Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох

Gesammelte Werke von Sacher-Masoch - Леопольд фон Захер-Мазох


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verkrüppelten Obstbaum mit silbernen Quasten behängt. Hohe Wälle von Schnee umgaben jede Wohnung. Da hat sich der Mensch seine Gänge gegraben wie der Dachs oder Fuchs. Der leichte Rauch, der aus dem Dache emporsteigt, scheint in der Luft zu frieren. Große silberne Pappeln stehen um den Hof. Hie und da flattern Stäubchen Reifes wie Schwärme diamantener Mücken empor und ziehen – ein Miniaturgewitter – tausend kleine Blitze sprühend, durch die Luft.

      An dem Ausgange des Weilers jagen Bauernbuben mit weißen Köpfen und rothen Backen, halbnackt im Schnee. Sie bilden einen Mann daraus und stecken ihm eine lange Pfeife in das breite Maul, wie der Edelmann sie raucht. Da sitzt ein junger Bauer auf einem Handschlitten und ein paar hübsche Mädchen mit langen braunen Zöpfen und vollem Busen in dem gebauschten weißen Hemde ziehen ihn über Stock und Stein. Der Muthwille steigt wie eine jubelnde Lerche über ihnen empor. Wie sie lachen! und er lacht noch toller und hat die Mütze verloren.

      Wir flogen dem Wald vorbei.

      Wo ist seine Melodie? Heiser bellt der Fuchs und die Dohle schreit. Das bunte rothe Blattwerk ist oben einförmig mit Schnee umhüllt. Wald und Himmel umfließt ein rosiger, feuchter Duft. Vor uns liegen nur noch beschneite Hügel wie die starren Wogen eines weißen Meeres. Wo der weiße Himmel in dasselbe taucht, lagert sich ein Glanz. Nur jenes Auge kann ihn sehen, das in die Sonne schauen kann. Hinter uns versinkt das Dorf, der rothe Wald; die letzten Spitzen der kahlen Berge leuchten noch einmal auf, auch sie versinken wie Hügel und einzelne Bäume. Die unbegrenzte Ebene hat uns aufgenommen. Vor uns nichts als Schnee, hinter uns Schnee, über uns wie Schnee der weiße Himmel, um uns die tiefste Einsamkeit der Tod, die Stille. – –

      Wir glitten dahin wie im Traume. Die Pferde schwammen nur im Schnee, der Schlitten folgte lautlos. Seitwärts lief eine kleine graue Maus über das Schneefeld. Weit und breit blickte kein Schornstein, kein hohler Baumstamm, kein Maulwurfshügel hervor und sie lief so behutsam emsig vor sich hin. Wohin? Jetzt war sie noch ein kleines dunkles Pünktchen. Dann war es wieder einsam um uns. Es schien, daß wir nicht vorwärts kamen. Es veränderte sich nichts vor uns, nichts hinter uns, nicht einmal der Himmel. Er steht starr, wolkenlos, einfarbig, wie frisch mit Kalk getüncht, er bewegt sich nicht, er schimmert nicht einmal. Nur die Luft wird immer abendlicher, schärfer, sie schneidet wie Glas.

      Mausche Kattun hat sich eben geschnitten, er greift erschreckt in den Schnee, reibt sein Ohr und zieht dann die Klappe seiner Mütze darüber. Am Ende steht unser Schlitten wie ein Fahrzeug in dem stillen Meere, das sich bewegt, ohne von der Stelle zu kommen. Wir glauben nur zu fahren, nichts hinter uns, nichts vor uns, wie wir zu leben glauben. Denn leben wir? Heißt nicht leben, sein? und nicht mehr sein – nie gewesen?

      Da fliegt ein Rabe, er segelt mächtig mit schwarzen Fittichen, schweigsam mit offenem Schnabel. Jetzt flattert er um einen Schneehügel. Ist es ein Schotterhaufe, ist es ein verlorener, versunkener Heuschober, in dem er Mäuse wittert? Nein. Er fliegt halb, halb hüpft er um denselben, er hinkt im Fliegen und flattert im Gehen, besieht ihn von allen Seiten, steht dann oben und hackt hinein. Es ist ein Aas. Dort kommt auch schon der Wolf mit zottigem Nacken, er hebt die Schnauze und zieht Luft, dann trabt er heran. Wie er es erreicht, riecht er dazu, sieht den Vogel an, winselt und wedelt wie ein Hund, der seinen Herrn wiederfindet. Der Rabe steht oben, heiser, lustig und schlägt mit den Flügeln. »Komm Bruder, es ist genug da für uns Beide.« Wie sie sich anlachen, die Spitzbuben.

      Indem die Sonne sinkt, wird sie allmälig tief unten als eine glänzende Dunstkugel sichtbar. Sie geht nicht unter, sie sinkt in den Schnee. Er zerfließt wie geschmolzenes Gold, goldene Wellen spielen bis zu uns, wunderbare Farben laufen über den Schnee, der mit flüssigem Silber besprengt ist. Jetzt verlöscht sie. Die tausend Lichter, welche sie ausgeworfen hat, rinnen zusammen, werden blaß, noch schwebt ein leichter, rother Hauch in der Luft, dann löst auch er sich auf, Alles ist wieder farblos, kalt und unbeweglich.

      Nur einen Augenblick.

      Dann stößt die Luft aus Osten plötzlich scharf und eisig gegen uns.

      In der Ferne schwamm ein Schlitten, die flüchtigen Luftwellen trugen den wimmernden Ton seines Glöckchens herüber, dann verschlang ihn der aschfarbe Nebel, welcher an dem Horizonte eilig aufstieg, sich zusammenballte und wogte. Es wurde rasch dunkel, formlose, weißgraue Wolken umspannten den Himmel, eine furchtbare Armada, Segel an Segel. Jetzt schlägt der Wind hinein und bläst sie auf, sie schwimmen näher, theils kommen sie heran, theils fahren wir in sie hinein. Abendliche Dünste lodern hervor und lösen sich in leichte Schatten auf.

      Der Jude hält seine Pferde an.

      »Es kommt ein Sturm,« sagt er mit besorgtem Antlitz; »der Schnee kann uns verwehen, es ist näher nach Tulawa als zurück. Was meinen Sie, Herr?«

      »Also fahre nach Tulawa.«

      Er knallte zweimal mit der Peitsche über den Köpfen seiner Thiere.

      Wir flogen weiter. Zerrissene Nebel schwirrten wie Vögel mit großen matten Fittichen um uns. Dort ist das Heiligenbild auf steinernem Pfahl, hier wendet sich der Weg nach Tulawa zur Rechten.

      Schon schlägt uns der Wind mit beiden Fäusten in den Nacken, er heult mit entsetzlichen, jammervollen, wahnsinnigen Stimmen, er stößt von der Höhe herab in den Schnee, wühlt ihn auf, zerschlägt die großen Wolken, wirft sie zur Erde in fleckigen Klumpen und droht uns damit zuzudecken. Die Pferde nehmen die Köpfe zwischen die Beine und schnauben. Der Sturm weht weiße Wirbel auf bis zum Himmel empor, kehrt die Ebene mit weißen Besen und kehrt ungeheure Kehrichthaufen zusammen, in denen er Menschen und Thiere, ganze Dörfer begräbt.

      Die Luft brennt als wäre sie glühend, sie ist fest geworden, vom Sturm zerbrochen fliegt sie in Stücken umher und dringt, wenn man Athem holt, gleich Glassplittern in die Lunge.

      Die Pferde können nur langsam vorwärts, sie graben sich durch Schnee, Luft, Wind.

      Der Schnee ist ein Element geworden, in dem wir mit aller Anstrengung schwimmen, um nicht zu ertrinken, das wir athmen, das uns zu verbrennen droht. In der furchtbarsten Bewegung wird die Natur starr und eisig. Wir selbst sind nur Theile der allgemeinen Kälte und Starrheit. Man begreift, wie das Eis eine Welt begraben hält, wie man aufhört zu leben ohne zu sterben, ohne zu verwesen. Ungeheure Elephanten, riesige Mammuths liegen darin unversehrt aufgespeichert für die Suppentöpfe fleißiger Gelehrter. Man erinnert sich an vorweltliche Diners und lacht. Man wird überhaupt lachlustig. Kitzeln reizt ja zum Lachen und die Kälte kitzelt furchtbar, ununterbrochen, grausam. Scheintodte in der Nase gekitzelt nießen und werden dann lebendig. Alles friert. Die Gedanken hängen wie Eiszapfen am Gehirn, die Seele bekömmt eine Eisdecke, das Blut fällt wie Quecksilber. Man denkt nicht mehr seine Gedanken, man fühlt nicht mehr wie Menschen fühlen, Moral und Christenthum hängen uns wie erstarrter Nebel in den Haaren, das Elementarische an uns wird gewaltsam herausgekehrt. Wie zornig werden wir, wenn uns ein Nagel nicht in die Wand will, wir zerschmettern ihm wohl mit einem Streich das metallene Haupt, wir werfen einen engen Stiefel in die Ecke und überhäufen ihn mit den merkwürdigsten Schimpfworten. Hier ist es ein Kampf um das Dasein, aber man kämpft ihn wie ein Element geduldig, stumm, resignirt, beinahe gleichgültig. Jenes Leben, das wir so sehr lieben, ist erstarrt, wir sind ein Stein, ein Stück Eis, eine erstarrte Luftblase mehr in dem Kampf der Elemente.

      Man beobachtet den eigenen Puls wie einen fremden. Ein weißer Vorhang trennt uns von unseren Pferden, der Schlitten trägt uns im Sturme wie ein Kahn ohne Ruder, ohne Segel – er steht beinahe still.

      Der Orkan heult eintönig fort, die Luft brennt, der Schnee wirbelt; Raum und Zeit verschwinden. Gehen wir vorwärts? stehen wir? Ist’s Nacht – ist’s Tag?

      Langsam ziehen die Wolken gegen Abend. Langsam schnauben die Pferde wieder, jetzt tauchen sie auf, den Rücken voll Schnee – es fallen dichte Flocken, die Erde ist ellenhoch von ihnen bedeckt, aber man sieht wieder und kommt vorwärts. Der Sturm keucht nur noch und wälzt sich winselnd im Schnee, die Nebel liegen wie grauer Schutt am Boden. Wo sind wir?

      Ringsum Alles verweht, kein Weg, kein Schotterhaufen, kein hölzernes Kreuz, das ihn weist, die Pferde waten bis an die Brust, nur in der Ferne noch einzelne verlorene Töne des Sturmes. Wir stehen, gehen wieder vorwärts, der Jude fegt seinen Thieren den Rücken mit dem


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