Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl

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nach uraltem Staub und vergilbtem Papier und nach angebranntem Siegellack, wie immer, und nach frischgeheizten Oefen ausnahmsweise von wegen der angehenden kalten Zeit. Es war so behaglich in den vertäfelten Amtsstuben beim Knattern der gewaltigen Scheiter, beim Knistern und Konferieren, beim Bücken und Nicken, beim Wispern und Gähnen, und sogar die alten, angedunkelten Kurfürsten an den Wänden sahen ganz leutselig aus ihren Harnischen und Prachtgewändern hernieder auf das Volk der Räte, Sekretäre und Schreiber, auf den neuen Troß des neuen Herrn, der ihren Enkel und Urenkel und Guckenkel so von kurzer Hand aus seinem Erbe gedrückt und mit ihm die Räte und Sekretäre und Schreiber der alten Zeit die breiten Treppen hinuntergefegt hatte. Ja es war, als verzöge der eine oder andre der fürstlichen Ahnen in seinem Holzrahmen unmerklich die durchlauchtigen Lippen und fragte ganz leise, traumverloren: »Und was hat sich denn eigentlich geändert da drunten?« Und dann antwortete wohl ein uralter Ofen, an dessen Kacheln sich schon viele Generationen gerieben hatten, mit respektwidrigem Krachen und Zischeln: »Die Gesichter, Durchlaucht, die Gesichter, die Gesichter!«

      Ja, die Gesichter. –

      Im Erker des ersten Stockwerkes stand hinter Blumenstöcken der Sekretarius von Kriemhofen und spähte auf die Straße hinunter.

      »Das Vieh kann auch entkommen sein – warum denn nicht?« murmelte er und wandte die Augen nicht von der Straße.

      Schnaufend, mit schweren Schritten kam der Regimentsrat in die Stube, nickte dem Sekretarius, der sich tief verbeugte, wortlos und herablassend zu, stellte bedächtig den Stock in eine Ecke und gab dem Sekretarius Hut und Mantel. Dann rieb er seine Hände und ging langsam auf und ab.

      »Was steht Ihr denn alleweil hinter den Blumen und guckt auf die Straße, Kriemhofen?«

      »Der Vogel geht ins Netz, Herr Regimentsrat, der Portner von Theuern ist richtig in Amberg. Und sie arretieren ihn wohl zur Stunde in seiner Herberge. Da pass' ich, bis er vorbeikommt; denn das muß ich sehen.«

      »Der Gimpel da, der –. Das will ich auch sehen,« sagte der Regimentsrat und machte ein gleichgültiges Gesicht. »Paßt nur immerhin, das will ich auch sehen.«

      »Dieser Wacholderbeerengeruch!« begann er nach einer Weile und schnüffelte behaglich.

      »Der Herr Regimentsrat befiehlt? Ja, der Geruch ist gut.«

      »Weckt mir alte Erinnerungen, der Wacholderbeerengeruch,« sagte der Regimentsrat und lehnte sich an den Kachelofen. »Aber, guter Freund, was mir gerade einfällt: der Papierkorb nähme sich doch zur Linken von meinem Arbeitstische besser aus als zur Rechten, wo er jetzt aufgestellt ist?«

      »Unbedingt zur Linken besser,« bestätigte der Sekretarius. »Der Herr Regimentsrat entschuldige nur, wenn ich immer auf die Straße schaue, derweil mich der Herr Regimentsrat mit einem Diskurs beehrt.«

      »Paßt nur, den Portner will ich auch sehen! – Ja, der Wacholderbeerengeruch – just gerade so hat's gerochen, als mich der Vater selig einst in die Stube rief, mich anguckte von oben bis unten und brummte: ›Der Kerl, der wird sein Lebtag kein Reiter; den lass' ich Lateinisch lernen und einen Schreiber werden.‹ Und so hat der Kerl Lateinisch gelernt und« – der Rat richtete sich stolz auf, soweit es das Bäuchlein erlaubte – »ist ein Schreiber geworden.«

      »Regimentsrat geworden,« sagte der Sekretarius.

      »Und wohl dabei gefahren.«

      »Gefahren,« sagte der Sekretarius.

      »Und immer, wenn er die Wacholderbeeren riecht, dann gedenkt er seines Vaterhauses im bayrischen Gebirge und gedenkt des alten Steinwappens über dem Thore, dem er solche Ehre gemacht hat.«

      »Gemacht hat,« sagte der Sekretarius und verbeugte sich.

      »Und was ist die Grundlage seiner Erfolge?« fragte der Regimentsrat, und seine Blicke schweiften in die Ferne. »Was?« wiederholte er träumerisch.

      »Der ausgezeichnete Verstand, Herr Regimentsrat, der unermüdliche Fleiß –«

      »I was! Das versteht sich doch bei einem kurfürstlichen Regimentsrate von Adel eo ipso. – Merket Euch, das Lateinische ist die Grundlage aller Dinge!« Er faltete die Hände feierlich über dem Bauche, rieb sich behaglich am alten Kachelofen und ließ die Daumen übereinander kreisen.

      »Herr Regimentsrat, soeben biegen die Einspännigen mit dem Arretierten um die Ecke,« rief der Sekretarius.

      »Auch sehen!« sagte der alte Herr und watschelte in den Erker.

      »Ei, was macht der Kerl für Augen herauf zu uns, respektwidrige Augen, als wollt' er das ganze Erkerlein aus dem Kraut fressen? Na, warte, du Bursche! Es ist doch gut, wenn man sich wieder sieht von Zeit zu Zeit. Dem werden etliche Wochen im Fuchssteiner heilsam sein!«

      »Heilsam sein,« sagte der Sekretarius und ging auf die andre Seite des Erkers und wandte kein Auge von seinem Todfeinde.

      »Was für halsstarrige Esel sind doch diese Emigranten!« brummte der Regimentsrat und schritt schwerfällig an seinen Ofen zurück. »Man sollte doch denken, die Religion Seiner Kurfürstlichen Durchlaucht könnte ihnen auch gut genug sein!«

      »Gut genug sein,« wiederholte der Sekretarius und sah dem Gefangenen nach.

      »Jetzt ich,« fuhr der Rat fort, »wenn heute Seine Kurfürstliche Durchlaucht lutherisch würde, dann käme mir's wohl sauer an, aber ich hüpfte hinterdrein –«

      »Hinterdrein,« wiederholte der Sekretarius.

      »– so wahr ich kurfürstlicher Regimentsrat bin. Was ist doch die Welt so wunderbar geordnet, und warum müssen denn die unvernünftigen Kreaturen durch ihren Starrsinn immer wieder alles in Unordnung bringen? Aber es wird schon wieder, noch ist nicht aller Tage Abend. Was will man denn Besseres? Obenan steht der Fürst als die Sonne und leuchtet über den Guten und Bösen, sorgt für alles, hat die Verantwortung für alles und nimmt alles auf sein durchlauchtiges Gewissen. Was will man denn mehr? Und woher hat die Unordnung ihren Uranfang und Ausgang genommen? Woher?«

      »Von Doktor Martin Luthers, den Gott verdamme, Ketzerei,« sagte der Sekretarius und trat mit unterwürfiger Gebärde in die Stube herab.

      »Von seiner deutschen Bibel!« schrie der Regimentsrat zornig.

      »Deutschen Bibel,« beeilte sich der Sekretarius zu wiederholen.

      »Merkt's Euch, guter Freund, immer wieder kommt man darauf, das Fundament aller guten Ordnung und aller Ruhe und Sicherheit ist das Lateinische – mein Fundament, das Fundament der kurfürstlichen Regierung, das Fundament des kurfürstlichen Thrones, das Fundament von Zeit und Ewigkeit. Und welcher Teufel hat ihn reiten müssen, den Doktor Luther, daß er seine Brechstange zuerst an dieses Fundament gesetzt hat? Stellt Euch vor, man verdeutsche dem gemeinen Pöfel das römische Recht! Stellt Euch vor – aber Ihr könnt's nicht.«

      »Kann's nicht,« wiederholte der Sekretarius mit Ueberzeugung.

      »Wie soll ich's formulieren?« fuhr der Regimentsrat nachdenklich fort. »Wo käme man hin, wenn jeder eo ipso beurteilen könnte, was recht ist? Dazu sind wir da, wir Rechtskundigen, und unser Fundament ist eben das Lateinische, das Fundament allen Respektes. Und wohin ist es gekommen, seit jeder lutherische Bauer und jeder lutherische Kesselflicker den Weg zum ewigen Leben allein finden kann? Dahin, daß sich jeder lutherische Bauer und Kesselflicker für einen Priester taxiert. Das Lateinische fehlt, und der Respekt fehlt, weil das Lateinische fehlt. Das Geheimnisvolle ist's, das die Welt regiert, und das Geheimnisvolle ist eben das Lateinische. Und hätte man diese unvergleichliche Sprache nicht, man müßte sich für die Verwaltung der allerheiligsten Güter und für die Administration des Rechtes eigens eine Sprache wählen und erfinden, die der gemeine Pöfel nicht versteht. Und wann wird's wieder Ruhe werden auf Erden? Wenn man wieder mit Wahrheit sagen kann: ›Die Welt wird lateinisch regiert.‹«

      »Lateinisch regiert,« bestätigte der Sekretarius.

      »Und wenn ich mir's recht überlege,« sagte der Regimentsrat und hob die Augen zur Decke des Gemaches, »so ist die Umgangsprache im Himmel sicherlich lateinisch. – Zu bedauern


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