Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
Dann trampelten die Hufe auf der hölzernen Flußbrücke. Ein paar Schüsse krachten von der Heerstraße herüber. Das Geschrei verklang mit den Hufschlägen in der Ferne. Drunten ward eine Thüre ins Schloß geworfen, daß es hallte im steinernen Hause, ein Hund schrie auf, als hätte er einen Tritt bekommen. Und es ward mit einem Male furchtbar still.
Hansjörg preßte die flachen Hände an die brennenden Schläfen und stand regungslos inmitten der mondhellen Kammer. Dann schüttelte ihn ein Schauer, und er stöhnte: »Nur hinaus, nur hinaus!«
Hastig warf er seine Kleider über, ging auf den Fußspitzen in die Wohnstube, wo die geleerten Becher blinkten im Mondscheine, und nahm den Schlüssel vom Haken.
Der Sand knirschte und rauschte auf jeder Steinstufe unter seinen Sohlen. Schnuppernd kam der große Wolfshund im Hausflur heran und rieb sich an seinem Herrn.
»So komm!« befahl Hansjörg, hob den schweren Riegel und öffnete die Thüre. Ungestüm zwängte der Hund seine Schnauze in den Spalt und drängte ins Freie.
Auf der langen Holzbrücke, am Geländer, stand einer und blickte flußabwärts, und im Lichte des Mondes war es anzusehen, als hätte er ein silbernes Käpplein auf dem Kopfe; doch es waren nur seine weißen Haare, die also leuchteten.
Langsam schritt Hansjörg auf die Brücke, trat neben den Greis und lehnte sich ans Geländer.
»Was thust denn du mitten in der Nacht heraußen, Loißl?«
»Wenn junge Leut' nit schlafen können, wird's halt bei alten Leuten auch nit anders sein, Junker,« sagte der und rührte sich nicht und blickte flußabwärts. –
So lehnten sie schweigend nebeneinander, und an den Holzpfeilern unter ihren Füßen murmelten und raunten rastlos die grünen Gewässer.
»Schad', wenn einer den Hut aufhat, so schön thut er heut scheinen, der Herr Mond,« flüsterte der Alte. »Allein, allein, der Loißl traut ihm nit, Junker; das weiß der Loißl so gut. Pst! Da bringt's die Luft wieder. Hört Ihr's?«
Wie ein Hauch zog es über die Erde, dann war wieder alles totenstill.
Hansjörg wartete eine Zeitlang und lauschte. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ah, die Jungen hören halt nix, trotz ihren scharfen Ohren,« lachte der Greis in sich hinein. »Zum Hören wär's wohl, gar wohl zum Hören.«
»Schaut, Junker, da drüben –« er packte Hansjörg am Arme, »jedesmal und jedesmal thut sich unter den Erlen da drüben das goldige Rad drehen im Wasser um Mitternacht, und es laufen und rinnen von seinen goldigen Schaufeln die goldigen Tropfen um Mitternacht. Und jedesmal und jedesmal sitzt das kleine, uralte Weibel am Uferrand und streicht mit den Fingerlein über die schwarzen Kleider und übers weiße Fürtuch, wackelt mit dem Kopf und klagt und kündet den Tod an. Wer's halt hört, wer's halt hört! Und heut war's wieder da, Junker, das goldige Rad und das alte Weibel mit dem Spinnwebschleier. Ich hab's gesehen, Junker, und hab's gehört mit meinen Ohren. Freilich, freilich, jeder kann's nit hören, und jeder kann's nit sehen. Die Trunkenen haben's nit gesehen, das goldige Rad nit im rinnenden Wasser, und mich nit. Denn als sie anhuben zu schießen, bin ich unter die Brücke gekrochen und hab' mich verborgen, und das güldene Rad hat sich lautlos von dannen gehoben und ist den Fluß hinunter gelaufen, die Wassertropfen haben gefunkelt, und einen goldigen Streifen hat's hinter sich dreingezogen, und obendrauf ist sie gesessen, kleinwinzig in ihrem schneeweißen Tuchel, und hat ganz leis gewimmert und das Unheil angekündigt. – Wie dazumal, Junker, vor sieben Jahren, Ihr wißt ja, vor dem großen Sterben,« sagte er nach einer Weile. »Aber horcht nur! Hört Ihr's nit? Ganz laut, Junker, das Klagen. Ihr müßt's doch hören!«
»Nein, gar nichts,« antwortete Hansjörg, und schweigend lehnten sie nebeneinander. –
»Und darum ist ihm nit zu trauen, wenn er auch noch so freundlich scheint, der Herr Mond,« sagte der Greis nach einer langen Zeit. Dann richtete er sich auf und bedeckte sein Haupt mit dem schwarzen Käpplein.
»Kommt, Junker, wir wollen schlafen gehen!«
»Ich kann nicht schlafen,« seufzte Hansjörg; »mir ist mein Herze gar zu schwer, und dünkt mir, es brennte mich etwas da drinnen.«
»Weiß wohl – weiß wohl,« sagte der Greis und klapperte in seinen Holzschuhen neben dem Junker auf der weißen Straße. »Wenn nur unsereiner auch helfen könnt'! Aber was kann unsereiner thun?«
Dann zupfte er auf einmal seinen Aermel, blieb stehen und sah ihm stracks ins Antlitz empor: »Junker, ich bin gar alt; wie alt, wüßt' ich selber nit. Doch hoch und nieder, jetzt herausträten aus ihren Gräbern und Grüften, Junker, die müßten eng stehen von uns hin bis an die Kirchhofmauer und, kann sein, auch noch bis zu dem nackigen Kerl auf dem Röhrenbrunnen vorm Schloß. Aber, was ich sagen will, Junker . . . Freilich, zu jedem Junker möcht' ich's nit sagen, aber zu Euch schon. Und heißt ja doch in der Heiligen Schrift: solange der Erbe ein Kind ist, so ist unter ihm und einem Knechte kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter. Und Ihr seid gar traurig, also muß ich Euch trösten – und wär's auch nur, daß ich damit eine alte Schuld abzahlte an der Mutter selig ihren Sohn. Horcht, Junker, und denkt nit, daß ich vom Brote nur als vom Brote rede! Ich weiß gar wohl, der Mensch lebt nit allein vom Brote, rechnet ja auch Doktor Martin Luther allerlei dazu, was nit im Ofen gebacken wird.«
Er nahm sein Käpplein ab, faltete die Hände und sagte andächtig: »Ich bin jung gewesen und bin alt geworden und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen, oder seinen Samen nach Brot gehen.«
Er hielt ein wenig inne und wiederholte mit starker Stimme: »Noch nie!«
Dann setzte er fast bittend hinzu: »Gieb mir, mein Sohn, dein Herz, und laß deinen Augen meine Wege wohlgefallen!«
Hansjörg liefen die Thränen über die Wangen, und er griff tastend nach der Hand des Greises.
»Nit weinen, Junker,« bat dieser. »Wenn ich Euch weinen sehe, thut's ja nit viel; aber ein andrer dürft's halt nit sehen, daß ein Portner weint. Und jetzt wollen wir schlafen gehen, Junker, und nimmer an die Klagfrau denken und an ihr güldenes Wasserrad, den traurigen Spuk. Wir wollen froh sein in unsern Herzen. Und vielleicht giebt Euch in währendem Schlaf unser Herrgott einen guten Gedanken. Solches thäte wohl not, Junker; denn dies und das muß anders werden auf Theuern.«
Hilf uns!
Des andern Morgens saß Hansjörg einsam in der sonnigen Wohnstube und brütete in tiefen Gedanken; seine Augen waren dunkelgerändert, und seine Stirne war gefurcht.
Von der Wiese hinter dem Herrenhause tönte lautes Rufen und dumpfes Getrappel, und aus der Ferne, vom Flusse her, dröhnte das Pochen des Eisenhammers.
Hansjörg stand auf und öffnete das Fenster. Wolkenlos wölbte sich der Himmel, und die Linden bewegten flüsternd ihre Blätter im Lufthauche. Draußen aber, auf dem frischgemähten Plane, ritten Wolfheinz und der Knecht geharnischt im Kreise und übten sich und die schweren, schnaubenden Rosse.
Eine Weile sah ihnen Hansjörg zu, dann schloß er die kleinen Fensterflügel und trat zurück in die Mitte der Stube. Dort stand er lange regungslos und sann.
Ueber dem großen Tische an der Wand hingen zwischen verwelkten Epheuranken die Oelbilder des seligen Quirin Portner und seiner Hausfrau Katharina, und es war, als ob sie lächelten, aus weiter Höhe herniederlächelten auf ihren Sohn, erhaben und friedlich.
Hansjörg aber sah es nicht. Er starrte vor sich hin und sann und sann.
Endlich öffneten sich seine Lippen, und es kam stoßweise hervor: »Er hat recht, es muß anders werden.«
Dann fiel sein Blick auf die Bilder. Da faltete er die Hände und flüsterte: »O meine Eltern!«
Quirin Portner und seine Hausfrau lächelten aus ihrer Höhe friedlich hernieder auf den verlassenen Sohn, und es war feierlich in der