Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
Marsch herrlich schmeckten. Anschließend legte sich Axel ins Gras, schloß die Augen und träumte von Lucie.
Er stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie sich hier gegenüberstanden. Wie er sie ansah, zu ihr sprach, ihr seine Liebe gestand.
Ganz deutlich sah er den verlockenden Mund, die roten Lippen, die nur darauf zu warten schienen, daß er sie küßte…, und dann drängte sich Harald Stern dazwischen, und der ganze Zauber des Augenblicks war verschwunden.
»Ach, Lucie«, murmelte er, »es hat ja doch keinen Sinn.«
Ruckartig setzte er sich auf und wischte sich über die Augen. Wahrscheinlich würde er sich niemals trauen, ihr zu gestehen, wie sehr er sie liebte, aus Angst, daß sie ihn auslachte und alles brühwarm dem Kollegen erzählte. An die Konsequenzen mochte er gar nicht denken. Nie im Leben konnte er dann an derselben Schule bleiben wie sie!
Für einen Moment schwankte Axel.
Hatte er sich zuviel vorgenommen? Sollte er nicht gleich wieder abreisen?
Vielleicht wäre es wirklich das Klügste, aber er wußte auch, daß er dann vor Sehnsucht vergehen würde, so sehr liebte er diese Frau.
Seufzend erhob er sich und schulterte seinen Rucksack. Nachdenklich machte er sich auf den Rückweg, ratlos, wie nie zuvor.
*
Nach einem kleinen Einkaufsbummel, der sich eigentlich auf die Boutique beschränkte, die es seit einiger Zeit in St. Johann gab, waren Lucie und Jenny an den Achsteinsee gefahren. Es war ein herrlicher Sonnentag, und entsprechend groß der Andrang der Badelustigen. Der große Parkplatz war beinahe schon vollbesetzt, obwohl es erst Vormittag war.
Ria hatte ihnen einen üppigen Picknickkorb gepackt. Neben Getränken und belegten Broten befanden sich auch viel frisches Obst darin und zwei Stücke von dem Apfelkuchen, den es gestern zum Kaffee gegeben hatte.
Die beiden Lehrerinnen suchten sich einen freien Platz und breiteten ihre Decke aus. Nachdem sie sich umgezogen hatten, liefen sie gleich zum See hinunter. In ihren hübschen Bikinis zogen sie die Blicke der männlichen Badegäste auf sich. Sie ließen sich ins Wasser fallen und planschten übermütig herum.
Obwohl es sich um einen Bergsee handelte, war das Wasser nicht so kalt, wie man hätte vermuten können. Erst viel weiter hinten und in der Tiefe mußte man aufpassen.
»Komm, wir schwimmen zur Insel«, schlug Jenny vor.
Sie erreichten den Holzponton, auf dem schon einige andere Schwimmer saßen und sich ausruhten. Es handelte sich um eine Gruppe, die wohl zusammengehörte, wie aus ihrer Unterhaltung zu entnehmen war.
Einer der jungen Männer drehte sich auffallend oft zu den beiden Frauen um, wobei er offenbar die blonde Jenny im Blick hatte. Lucie, die es zuerst bemerkte, stieß die Freundin an.
»Schau mal, der da…«
Neugierig blickte Jenny hinüber und sah einen dunkelhaarigen Typ, der sie ungeniert anlächelte.
»Ich glaub’, der hat sich in dich verguckt«, meinte Lucie.
Die Freundin lächelte zurück.
»Na ja, nicht uninteressant«, meinte sie. »Aber das Thema Männer ist erstmal für mich abgehakt. So leicht kriegt mich keiner mehr herum.«
Lucie dachte an Jens. Es hatte ja ganz so ausgesehen, als wenn er und Jenny das ideale Paar wären. Während einer ihrer seltenen Besuche in der Heimat, hatte die Freundin ihn mitgebracht, und Lucie hatte Jens kennengelernt. Er war ihr wirklich sympathisch gewesen, und niemand hatte ahnen können, daß er sich als so ein Schuft erweisen würde.
»Wollen wir zurück?« fragte sie.
Jenny nickte und ließ sich von der Schwimminsel ins Wasser gleiten. Lucie rutschte hinterher. Sie waren kaum ein paar Züge geschwommen, als Jenny einen Schrei ausstieß und schmerzhaft das Gesicht verzog.
»Was ist?« fragte Lucie.
»Mein Fuß«, stöhnte die Freundin. »Ein Krampf.«
Im selben Moment sank sie unter.
»Hilfe!«
Lucie schrie aus Leibeskräften und tauchte selbst unter. So bekam sie nicht mit, daß der junge Mann, der Jenny zuvor immer wieder angesehen hatte, sich mit einem Hechtsprung ins Wasser stürzte und auf die Stelle zuschwamm, an der ihre Freundin versunken war.
Lucie tauchte wieder auf.
»Ich kann sie nicht sehen«, rief sie voller Panik.
Die anderen der Gruppe sprangen ebenfalls ins Wasser; es waren drei junge Männer und eine Frau. Der zuerst gesprungen war, holte tief Luft und tauchte unter.
Angstvolle Sekunden vergingen, bis er wieder an die Wasseroberfläche kam, beide Arme um Jenny geschlungen, die leblos darin hing.
»Jenny!«
Lucie hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Sie schwamm neben dem Lebensreter her, der die Freundin ans Ufer brachte, während die anderen zur Insel zurückkehrten.
Inzwischen war wieder Leben in die junge Lehrerin zurückgekehrt. Jenny hatte die Augen geöffnet und schwamm selbst mit. Mit vereinten Kräften zogen der Mann und Lucie sie ans Land.
»Das war Rettung in letzter Sekunde!« japste Lucie nach Luft.
Jenny lag auf dem Rücken, und der Mann beugte sich über sie.
»Alles in Ordnung?« fragte er besorgt.
Die Lehrerin hustete und nickte.
»Ja, vielen Dank, Herr…«
»Ich bin Michael«, strahlte er. »Na, das ist ja noch mal gutgegangen.«
Sie richtete sich auf und reichte ihm die Hand.
»Jennifer Sommer.«
Jetzt grinste er über das ganze Gesicht.
»Wirklich? Das ist ja lustig, ich heiße nämlich Winter mit Nachnamen.«
Jetzt mußten alle drei lachen.
»Schön, daß ich helfen konnte«, meinte Michael und schaute zur Insel hinüber. »Ich glaub’, ich muß dann mal wieder. Die anderen werden schon warten.«
»Noch mal vielen Dank«, sagte Jenny, und irgendwie schwang Bedauern in ihrer Stimme mit.
Sie hätte sich gerne erkenntlich gezeigt, Michael Winter gerne zu etwas eingeladen. Doch der war schon wieder ins Wasser gelaufen und schwamm zu seinen Freunden zurück.
Lucie half ihr auf.
»Geht’s wieder?«
Jenny nickte, und während sie zu ihrem Platz gingen, wendete sie den Kopf und sah zur Insel hinüber, wo Michael von den anderen mit lautem Rufen und Klatschen begrüßt wurde.
*
»Himmel, du hast’ ja noch mal richtig Glück gehabt«, sagte Ria Stubler erschrocken, als die beiden Frauen am späten Nachmittag in die Pension zurückkehrten und von dem Badeunfall berichteten.
Lucie saß der Schrecken immer noch in den Knochen, Jenny hingegen schien den Zwischenfall schon vergessen zu haben.
»Es war ja bloß der Krampf im Fuß«, wiegelte sie ab.
»Trotzdem, du hättest ertrinken können«, beharrte ihre Freundin. »Wenn der Michael nicht so schnell reagiert hätte…«
»Also, auf den Schrecken hin koch’ ich uns etwas Ordentliches zum Abendessen«, sagte Ria. »Worauf habt ihr denn Appetit?«
Gäste, die sie in ihr Herz geschlossen hatte, kamen bei der Pensionswirtin immer in den Genuß, mit ihr zusammen essen zu dürfen. Ria war alleinstehend und freute sich, wenn sie jemanden umsorgen konnte. Und die beiden Frauen mochte sie besonders gern.
»Ach, uns schmeckt immer alles, was du kochst«, meinte Lucie.
Ria