Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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Jahr­hun­derts hin­ein. Ich woll­te auch hier we­ni­ger den li­nea­ren Ablauf ge­ben, als die großen Per­sön­lich­kei­ten, in de­nen der Zeit­geist sich ver­kör­per­te, in ih­rer le­ben­di­gen Ge­gen­wart dar­stel­len. Das An­fangs­ka­pi­tel »Lo­ren­zo il Ma­g­ni­fi­co«, wo­für ich so­gar einen Teil der al­ten Un­ter­la­gen ver­än­dert und er­gänzt noch brau­chen konn­te, brach­te ich schon fer­tig mit; jetzt ging es in den nach­fol­gen­den Ka­pi­teln: Die »Bel­la Si­mo­net­ta« und »Die Me­di­ce­i­sche Ta­fel­run­de«, die ich mir für For­te auf­ge­spart hat­te, um das Tie­fe­re, die Welt, die jene Groß­grund­be­sit­zer des Geis­tes sich schu­fen, wenn sie au­ßer­halb des Zeit­ge­sche­hens, das sie selbst be­wirk­ten, ih­ren »ei­gent­li­chen Tag« le­ben woll­ten. Denn das gol­de­ne Zeit­al­ter, das man das me­di­ce­i­sche nennt, hat es ja in Wirk­lich­keit nie ge­ge­ben, so we­nig wie das pe­ri­kle­i­sche, und doch sind bei­de in der Ge­schich­te des mensch­li­chen Geis­tes strah­len­de, un­ver­gäng­li­che Wahr­hei­ten. Der Ti­tel mach­te Schwie­rig­kei­ten, un­ter dem ich die Ein­zelauf­sät­ze zu­sam­men­fas­sen woll­te; Su­chen und Nach­den­ken för­der­te wie ge­wöhn­lich nichts, bis er mir ei­nes Ta­ges als Ge­schenk vom Him­mel fiel. War der Griff auch ge­wagt, so schlug er doch ein, denn er drück­te das aus, was ich sa­gen woll­te, da­her spä­ter vie­le glaub­ten, »Die Stadt des Le­bens« sei ein über­lie­fer­ter Schmuck und Ehren­ti­tel für das Flo­renz der Re­naissance. Die Bild­bei­la­gen mach­ten bei der fort­ge­schrit­te­nen fo­to­gra­fi­schen Tech­nik kei­ne Schwie­rig­kei­ten mehr, und so konn­te ich jetzt das Er­leb­nis vor­be­rei­ten, das ich in küh­ner Ju­gend­hoff­nung vor­aus­ge­nom­men hat­te, mein Buch als Füh­rer zu den großen Ta­gen von Flo­renz in den Hän­den der deut­schen Rei­sen­den zu se­hen.

      Mein Ar­beits­frie­de in For­te dau­er­te so lan­ge, bis das klei­ne Se­gel­boot, das Ed­gar sich nach ei­ge­nen An­ga­ben in Li­vor­no bau­en ließ, fer­tig war und von nun an mit sei­nem Be­sit­zer täg­lich drau­ßen auf dem Mee­re schwamm. Weil er al­les an­ders ha­ben woll­te als an­de­re, hat­te er sich eine ei­ge­ne Ta­ke­lung aus­ge­dacht, die er auf be­son­de­re Wei­se re­gier­te. Bei sei­nem Scharf­sinn ge­lang ihm auch dies, nur dass man nie wuss­te, wie sich in kri­ti­schen Au­gen­bli­cken sei­ne Ein­rich­tung, an der im­mer ge­bas­telt wer­den muss­te, be­wäh­ren wür­de. Für star­ken See­gang war das schlan­ke, ele­gan­te Boot oh­ne­hin zu leicht. Drein­re­den ließ er sich nicht, und sei­ne Mut­ter wag­te auch gar nicht, ihn mit ih­rer na­gen­den Angst zu be­läs­ti­gen; er wür­de ja doch nicht nach­ge­ge­ben ha­ben, nur die Freu­de wäre ihm ver­dor­ben wor­den, und der Ver­druss hät­te ihn zu ver­mehr­ter Wag­hal­sig­keit ver­an­lasst. Aber so oft das arme Mut­ter­herz sein Se­gel in der Fer­ne kreu­zen sah, jag­te die Un­ru­he sie trepp­auf trepp­ab, Zim­mer aus und ein, dann wur­de ich ohne Gna­de vom Schreib­tisch auf­ge­trie­ben und muss­te mit hin­un­ter an den Strand. Was ich da soll­te – das Boot be­schwö­ren, dass es nicht ken­te­re, die Wel­len, dass sie sei­nen Herrn nicht schä­dig­ten? das wuss­te sie so we­nig wie ich. Hät­te sie gar er­fah­ren, was sie nie er­fuhr, dass er ei­nes Ta­ges, weit ent­fernt von der Küs­te, beim Han­tie­ren mit dem Se­gel über Bord stürz­te, wäh­rend das Boot weiter­schoss! Zum Glück konn­te er es beim Wie­der­auf­tau­chen von hin­ten noch fas­sen und sich wie­der hin­auf­zie­hen, denn er war am Bug ab­ge­stürzt, sonst wäre je­nes Ta­ges wirk­lich das klei­ne Schiff­lein ohne sei­nen Herrn auf­ge­fischt wor­den. – Arme »Stadt des Le­bens«, wie soll es dir er­ge­hen? Es war oh­ne­hin eine Auf­ga­be, bei die­sem Baro­me­ter­stand, den alle an­de­ren zur Rast und Er­ho­lung be­nütz­ten, zu ar­bei­ten, aber nun auch noch die­se täg­li­chen auf­ge­reg­ten Zwi­schen­fäl­le! Oft wa­ren mei­ne Ner­ven am Zer­rei­ßen. Aber der Strand von For­te hat­te eine zau­be­ri­sche Tu­gend, die ihm ver­blie­ben ist –, ob es der stär­ken­de Atem des Mee­res war oder, wor­an vie­le glau­ben, ein rei­ches Vor­kom­men von ra­dio­ak­ti­ven Kräf­ten im Küs­ten­sand –, so­bald ihn der Fuß be­trat, war es, als wür­de ein Strom ein­ge­schal­tet, der den Geist frucht­bar mach­te. Oft ge­nüg­ten we­ni­ge Schrit­te am Ufer, und die ab­ge­stopp­ten Ge­dan­ken stell­ten sich mit sol­cher Schnel­le und Fül­le wie­der ein, dass ich rasch ins Haus zu­rück muss­te oder sie in ei­nem mit­ge­brach­ten Merk­büch­lein durch Stich­wör­ter ver­haf­ten. Als ich für das be­sag­te Buch das Bac­chus­lied des Lo­ren­zo de’Me­di­ci und die Stro­phen des Po­li­zi­an mit ih­rem rei­chen Reim­schmuck über­setz­te, da woll­te des öf­tern die reim­be­schränk­te deut­sche Spra­che nicht ger­ne mit. Aber ich brauch­te mich nur in den Ufer­sand zu stre­cken, so tat das Ra­di­um, oder was es sonst war, auf eine mich sel­ber über­ra­schen­de Wei­se sei­ne Schul­dig­keit: die Rei­me füg­ten sich na­tür­lich ein, und die Ver­se flos­sen zwang­los, ohne Ver­ren­kung. Und das rhyth­mi­sche An­rol­len und Zu­rück­rol­len der Wel­len stell­te die zer­ris­se­ne Har­mo­nie des In­nern wie­der her.

      Oft­mals kam auch Hil­de­brand, der in For­te sei­ne Ab­hand­lun­gen über künst­le­ri­sche Din­ge schrieb, mit ei­nem Stoß Ma­nu­skript mit­ten in mei­ne Ar­beit hin­ein, da­mit ich ihm hül­fe, sei­ne zy­klo­pi­schen Sät­ze für das Ver­ständ­nis des Le­sers zu­recht­zu­häm­mern. Die­se Un­ter­bre­chung ließ ich mir ger­ne ge­fal­len, denn die Er­qui­ckung, die von den stun­den­lan­gen, geis­tent­bin­den­den Zwie­ge­sprä­chen aus­ging, mach­te den Zeit­ver­lust reich­lich gut.

      Ich habe nie den grei­sen Faust be­grif­fen, den die »zweck­lo­se Kraft un­bän­di­ger Ele­men­te« zum Verzwei­feln be­ängs­tet, weil mit dem prah­le­ri­schen Ge­tue der Wo­gen nichts Nütz­li­ches ge­leis­tet ist. Wer weiß, wie bald es der Tech­nik ein­fal­len wird, sich auch die­se Ur­kraft zu bän­di­gen, in­dem sie Wun­der­ge­sta­de wie die­se mit höchst zweck­vol­len An­stal­ten, Kraft­werk an Kraft­werk um­säumt, je­den Fuß­breit frei­er Schön­heit ver­nich­tend, dass der alte Meer­gott sein grün um­kränz­tes Bet­te nicht mehr kennt. Ob dann nicht ei­nes Ta­ges die Ur­dä­mo­nen die Ge­duld ver­lie­ren wer­den, dass sie die ver­greis­te Erdrin­de in Stücke schla­gen, sich viel­leicht wie­der ein­mal den Mond her­un­ter­lan­gen und mit den zer­spreng­ten Kon­ti­nen­ten so­lan­ge Fuß­ball spie­len, bis al­ler Platz frei wird für ein neu­es, wie­der kind­li­ches Ge­schlecht. Sie wer­den noch wis­sen, wie es ge­macht wird, wenn sie auch für jetzt nur je und je klei­ne Pro­be­stück­chen vor­füh­ren. Ich den­ke an ge­wis­se Win­ter­näch­te, die ich al­lein mit mei­nem Müt­ter­chen in dem klei­nen Haus ver­brach­te, wo kei­ne Frau des Dor­fes mit uns schla­fen woll­te, weil auf und ab an dem don­nern­den Strand in die­ser Jah­res­zeit kei­ne an­de­re Men­schen­see­le at­me­te als wir. Da stand ich al­lein die lan­gen Stun­den am Fens­ter, wäh­rend sie schlief, und sah im wech­seln­den Mond­licht, das da und dort durch Wol­ken­rit­ze drang, die alte Mid­gard­schlan­ge sich mit wü­ten­dem Ge­brüll in ih­rem Bet­te wäl­zen, bald hoch zum Him­mel hin­auf­ge­bäumt, bald sich mit un­end­li­chem Schwall und Schaum bis nahe vor mei­ne Haus­tür er­gie­ßend. Und mehr als ein­mal habe ich mich da ge­fragt, ob wohl am Mor­gen die­ses klei­ne Häus­lein noch in sei­nen Grund­mau­ern wur­zeln oder weit da drau­ßen mit sei­nen bei­den In­sas­sin­nen auf den ho­hen Wo­gen­käm­men trei­ben wer­de.

      Da wa­ren auch die großen Herbst­ma­nö­ver am Him­mel, die zum schau­ern­den Ent­zücken der Zuschau­er von den Wol­ken und Win­den auf­ge­führt wur­den:

       Über dem Mee­re der Wol­ken­zug,

       Wol­ken vom Ber­gessau­me:

      


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