Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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mit dir reden. Aber das hat Zeit. Warum soll ich uns den wundervollen Morgen verderben? Laß die Welt! Laß die Narren und Thoren und Schurken! Horch – hörst du was von dem Gerassel und Getriebe da herein in den Frieden? Nein! Also, Ruth! Komm, laß die böse Welt versinken um uns her! Komm, Ruth! Und warum sagst du immer Herr Portner?«

      »Die böse Welt,« murmelte Ruth nachdenklich. »Nicht wahr, sie ist böse?«

      »Aber freilich, Ruth, bitterböse.«

      »Ich hab' es nie geglaubt, das Wort von der bösen Welt,« sagte Ruth. »Jetzt wird mir's immer klarer, von Tag zu Tag –. Ich fürchte mich,« sagte sie plötzlich, und ihre Augen starrten auf den Junker.

      »Vor mir, Ruth?«

      »Vor dir? Ach, Portner, nein! Vor der Welt!«

      »Ich sag's ja, laß die Welt versinken um uns her und komm an mein Herz!«

      »Wie kann ich die Welt lassen, die nach mir greift mit ihren Krallen und nach den Eltern und den Geschwistern und dem Zant – und nach dir, Hansjörg? Ich fürchte mich!«

      »So komm, Ruth! Komm zu mir! Ich will dich decken, ich will dich führen, ich will dich tragen, ich will dich heben, ich will dich bergen an meinem Herzen im Froste und will mich stellen zwischen dich und die stechende Sonne. Was kümmert uns die Welt, wenn wir uns lieben?«

      »Kannst du das? Kannst du mir helfen gegen die Welt?«

      »Und warum nicht?« Er reckte sich.

      »Und, Hansjörg –«

      »Frisch 'raus, Ruth!« lachte Portner.

      »Ach, Hansjörg, ich habe dich schon lange fragen wollen –«

      »Frisch 'raus, Ruth! Ob du die erste bist? Ja, Ruth, beim Gedächtnis meiner Mutter.«

      Ruth sah ihn verständnislos an. »Ich weiß nicht, was du meinst –?«

      »Heiliger Gott, bin ich froh, daß ich mich jetzt nicht in den Boden schämen muß,« lachte Portner und bat: »Komm, Ruth!«

      »Bist du, Portner, bist du gut lutherisch? – Jetzt ist's heraußen.«

      Hansjörg schwieg und sah zu Boden.

      Ruth blickte angstvoll auf ihn.

      »Das Wort lutherisch hat Luther selbst nicht leiden mögen, Ruth.«

      »Das versteh' ich nicht, Hansjörg. Aber es ist mir – es ist mir – Hansjörg, als – liege nun auf einmal etwas zwischen uns im Wege, und ich könne nicht darüber.«

      »Ich denke wohl über manches nicht so, wie es gerade hergebracht und vorgeschrieben ist,« sagte der Junker und schaute ihr ruhig in die Augen. »Aber willst du mich aus dem Katechismus examinieren, Ruth?«

      »Wie könnt' ich das?« fragte Ruth unruhig. »Ich arm, unwissend Ding Euch gelehrten Herrn?«

      »Euch? Dich, dich! Komm, Ruth!« Er breitete seine Arme aus, und der Zügel des Pferdes schleifte über den Blumen.

      »Nein,« sagte sie traurig, »es liegt noch im Wege.«

      »Was denn, Ruth?«

      »Ich kann's nicht sehen, aber es liegt da.«

      »Komm, Ruth!«

      »Hat der Herr Bruder, – hast du schon einen Käufer für Theuern?«

      »So muß es denn wirklich sein Ruth? Laß doch die Welt mit ihrer Angst und Qual! Nur heute nicht, Ruth, nur nicht im Walde hier!«

      »Sind wir nicht mitten in der Welt allerorten?«

      »Was kümmert's dich? Laß doch mich kämpfen für uns beide!«

      »Hat der Herr Bruder schon einen Käufer für Theuern?«

      »Nein!« sagte Portner und stampfte.

      »Und was gedenkt nun der Herr Bruder zu thun, wenn sich kein Käufer finden will?«

      »Und was gedenkt wohl der Herr Vater zu thun in solchem Falle?«

      »Das weiß ich nicht,« antwortete Ruth mit bebenden Lippen. »Und es will mir vorerst auch nicht geziemen, zu fragen.« Sie hielt inne und drückte die Hand aufs Herz. Dann sagte sie fest: »Den Herrn Bruder aber muß ich fragen!«

      »Und wie kann ich das heute wissen?« murrte Hansjörg Portner und blickte an Ruth vorüber in den Wald. »Kommt Zeit, kommt Rat. Da spielt gar vieles mit.«

      »Der Herr Bruder weiß es nicht?« Es liefen ihr zwei dicke Thränen über die Wangen.

      »Ruth!« schrie Portner. »Du quälst mich und dich. Aber ich – ich weiß es wahrhaftig nicht.«

      Sie faltete die Hände und sah ihn flehend an.

      »Ruth, willst du, daß ich vor dir stehe und heuchle? Ruth, ich kenne nur ein Dogma: die blitzblanke Wahrhaftigkeit!«

      »Heucheln? Daran habe ich wahrlich nicht von ferne gedacht.«

      »Nun also!«

      Sie trat einen Schritt vor und sagte mit zitternden Lippen: »Ade, Herr Bruder, meine Geschwister möchten meiner bedürfen.«

      »Was soll das heißen, Ruth?«

      »Daß etwas zwischen dem Herrn Bruder und mir im Wege liegt, und ich kann nicht darüber.«

      »Ruth – also kündest du mir die Liebe?«

      »Ich?« sagte sie mit schmerzverzerrtem Gesichte und wandte sich ab. »Ich habe den Herrn Bruder unsäglich lieb.«

      Sie schlich durch den grünblinkenden Hain zurück, und Thräne auf Thräne rollte über ihre Wangen.

      Er aber stand trotzig mit zusammengepreßten Zähnen und sah ihr nach, solange das Kleid zu schauen war zwischen den silbergrauen Stämmen. Dann ging er an sein Pferd, schwang sich darauf und trabte hinaus auf die Heide.

      *

      Es war Abend, als Hansjörg Portner die Schenke verließ und aus dem Wingertshofer Thore ritt, und es dunkelte schon stark, als die Hufe seines Pferdes endlich über die lange Holzbrücke zu Theuern polterten.

      Im ersten Gaden des Herrenhauses waren zwei Fenster hell, und den Fluß entlang vom Hammerwerke kam eine hohe Gestalt über den Kirchenplatz gegangen. Hansjörg sah scharf hin, trieb seinen Gaul an und sprang neben dem Bruder ab.

      »Ah, du, Hansjörg? Was Neues?«

      »Nichts als das Alte, und das ist noch immer neu genug.«

      »Leider Gottes!«

      Sie schritten nebeneinander zur Steinbrücke. Hinter ihnen schnaubte das müde Pferd und ließ den Kopf hängen.

      »Du hast wieder geschafft wie ein Knecht,« sagte Hansjörg.

      »Als ob du sonst die Hände in den Schoß legtest, Hansjörg! – Und dann, es giebt ja zu thun von früh bis nacht. So gut ist der Hammer doch noch nie gegangen wie heuer.«

      »Wenn das der Herr Vater erlebt hätte!« sagte Hansjörg, streckte sich und riß ein Blatt vom Lindenbaume.

      »Der uns im Testamente befahl, den Hammer eingehen zu lassen! Erst neulich ist mir's wieder einmal in die Hand gefallen!« murmelte Georg.

      »Zuweilen muß man doch auch gegen ein Testament handeln,« meinte Hansjörg nachdenklich, blieb stehen und klopfte seinem Pferde den Hals. »Ein schwüler Abend!«

      »Offen gesagt, Hansjörg, es ist mir doch lieb, daß nicht ich oder du, sondern der Wolfheinz und die Vormünder von Anfang an gegen den Willen des Testaments gehandelt haben. Jetzt freilich ist's ja gut hinausgegangen.«

      »Man kann sich eben nicht immer so genau an Testamente halten, Georg,« wiederholte Hansjörg.

      »Und ist doch so was Ernsthaftes um ein Testament, vom Testamente unsers Herrn und Erlösers angefangen bis herab auf den letzten Willen


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