Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
gesprochen hatte, war in Dr. Daniel das schlechte Gewissen aufgekommen. Man sollte eben doch nicht vorschnell über einen Menschen urteilen, den man gar nicht kannte.
»Tja, ich weiß nicht…«, begann Dr. Daniel, und dann fiel bei ihm der sprichwörtliche Groschen. »Frau Burgner, ich kann Ihnen nichts versprechen, aber ich glaube, ich habe eine Lösung für Ihr Problem. Ich melde mich wieder.«
Damit legte er auf und schlüpfte rasch in seine Jacke.
»Zum Essen habe ich keine Zeit mehr!« rief er seiner Schwester zu. »Ich muß rasch weg.«
Und bevor Irene etwas erwidern konnte, war Dr. Daniel schon draußen. Er bestieg sein Auto, und dann hatte er nichts Eiligeres zu tun, als zu dem kleinen Häuschen zu fahren, das ein Stück außerhalb von Steinhausen stand. Er klingelte, wartete aber gar keine Aufforderung ab, sondern drückte die Klinke herunter und trat ein.
»Frau Deichmann?« rief er fragend hinein. »Darf ich Sie kurz stören?«
Anna Deichmann kam ihm lächelnd entgegen. »Aber natürlich, Herr Doktor, Sie doch immer. Ich freue mich ja, daß Sie mich einfach so mal besuchen.«
»Einfach so, ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck«, meinte Dr. Daniel. »Wissen Sie, Frau Deichmann, ich hätte eine Aufgabe für Sie – vorausgesetzt, Sie fühlen sich gesund genug.«
Anna strahlte über das ganze Gesicht.
»Natürlich fühle ich mich gesund«, behauptete sie. »Welche Aufgabe haben Sie denn für mich?«
»Es geht um eine Patientin von mir«, begann Dr. Daniel. »Sie wohnt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern hier in Steinhausen. Silvia Burgner. Haben Sie den Namen schon mal gehört?«
Anna nickte eifrig. »Eine reizende junge Frau. Und ihr Mann ist immer so höflich und hilfsbereit.« Dann geriet sie förmlich ins Schwärmen. »Und die beiden süßen Kinder. Tanja und Stefan.« Sie seufzte. »Solche Enkelkinder möchte ich auch gern haben.«
»Frau Burgner mußte gestern in eine Klinik nach München«, fuhr Dr. Daniel nun fort. »Sie wird am Montag operiert. Und vielleicht wissen Sie, daß Herr Burgner dringend in sein Büro muß. Er hat sich doch vor einem halben Jahr erst selbständig gemacht. Und nun ist niemand da, der sich um die Kinder kümmern könnte. Frau Deichmann, glauben Sie, daß Sie…«
Anna Deichmann ließ ihn nicht aussprechen. Mit einem Satz war sie auf den Beinen.
»Herr Doktor, können Sie mich gleich zum Haus der Burgners mitnehmen?«
Dr. Daniel lächelte. Er hatte es doch gewußt!
Eine halbe Stunde später hielt Anna Deichmann in dem großen geräumigen Einfamilienhaus der Burgners Einzug. Von Frau Deichmanns Haus aus hatte Dr. Daniel schon bei Richard Burgner angerufen und angekündigt, daß er jemanden mitbringen würde, der für die Kinder sorgen wolle, solange Silvia im Krankenhaus war. Jetzt begrüßte der junge Mann die gute Anna wie eine alte Bekannte. Sicher, sie kannten sich ja auch, aber bisher war es eben bei einer freundlichen Plauderei im Lebensmittelgeschäft oder vor der Kirche geblieben.
»Frau Deichmann, Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß Sie uns helfen wollen«, beteuerte Richard immer wieder. »Und ich verspreche Ihnen, daß die Kinder brav sein werden.« Ein wenig verlegen senkte er den Kopf. »Sie sind allerdings ein bißchen lebhaft.«
Anna strahlte. »Das ist mir nur recht, Herr Burgner. Und ich freue mich, wenn ich helfen kann.«
Richard machte sie noch mit dem Haus vertraut, dann bestieg er eiligst sein Auto und fuhr in sein Büro. Die Chancen, daß es mit seinem Geschäft nun doch klappen würde, standen außerordentlich gut.
*
Kaum zu Hause angekommen, trat Dr. Daniel sofort ans Telefon und rief in der Thiersch-Klinik an. Die Dame in der Vermittlung machte keine großen Umstände und verband ihn sofort mit Silvia Burgners Zimmer.
»Hier Daniel«, gab er sich zu erkennen, nachdem Silvia sich gemeldet hatte. »Machen Sie sich keine Sorgen mehr, Frau Burgner. Für Ihre beiden Kinder ist gesorgt. Frau Deichmann ist gerade bei Ihnen eingezogen, und Ihr Mann ist auf dem Weg ins Büro.«
Silvia atmete hörbar auf. »Danke, Herr Doktor, Sie sind ein Schatz!«
»Danken Sie nicht mir, sondern Frau Deichmann. Sie hat sich sofort bereit erklärt zu helfen.« Er zögerte einen Moment, dann fügte er hinzu: »Sie wissen sicher, daß die Frau sehr einsam ist. Ich glaube, sie ist froh, wenigstens für einige Zeit eine Aufgabe zu haben.«
»Ich kenne Frau Deichmann nur flüchtig«, meinte Silvia, »aber sie ist eine sehr sympathische Frau, bei der Tanja und Stefan sicher in den besten Händen sind.«
»Das glaube ich auch«, stimmte Dr. Daniel zu. Er plauderte noch eine Weile mit Silvia, dann legte er auf – zufrieden, daß er wenigstens hier hatte helfen können.
Weit mehr Sorgen bereitete ihm Leandra Schütz. Doch er hatte nicht viel Zeit, um länger darüber nachzudenken. Die Nachmittagssprechstunde begann, und er war schon wieder reichlich spät dran…
*
Das Wochenende brachte den ersten Schnee, und allein der Anblick der kalten Pracht weckte in Dr. Daniel das Verlangen, wenigstens für ein paar Tage der Pflicht zu entfliehen und seiner großen Leidenschaft – dem Skifahren – zu frönen. Doch die Ungewißheit um Leandra Schütz hielt ihn davon ab. Und so verbrachte er das Wochenende zu Hause.
»Also weißt du, Robert, du solltest mit deinen Kindern mal ein ernstes Wort sprechen«, meinte Irene, als sie beim nachmittäglichen Kaffee und Kuchen saßen. »Das ist jetzt schon das vierte Wochenende, daß sie in München verbringen. Ich finde…«
»Ach komm, Irenchen, was sollen die beiden denn jedes Wochenende hier herkommen«, verteidigte Dr. Daniel seine Kinder, obwohl auch er immer sehr enttäuscht war, wenn die beiden in München blieben. Er vermißte sie oft ganz entsetzlich.
»Das sind ja völlig neue Töne«, stellte Irene auch schon fest. »Normalerweise bist du derjenige, der jammert, wenn sie nicht heimkommen, aber…«
Das Klingeln an der Tür unterbrach Irenes Redefluß. In ihren Augen leuchtete es auf. »Vielleicht kommen sie jetzt doch noch.«
Das bezweifelte Dr. Daniel. Wenn Karina und Stefan am Freitagnachmittag nicht heimkamen, dann blieben sie für gewöhnlich das ganze Wochenende über weg. Außerdem hatte Karina angerufen und mitgeteilt, daß sie nicht nach Steinhausen fahren würden – offiziell wegen der schlechten Straßenverhältnisse.
Inzwischen war Irene hinausgegangen und hatte die Tür geöffnet.
»Ja, bitte, Sie wünschen?« hörte Dr. Daniel sie fragen.
»Kann ich den Herrn Doktor bitte sprechen?« Beim Klang der ungewöhnlich tiefen Frauenstimme runzelte Dr. Daniel nachdenklich die Stirn. Irgendwo hatte er diese Stimme schon mal gehört, aber er kam nicht drauf, wo das gewesen sein könnte.
»Natürlich«, antwortete Irene. »Bitte, kommen Sie mit ins Wohnzimmer. Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten.«
»Ja, gern.«
Jetzt trat die Fremde herein, und Dr. Daniel erhob sich, um sie zu begrüßen, doch mitten in der Bewegung hielt er inne.
»Prinzessin…«, stammelte er, dann schüttelte er ungläubig den Kopf. Das konnte doch nur eine Täuschung…, eine zufällig Ähnlichkeit sein!
Doch die elegante Dame lächelte. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, Herr Doktor.«
»Aber… Ihr Vater sagte…« Er war so verwirrt, daß er den Satz nicht zu Ende brachte.
»Ich kann mir denken, was mein Vater gesagt hat. Und er hat auch nicht gelogen. Ich gelte offiziell als tot.« Sie reichte dem noch immer völlig verblüfften Dr. Daniel die Hand. »Darf ich mich vorstellen? Inge Herzog.«
Dr. Daniel zuckte zusammen. »Herzog? Inge Herzog?«
Die