Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох
voll Licht, Duft und Frische, als Pauloff in der Mitte eines Detachements Grenadiere den Weg zum Tode ging. Auf den blühenden Zweigen der Kirschbäume zwitscherten Sperlinge und Finten, vom nahen Dorfe klangen freundlich hell die Kirchenglocken herüber.
Auf der Richtstätte erwartete Frau von Mellin, ganz in grünen, zobelbesetzten Samt gekleidet, den Rohrstock in der Hand, vor der Front ihres Regimentes den Verurteilten.
Bei dem Anblicke des schönen, geliebten, grausamen Weibes durchschauerte es Pauloff – aber er verlor keinen Augenblick seine Fassung.
Noch einmal trat der Offizier, welcher das Exekutionskommando führte, an ihn heran und forderte ihn leise auf, eine Gnade zu erbitten.
»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen«, sagte Pauloff, »und bitte Sie, nach meinem Tode Frau von Mellin und Iwan Nahimoff zu sagen, daß ich ihnen vergeben habe, aber ich bitte nicht um Gnade.« Zugleich warf er Rock und Mütze ab und trat festen ruhigen Schrittes vor den Sandhaufen.
Der Profoß verband ihm die Augen.
Das Exekutionskommando marschierte auf.
Sechs Mann traten vor, sechs Flintenläufe zielten auf Pauloff’s Brust. »Feuer!«
Die Decharge knallte, exakt wie auf dem Exerzierplatze; aber Pauloff stand noch immer aufrecht.
Und ehe er noch verstehen konnte, was geschehen war, fiel die Binde von seinen Augen, und das schöne grausame, angebetete Weib lag unter Thränen lachend an seiner Brust.
So seltsam ist das weibliche Herz! So lange sie in Iwan Nahimoff den armen Leibeigenen, den gemeinen Soldaten, den Halbwilden sah, während ihr Pauloff als Ihresgleichen stolz und übermütig gegenüber stand, haßte sie den letzteren und glaubte den ersteren zu lieben. Wie sie aber einmal Nahimoff zu sich erhoben hatte, wie er durch seine Gaben sogar zu glänzen begann, war er ihr nicht mehr interessant und die Wagschale des unglücklichen, auf das tiefste gedemütigten Pauloff stieg.
Gerade in dem Augenblicke, wo sie ihn unter dem Fuße Nahimoff’s sah, erwachte die Liebe zu ihm in ihrer Brust mit verdoppelter Gewalt, und sie war von da an entschlossen, ihm nicht allein das Leben, sondern auch ihr Herz und ihre Hand dazu zu schenken. Aber sie konnte es sich nicht versagen, seine Festigkeit, seinen Mut auf eine Probe zu stellen, welche er, so schwer sie auch war, glänzend bestanden hatte. »Sie lieben mich?« waren die ersten Worte, welche Pauloff stammelte, »und Sie haben mich so sehr gehaßt?«
»Ich habe Sie nie gehaßt,« flüsterte Frau von Mellin.
»Weshalb haben Sie mich dann so entsetzlich gequält?« sagte Pauloff.
»Nicht ich – Amor war es –.«
»Amor?«
»Ja – aber Amor mit dem Korporalstock.«
Das Erntefest
Ringsum klingt die Sense, die Sichel; Lieder bald fröhlich wie Lerchen, bald trauernd sehnsuchtsvoll wie Nachtigallen steigen aus der Ebene empor. Die Ernte ist im vollen Zuge. Die weite podolische Fläche wogt im leichten Sommerwinde, ein gelbes Meer, Hügel an Hügel scheinen sich wie große Wogen zu heben und wieder zu senken, auf einzelnen kleinen Inseln wimmelt es von Schnittern wie von kleinen, schwarzen Insekten.
Um mich, oder eigentlich um den ostgalizischen Edelhof, in dem ich vor einer Woche etwa vom Pferde gestiegen und bis heute ein Gefangener russischer Gastfreundschaft bin, dehnt sich ein Stück dieser unendlichen Ebene, das hat seine Korn-und Weizenwellen in riesigen Garben zusammengebunden. Zu dreien aneinander gelehnt, stehen sie weithin in langen Reihen, gleich Zelten eines ausgedehnten Lagers, nur am Horizonte von einem kleinen Wäldchen, das wie ein dunkler Gartenzaun dasteht, und von dem Dorfe Turowa begrenzt, dessen niedere, von Strohdächern tief überhangene Hütten mit einzelnen emporragenden Stangen man von weitem für längliche Heuschober halten könnte.
Der Edelhof, ein langgestrecktes, ebenerdiges Gebäude, steht mit seinen Ställen, Schuppen, Scheuern auf einem Hügel. Ein Fußpfad führt zwischen Felder, die nur noch dürre Stoppeln zeigen, in Krümmungen gegen das Dorf hinab. An ihm lehnt ein flacher, kahler Erdaufwurf, das Volk nennt ihn den Tartarenhügel, und jenseits desselben steht das Kornfeld, von dem aus die Lieder der Schnitter herübertönen, dann noch eins und noch eins.
Ich nehme meine Flinte und trete aus dem Hause.
Da sitzt auf der Veranda der Herr des Edelhofes, mein Wirt Wasyl Lesnowicz. Ein würdiger Mann, nicht eben klein, knochig, mit starker Stirne, unverwüstetem, weißem Haare, langem Schnurrbart, fester Nase und dickem Kinn. Die blauen Augen unter den struppigen Augenbrauen wie verborgene Flämmchen lebhaft und feurig.
»Gehen Sie nicht zu weit vom Hause, Bruder« sagte er bedächtig, »die Bauern werden heute mit der Ernte fertig, dann feiern wir heute abend noch das Erntefest, ja, sie kommen alle herauf, das ganze Dorf, das Volk hat so ein Attachement an unsereins, weil man zu ihm gehört, drüben bei dem polnischen Nachbar, da kommt niemand mehr zum Erntefest, als die bezahlten Schnitter.«
Herr Wasyl war nämlich stolz auf das Ansehen, das er beim Landvolk genoß.
Seine Familie war, wie alle adeligen Geschlechter Ostgaliziens, russischer Abkunft, hatte unter polnischer Herrschaft polnische Sprache und Gesinnung angenommen, aber den griechischen Ritus bewahrt. Herr Wasyl hatte seine Bauern nie schlecht behandelt, aber vor dem Jahre 1848 die Herstellung Polens als politische Notwendigkeit angesehen. Als in jenem Jahre der Bauer seine Freiheit erlangte und die russische Nationalität in Galizien zu neuem Leben erwachte, da begann auch Herr Wasyl russische Zeitungen zu halten, russische Bücher zu kaufen, seinen Töchtern Jacken nach russischem Schnitte machen zu lassen, mit den Polen französisch zu sprechen, in der Unterredung mit Bauern stets Phrasen wie: »wir Brüder« »wir Landsleute«, fallen zu lassen und jeden mit einem »bleibt gesund!« zu grüßen.
Ich sagte, ich wolle eben nur auf das Feld zu den Schnittern gehen, nahm Abschied und schritt gegen das Dorf.
Auf dem Fußpfad kam mir eine schlanke Bäuerin entgegen, den Kopf phantastisch mit einem bunten Tuche wie mit einem Turban umwunden, sie ging mit einem »Gelobt sei Jesus Christus« gesenkten Blickes an mir vorüber.
Da lag nun das Kornfeld, das unter den kräftigen Armen der Schnitter rasch zu Boden sank. Behende arbeiteten die jungen Burschen in weiten, grobleinenen Beinkleidern und Hemden, mit bloßen Füßen, Armen und bloßem, braunem Halse, einen breitkrempigen Strohhut auf dem Kopfe. Die Mädchen in kurzen, bunten Röcken, ploderndem Hemde, den roten oder gelben Tüchern auf dem Kopfe, tauchten beim Schneiden wie große Mohnblumen auf und ab.
Zur Seite stand ein großer Krug Wasser mit einem angeschnittenen Laibe schwarzen Brotes als Deckel. Seitwärts richteten mit echt russischem Ernste einige Bauern die Garben und stellten sie schief zusammen, wie man Gewehre in Pyramiden stellt, damit der Regen abrinnen kann.
Buben versteckten sich zwischen denselben, einer rief: »Ich bin ein Bär! Das ist meine Höhle!« Sofort liefen die anderen herbei, suchten ihn mit Weidenruten herauszutreiben und schrieen sich heiser, bis ein Garbenbündel umsank, das nächste niederwarf, und so eine ganze Reihe wie Kartenhäuser zusammenfiel. Eine kräftige Stimme tönte herüber, jetzt richteten sie die Garben rasch auf, legten sich halb nackt in den warmen Sand des Weges und horchten zu, wie einer ein Märchen erzählte.
Seitwärts stand eine Schnitterin, ein junges Weib. Die staubigen Füße, die schlanke Hüfte, die volle Brust besonders wohlgebildet. Das Haar in einem großen Kranz um den feinen Kopf mit seelenvollem, blauem Äug’ und der feinen, sanftgebogenen Nase. Sie wischte den Schweiß mit dem weiten Hemdärmel von Stirne und Wange, steckte die Sichel rückwärts in das Schürzenband und hockte sich in das Korn.
Da lag ihr Kind.
Sie nahm es an die Brust, setzte sich unter den Weißdornstrauch, wo er den vollsten Schatten gab und sprach zu ihm süße Worte wie Küsse, zärtliche Diminutive, wie sie keine andere Sprache besitzt, halb singend,