Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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die Stube und rannte hart an eine Scheibe.

      »Bastian!« rief die Mutter abermals, und Quirin Portner ballte die Faust auf der Tischplatte.

      Da wandte sich der kleine Hansjörg, der am Tische gelehnt war, ging leise durch die Stube, legte die Hand auf den Arm des Trotzigen und flüsterte: »Bastian, schau doch, wie krank der Herr Vater aussieht und wie zornig er ist!«

      Mürrisch aber stieß der Große die Hand des Kleinen zurück und biß in seinen Apfel.

      Nun kam's vom Tische herüber, fast wie Stöhnen, aber doch hart und fest: »Und jetzt, Bastian, darfst du gar nicht mehr – marsch hinaus!«

      Und trotzig ging der große Knabe aus der Thüre und stapfte laut die hallende Stiege hinunter.

      »Der Aelteste!« stöhnte Quirin Portner.

      »Vaterlein, darf ich heute vor Euch fechten mit Wolfheinz?« bat Hansjörg.

      »Laß dich's nicht grämen,« flüsterte Frau Katharina und beugte sich auf das ergraute Haupt. »Ich will mit ihm reden, er weiß ja nicht, was er dir wehe thut.«

      »Er weiß es wohl mit seinen fünfzehn Jahren,« grollte Quirin Portner und sah krank und alt aus, wie nie zuvor. –

      In der Thüre des Schlafgemaches erschien der schlanke Wolfheinz mit dem leichten schwarzen Stahlhelm über dem Kopfe, angethan mit Harnisch und Armstulpen, und schleifte die Rüstung des andern hinter sich her. Eilig lief Hansjörg heran und wappnete sich.

      Die Schwerter in den kleinen Fäusten, weit ausgelegt, standen die Knaben inmitten der Stube einander gegenüber.

      Zusammengesunken saß der kranke Vater in seinem Stuhle und grübelte vor sich hin. Unbeweglich standen die Knaben und warteten geduldig.

      »Dürfen sie?« fragte endlich die Mutter und berührte seine Schulter.

      Quirin Portner hob die Augenlider und sah die Knaben. Da ward sein Antlitz heller und heller, seine Gestalt schien zu wachsen, er neigte sich vorwärts und musterte die kleinen, schlanken Gesellen, die regungslos voreinander standen. Dann befahl er: »Los!«

      Und während die Schwerter dröhnend auf den Stahl schlugen und der Edelmann bald dem einen bald dem andern zurief: »einen Zornhau, Wolfheinz, nun den Scheitelhau, Hansjörg, so, recht so, noch einen! Halt! Los! Krummhau, Hansjörg!« und während der Kleinste aus der Portnerbrut die Hand mit dem Apfel sinken ließ und nichts mehr sah und hörte als die schwarzgewappneten kämpfenden Brüder, nahm Frau Katharina den Schlüsselbund vom Haken und ging aus der Stube. Und durch das sonnenhelle Herrenhaus hallten die Schläge der kämpfenden Knaben.

      *

      Um die Mittagsstunde desselben Tages bestiegen in der kurfürstlichen Stadt Amberg vor dem Gasthause zum »Goldenen Löwen« zwei Edelleute ihre Rosse. Langsam ritten sie mit ihren Knechten durch das festtäglich gekleidete Volk, das sich nach dem Gottesdienste in der Georgenstraße drängte, und dankten mit herablassendem Nicken für die Grüße der Bürger und Bauern. Nur dann und wann griffen sie selbst an ihre hohen, perlschnurumschlungenen Hüte, wenn etwa ein reichgekleideter städtischer Ratsherr mit seiner Hausfrau des Weges einherschritt. Kam aber gar ein hochmögender kurfürstlicher Rat mit seiner stolzen Frau Eheliebsten gegangen, dann zogen auch sie von weitem die Hüte, hielten wohl auch die Pferde an und tauschten artige Komplimente, wie sich's gebührte.

      Und so ritten sie die Gassen entlang, verließen die Stadt durch das kleine Wingertshofer Thor und kamen auf die Landstraße, die neben dem Vilsflusse zwischen den Waldhügeln nach Theuern führte.

      »Wieder einmal aus dem alten, dumpfigen Nest!« lachte der kleine, zierliche Herr zur Linken des langen Hagern. »Und viel Glück gehabt; die Hälse nicht gebrochen auf dem hundsmäßigen Pflaster, keine gestrenge Rätin übersehen und keinen kurfürstlichen Schmerbauch juris utriusque umgerannt. Viel Glück auf einmal! – Pläsierlich Stadtvolk!« spottete er weiter, als der andre schweigend fürbaß zog. »Ordnung muß sein. Aber die da drinnen? Da hat jeder sein Fach und jeder seine Nummer, und die Nummer zu seinem Fach ist jedem auf der Nase geschrieben und weithin zu sehen, und wehe dem, der etwa seine Nase nach einer andern Nummer trüge, als ihm gebührte.«

      »Und wehe dem, der zu Amberg in der Stadt den wohledeln und gestrengen Hans Andre Portner von Theuern, Burghüter zu Rieden, aus Absicht oder Versehen in ein ungebührlich Fächlein stellen wollte!« sagte der andre und lachte trocken.

      »In welches Fach und auf welchen Sitz ein Land- oder Burgsasse gehört, weiß jeder zu Amberg in der Stadt, und was einem Portner gebührt von alters her, ist keinem verborgen im Fürstentum der Oberpfalz,« antwortete der Kleine, warf das Haupt zurück und ließ seinen Fuchsen ein wenig tanzen. Aber lange noch lächelte der hagere, grauhaarige Mendel von Steinfels neben ihm.

      Dann fragte er: »Steht's denn mit Euerm Bruder Quirin wirklich so schlecht, Herr Vetter?«

      Hans Andre zog die Achseln hoch und meinte: »Wer weiß? Seit er vor drei Jahren den Hammerknecht aus dem Treibeis gezogen, ist er nimmer zu vollen Kräften gekommen. Und dann« – er ritt nahe an das Roß des Alten – »die melancholia, Herr Vetter, melancholia hypochondriaca nennen's wohl die Aerzte, wenn man sie fragt, und wir Laien sind dann so klug wie zuvor. Ist ein seltsam Ding. Hat mein Bruder das große Gut und den Hammer, der ihm ein schön Stück Geld einbringt, und dabei gar nicht allzuviele Schulden und eine Hausfrau, wie's deren wenige geben mag, und gesunde Kinder. Da ist der Wolfheinz, ein feiner Knabe, geschmeidig wie eine Passauer Klinge und allzeit froh, da ist der Hansjörg, wird vielleicht zehn Jahre alt sein, ein Knabe, daß einem Vater das Herz lachen sollte, ein feiner Kopf, verständig und lernbegierig, willig und gehorsam, freilich wohl ein wenig gar ernst, auch ein wenig melancholicus – aber was! Prächtige Kinder sind's – bis auf den Aeltesten, den Bastian Wolf. Na, das ist ja ein trotziger Bengel. Aber alles kann ein Vater auch nicht haben; 's ist überall etwas, das den Himmel hält. Also, sag' ich, das alles hat mein Bruder und kann sich trotzdem seines Lebens nimmer freuen. Schon von Jugend auf, Herr, ist's so gewesen und nicht erst seit dem Unfall.«

      »Und jetzt will er also sein Testament machen?« unterbrach der andre den Redseligen.

      »Wir sollen's ihm heute siegeln helfen,« antwortete Hans Andre Portner.

      »Wer noch außer uns?« fragte Herr Mendel.

      »Der Wolf von Kemnat und der Hans Christoph Kotz, der Hans Philipp von Kemnat und der Leonhard Münzer.«

      »Gar nicht so übel, wenn einer sein Haus zur rechten Zeit bestellt,« meinte Herr Tobias Mendel und starrte vor sich hin.

      »Zur rechten Zeit, ja,« sagte Portner und pfiff leise. »Doch will mir dünken, zu solch traurigem Geschäfte wird für mich immer noch rechte Zeit sein.«

      »Je nun,« antwortete Mendel, »wer kann wissen, wann es Zeit ist?«

      Und nach einer Weile hielt er plötzlich sein Roß an, und als auch Portner neben ihm hielt und fragend zu ihm aufblickte, sagte er: »Was hilft's, Herr Vetter? Man wird ja doch gar bald den schwarzen Vogel bei Nacht und Nebel auf den Dächern wehklagen hören

      Ui, ui, ei,

       Von hundert bleiben drei.«

      »Was sagt Ihr?« schrie Hans Andre Portner, und seine Augen wurden groß.

      »Kalt Blut, Herr Vetter, und vor allem reinen Mund gehalten draußen in Theuern!« sagte Mendel und trieb seinen Schimmel an. »Aber in der Ziegelgasse sind seit gestern schon drei gestorben oder vier.«

      Schweigend ritten sie fürbaß. In der Ferne hinter ihnen klang die Glocke von Sankt Martin. In den Strahlen der mittägigen Wintersonne war der Rauhreif längst zergangen. Die Bäume streckten ihre Aeste schwarz zum blauen Himmel, und das Dorngesträuch am Wege stand ohne Silberstaub und ohne Diamanten, traurig und kahl.

      *

      Der Himmel war mit Sternen übersät, an Dorn und Halm und Zweig schossen schon wieder kleine Reifnadeln empor, der Kirchturm von Theuern stand weiß und lang im fahlen Lichte, und vor dem hellerleuchteten Herrenhause stampften gesattelte Rosse.

      In


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