Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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und starrte hinunter in den Hof.

      »So müssen Wir also in der Nacht wie ein Dieb aus dem Hause Unserer Väter.« begann er. »Und was sagst du dazu, Linhard?«

      Der Weißhaarige hielt inne und antwortete mit gedämpfter Stimme: »Hochgräfliche Exzellenz, das Herz möcht' sich einem umkehren im Leibe.«

      »Es ist unerhört und seit den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges nicht mehr dagewesen,« sprach der Graf halb zu sich selber, halb zu seinem Diener.

      »Die Welt ist wie ein altes Gewand, hochgräfliche Exzellenz, die Nähte gehen auseinander. Die Gottlosigkeit ist noch nie so groß gewesen, und der Übermut der Menschen stinket gen Himmel.«

      Der Graf nickte und murmelte Unverständliches. Der Weißhaarige aber hantierte gebückt über seinem Koffer.

      »Die Bürger sind im Fetten Ochsen und halten einen Rat, hochgräfliche Exzellenz,« begann er nach einer Weile wieder.

      »Und was ratschlagen sie denn, Unsere Bürger?«

      »Aufrührerisches, hochgräfliche Exzellenz.« Der Weißhaarige schloß einen Kofferdeckel und zog die Riemen zusammen.

      »Alles wollen Wir wissen, Linhard!« Der regierende Herr stampfte. »Alles, hörst du?«

      »Man sagt, jetzt kommt eine neue Zeit, jetzt geht's den Großen an den – um Vergebung, hochgräfliche Exzellenz, das bring' ich aber doch nicht heraus.«

      »An den Kragen,« vollendete der Graf mit Würde.

      »Jawohl, Exzellenz. Und es ist ein gewaltiges Geschrei im Fetten Ochsen. Der Christian hat's vorhin heraufgebracht. Die Ärgsten unter ihnen haben rote Mützen auf den Köpfen, und den Koram haben sie zu ihrem Führer gewählt – den Schneider Koram.«

      »Den langen Kerl, den? Und was will denn die Kanaille?« Der Graf stieß den Stock auf den Teppich.

      Der Weißhaarige zog den letzten Riemen fest, keuchte und zuckte mit den Schultern. »Sie sagen, alles Gute kommt von den Franzosen und alles Schlechte vom Kaiser.«

      »Und ist denn niemand, der ihnen mores lehrte?« rief der alte Herr.

      »O ja, der Herr Kanzleidirektor und die Herren Räte sind ja auch im Fetten Ochsen gewesen, und der Herr Assessor hat gegen den Koram reden wollen, aber –«

      »Was aber –?«

      »Nu, der Christian sagt, man hat sie alle miteinander ohne viel Worte aus dem Saal geschoben.«

      »Und das haben sie sich bieten lassen?«

      »Hochgräfliche Exzellenz –«

      »Das geht ja gegen Uns und Unser Haus –!«

      »Möcht' ich, um Vergebung, hochgräfliche Exzellenz, möcht' ich nicht behaupten.« Der Weißhaarige machte ein geheimnisvolles Gesicht: »Der Zeitgeist ist's. Und der geht nicht gegen ein einzelnes Haus, der geht gegen alles, was hoch ist. Soll alles hübsch klein und niedrig werden, daß man drüber hupfen kann, wie über'n Maulwurfshaufen. Und ist ein Gerede im Volk: die Großen müssen fort, je eher desto besser. Gegen uns marschieren die Franzosen nicht, nur gegen die Großen –.«

      Es pochte an der Türe, und der junge Graf kam in den spärlich erleuchteten Raum. »Herr Papa, ich dächte, es wäre höchste Zeit. Die gnädige Frau Mama sitzt schon im Wagen.«

      »Und also meinst du wirklich, daß ich fortgehe?« Der große alte Herr hatte sich vorgebeugt, stieß den Stock immer wieder auf den Teppich und sah den Sohn zornig an. »Fortgehe wie ein Verbrecher aus dem Hause meiner Väter? Statt daß ich die Brücke aufziehe und meine Diener an die Schießscharten postiere, ich, ein regierender Graf des Reiches?«

      Der junge Herr machte eine Handbewegung, und der Weißhaarige schlich aus der Türe.

      »Herr Papa, ich bitte Sie, bedenken Sie doch die Zeiten, in denen wir leben. Was wollen Sie mit den paar Dienern? Wollen Sie sich den Zufälligkeiten einer Invasion aussetzen? Wollen Sie in die Hände wütender Jakobiner fallen?«

      »Oder wollen Sie ein Feigling werden, hochgräfliche Exzellenz?« unterbrach ihn der alte Herr mit hartem Lachen.

      »Sie nennen Feigheit, was nur ein Akt der Klugheit ist. Wer stellt sich ins Flußbette, wenn Hochwasser einherbraust? Kann man denn nicht abseits gehen und warten, bis sich alles wieder verlaufen hat?«

      »Jawohl,« fuhr der alte Herr auf, »ich weiß schon, du bist auch so ein Revolutionär, so ein Jakobiner!« Heftig stieß er den Stock auf den Boden. »Wundert mich nicht, wenn du eines Tages auch eine rote Mütze aufsetzest, vor mich hintrittst und mir erklärst, daß alles in der Welt seinen gewiesenen Gang geht, und daß uns im Grunde nur recht geschieht.«

      »Daß ich gerade eine rote Mütze aufsetze, brauchen Sie nicht zu fürchten. Daß aber manches von dem, was geschieht, die Folge alten Unrechts ist –«

      »Dummes Zeug!« rief der regierende Graf. »Ich sehe nicht ein, warum ich fort soll. Oder hab' ich etwa ein schlechtes Gewissen, wie ein schlechter Regent? Hier haben meine Väter gelebt und gelitten, gehofft und gezagt, tausend Jahre lang. Und hier ist mein Platz. Und wenn ich in einem Augenblicke der Schwachheit eingewilligt habe –«

      Der alte Kammerdiener glitt wieder ins Gemach: »Hochgräfliche Exzellenz, die Bürger kommen, der ganze Vorhof ist voll Menschen.«

      »Und was wollen denn Unsere Bürger?« rief der alte Herr.

      Der Sohn aber war an's Fenster getreten. Und erschrocken wandte er sich: »Es ist wahr, sie dringen schon in den inneren Hof, und viele von ihnen haben die rote Mütze auf dem Kopf.«

      Der alte Herr hatte sich hoch aufgerichtet: »Wenn Uns die Herren Bürger besuchen, dann gebietet es die Höflichkeit, daß Wir ihnen entgegenkommen.«

      »Papa, ich beschwöre Sie! Ich vermute, es fehlt Ihnen die nötige Ruhe.«

      »Soviel der Ruhe Wir bedürfen, soviel steht Uns auch zu Gebot,« sagte der alte Graf. »Und nun Platz, Herr Sohn, wenn's gefällig ist!«

      Die breite Stiege herauf kam ein Trüpplein Menschen, und im Lichte der Öllampen erkannte der alte Herr den Direktor und die Räte.

      Der Direktor blieb stehen, zog den Hut und machte die vorgeschriebene Kniebeuge. »Hochgräfliche Exzellenz, Revolution – retten Sie sich – diese Jakobiner, diese –!« Erschöpft hielt er sich am Geländer und murmelte: »Wenn mich heute nacht noch der Schlag trifft, dann hab' ich's.«

      »Es ist alles geschehen, was geschehen konnte,« ergriff der älteste Rat das Wort. »Aber die Bürgerschaft ist rabiat, wir haben gar nichts zu verhindern vermocht. Man will absolut mit Eurer hochgräflichen Exzellenz sprechen.«

      »Dann vorwärts, hinaus in den Hof!« befahl der alte Herr mit heiserer Stimme.

      »Noch einmal, Herr Papa!«

      »Laß mich!« Der Graf stieß die Hand seines Sohnes zurück und schritt die Treppe hinunter.

      Vor dem Portale, im Scheine des Pechfeuers, stand in Reisekleidern die alte Gräfin.

      »Liebster Schatz,« der Graf verneigte sich auch in diesem Augenblicke noch ritterlich, »tu mir den Gefallen und begib dich zurück ins Haus. Ich habe mit denen dort ein paar Worte zu reden.«

      »Wo du bist, da bin ich auch,« sagte sie und ergriff seinen Arm.

      Hinter die beiden trat der junge Graf, und im Portale drängten sich die Beamten.

      Der alte Herr machte sich mit sanfter Gewalt von der Gräfin frei und rief zurück: »Wir bitten und befehlen, Uns ungestört mit den Bürgern reden zu lassen.«

      Und nun ging er um den Reisewagen und rief gegen den dunkeln Haufen, der murmelnd bis in die Mitte des Hofes vorgedrungen war: »Was suchet ihr zu nachtschlafender Zeit in Unserm Schlosse?«

      Das Gemurmel verstummte, und eine Stimme antwortete: »Zu Ihnen wollen wir, Herr Graf.«

      »Zu


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