sein Gesicht.«
»Da wäre ich sehr gern Mäuschen«, gestand Dr. Daniel lächelnd.
»Bei meinem nächsten Besuch werde ich Ihnen alles haarklein erzählen«, versprach Patricia, dann stand sie auf und reichte Dr. Daniel die Hand. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Herr Doktor. Ohne Sie wäre ich jetzt bestimmt nicht schwanger und würde wahrscheinlich unmittelbar vor der Scheidung stehen.«
*
Als die Sprechstunde beendet war, nahm Dr. Daniel den Telefonhörer ab und wählte die Nummer der
Thiersch-Klinik in München. Dort ließ er sich mit dem Oberarzt verbinden.
»Guten Tag, Herr Kollege«, begrüßte er ihn. »Ich habe eine gute Nachricht für Sie.«
Dr. Heller war hörbar erstaunt. »Eine gute Nachricht?«
»Ja, es geht um Frau Gerhardt. Erinnern Sie sich an den Fall?«
»Natürlich«, bekräftigte Dr. Heller. »Wie könnte ich ausgerechnet diesen Fall vergessen. Immerhin hat sich die Geschichte ja dann ganz dramatisch zugespitzt.«
»Jetzt hat sich bei Frau Gerhardt alles zum Guten gewendet«, erklärte Dr. Daniel. »Sie ist schwanger.«
Dr. Heller atmete auf. »Gott sei Dank.« Er schwieg kurz. »Ich muß gestehen, daß ich mir auch nach dem Gespräch mit Ihnen immer wieder Gedanken darüber gemacht habe, ob der Eileiter nicht vielleicht doch noch zu retten gewesen wäre. Nach der Operation sah es für sie ja nicht sehr gut aus, was ein Baby betrifft. Jetzt bin ich froh, daß es doch geklappt hat.«
»Ich auch«, gab Dr. Daniel unumwunden zu. »Allerdings war es genauso, wie ich Ihnen gegenüber schon einmal erwähnt hatte. Die Schwierigkeiten von Frau Gerhardt lagen ausschließlich im seelischen Bereich.« Und dann schilderte er dem Kollegen, wie es ihm gelungen war, Patricia aus ihrem Dilemma zu befreien.
»Der Schuß hätte genausogut nach hinten losgehen können«, gab Dr. Heller zu bedenken.
»Das ist mir auch durchaus bewußt«, stimmte Dr. Daniel ihm zu. »Um so glücklicher bin ich, daß es geklappt hat.«
»Herzlichen Glückwunsch«, erklärte Dr. Heller, und Dr. Daniel hörte an seiner Stimme, daß er dabei lächelte.
»Danke«, entgegnete er. »Ich kann Ihnen übrigens noch etwas Positives mitteilen. Es geht um Dr. Scheibler.«
»Da weiß ich schon Bescheid«,
erwiderte Dr. Heller. »Professor
Thiersch hat mich informiert. Er
schien über die Entwicklung auch froh gewesen zu sein. Daß er Dr. Scheibler zur Kündigung zwingen mußte, hat ihm innerlich mehr leid getan, als er jemals zugeben würde.«
Dr. Daniel nickte. »Diesen Eindruck hatte ich auch.«
Er plauderte noch eine Weile mit Dr. Heller, dann legte er auf und lehnte sich mit einem tiefen Seufzer auf seinem Sessel zurück. Sein Blick fiel zum Fenster. Dunkle Wolken zogen auf, dennoch verspürte Dr. Daniel Lust auf einen Spaziergang.
Und während die ersten Schneeflocken dieses Jahres vom Himmel taumelten, fand Dr. Daniel den Weg zum Waldsee. Lange blieb er vor dem Bau stehen, und dabei zog eine tiefe Zufriedenheit in sein Herz. Alles hatte sich zum Guten gewendet.
Patricia Gerhardt würde nächstes Jahr ein Baby zur Welt bringen – wahrscheinlich sogar in dieser Klinik. Und ihre Ehe, die so kurz vor dem endgültigen Bruch gestanden hatte, war wieder gerettet.
Dr. Scheibler, der seinen Fehler so tief bereute, würde hier eine neue Aufgabe bekommen. Dr. Daniel lächelte in sich hinein. Er war sicher, daß Wolfgangs Bedenken sich als unbegründet herausstellen würden. Dr. Scheibler würde der Waldsee-Klinik lange, vielleicht sogar für immer treu bleiben.
Und dann wanderten Dr. Daniels Gedanken zu seinem Sohn, der in Kürze sein Staatsexamen ablegen und sich dann vielleicht doch um die Assistentenstelle in der Waldsee-Klinik bewerben würde. Das bedeutete, daß er Stefan wieder bei sich zu Hause haben würde – ein angenehmer Gedanke, auch wenn sie gelegentlich Differenzen miteinander hatten.
Der Schnee fiel jetzt dichter, doch das machte Dr. Daniel nichts aus. Noch einmal wanderte sein Blick zur Klinik hinüber. Für dieses Jahr würden die Arbeiten wohl eingestellt werden müssen, aber im kommenden Frühling könnte man sicher die Eröffnung feiern. Und dann würde es ihm endlich möglich sein, seine Patientinnen noch intensiver zu betreuen als bisher. Diese Aussicht stimmte ihn glücklich, und er wußte, daß er damals, als er Arzt geworden war, die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es lohnte sich, wenn er sich Tag für Tag für seine Patientinnen einsetzte – und auch für einige Menschen, die nicht zu seinen Patienten gehörten. Das hatte sich gerade bei Patricia Gerhardt und Dr. Scheibler wieder einmal gezeigt. Und daß er in diesen beiden Fällen hatte helfen können, genügte ihm, um sich zumindest für heute zu den glücklichsten Menschen der Welt zu zählen.
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