Seewölfe - Piraten der Weltmeere 17. John Curtis
an seiner Seite, Francis Fletcher, war totenbleich geworden. Er sah Drake an, seine Lippen zuckten und seine dicken Finger krampften sich um die Bibel, die er mit beiden Händen umfaßt hielt.
„Aber Kapitän“, stotterte er, „Sie selbst haben soeben noch gesagt, daß jede Obrigkeit von Gott ist, niemand kann mich meines Amtes entheben, niemand kann mich so einfach zum Gemeinen degradieren, ich habe mein Amt von ...“
„Schweigen Sie, Fletcher. Gehören Sie zu meiner Besatzun oder nicht? Unterstehen Sie meinem Befehl oder nicht? Wenn ich alle sage, ohne jede Ausnahme, dann sind auch Sie gemeint. Ich warne Sie, Fletcher, ich werde ab sofort keinerlei Widersetzlichkeit mehr dulden, gleichgültig von wem.“
Er trat abermals einen Schritt vor.
„Sie alle sind von diesem Tag an genau das, wofür ich Sie einsetze. Ich ganz allein und niemand, anders. Sie, Mr. Thomas, werden weiterhin die Führung der ‚Marygold‘ übernehmen. Und Sie, Mr. Winter, die der ‚Elizabeth‘. Mr. Killigrew wird weiterhin die Dienste des Piloten der ‚Pelican‘ versehen, gleichzeitig wird er für alle seemännischen Belange dieses Schiffes verantwortlich sein. Mir persönlich und niemand anderem. Carberry fungiert als Profos, als oberster Zuchtmeister des Verbandes. Alle anderen Ränge werden von diesen Herren nach Eignung besetzt – aber ich bin sicher, daß sich da keine nennenswerten Änderungen ergeben werden. Nur: Sollte es notwendig sein, werde ich es jederzeit andern. Und zwar so, wie es die Interessen unseres Unternehmens erfordern.“
Er wandte sich dem Kaplan zu, der immer noch bleich und völlig fassungslos an der Reling des Achterkastells stand.
„Auch Sie, Mr. Fletcher, werden weiterhin die geistliche Betreuung der Besatzungen meiner Schiffe besorgen – aber denken Sie bei Römer 13 an den zweiten Vers!“
Francis Fletcher wurde noch bleicher. Er rang die Hände, dann zischelte er etwas, was aber selbst der Seewolf neben ihm nicht verstand. Trotzdem war Hasard sofort klar, wie ernst diese Warnung Drakes gemeint war, denn Fletcher war ein Intrigant, und von dort bis zum Aufwiegler war es nicht mehr weit.
Er grinste Ben Brighton an, der neben ihm stand. Dann wandte er sich dem Kaplan zu.
„Wenn ich Sie wäre, Mr. Fletcher, würde ich diese Warnung des Kapitäns beherzigen. Es ist bestimmt seine allerletzte! Ich hoffe, wir verstehen uns!“
Fletcher zuckte zusammen.
„Mr. Killigrew, wollen Sie damit etwa sagen, daß ich ...“
Der Seewolf unterbrach ihn hart.
„Ja, genau das will ich sagen, und zwar zu Ihrem Besten. Glauben Sie etwa, ich wüßte nicht um ihre Konspiration mit Sir Thomas Doughty? Sie hätten Ihre Gespräche eben nicht führen dürfen, während ich Wache ging! Seien Sie froh, daß Sie mit so heiler Haut davongekommen sind. Ich bin nicht sicher, daß Sie Ihr geistliches Gewand schützen würde!“
Dem Seewolf und Ben Brighton war sofort klargewesen, warum Drake diese ganze Farce der „Amtsenthebungen“ durchgespielt hatte. Er hatte damit seine uneingeschränkte Befehlsgewalt demonstrieren wollen und keinen der Herren auf den gefährlichen Gedanken bringen wollen, ihm irgendwann bei irgendeiner Situation Widerstand leisten zu können und sich dabei etwa darauf zu berufen, daß ihm sein Rang von der Königin von England verliehen worden sei.
An diesem Punkt allerdings stoppte die laute Stimme Drakes die Überlegungen des Seewolfs. Denn Drake hatte inzwischen dem rothaarigen Hünen Ferris Tucker, dem einstigen Schiffszimmermann der „Isabella“, ein Zeichen gegeben.
Hasard sah gerade noch, wie Tukker aufs Vorkastell lief und dabei seine riesige Zimmermannsaxt schwang. Gleich darauf hallten schwere Schläge über das Schiff. Hasard hatte den Eindruck, als würde die ganze „Pelican“ unter den gewaltigen Streichen des Hünen erbeben.
Fragend starrte er Ben Brighton an – aber auch der hob nur die Schultern.
Der Seewolf und Ben Brighton setzten sich in Bewegung. Sie turnten die Stufen zur Kuhl hinunter und bahnten sich einen Weg durch die Seeleute. Dabei schoben sich der Kutscher und Smoky an sie heran.
„Jetzt ist Ferris total übergeschnappt, Hasard!“ flüsterte der Kutscher mit beschwörender Stimme. Gleichzeitig warf er einen scheuen Blick zu den Rauchwolken hinüber, die auch an diesem Tag über den Bergen jenseits der Bucht standen und nichts Gutes verhießen. Denn dort – so wußten sie, hausten die Patagonier. Wilde, in graues Leder gekleidete Gestalten, die ihren Feinden die Köpfe mit ihren Steinbeilen zerschmetterten.
„Ferris zerschlägt die Galionsfigur, Hasard“, flüsterte der Kutscher erregt. „Das ist ein Frevel, das bringt Unglück über das Schiff. Ich weiß gar nicht, was ...“
Dan zwängte sich zwischen ihn und den Seewolf. Und im nächsten Augenblick hatte er sich auch schon vorbeigedrängelt und starrte Sekunden später ebenfalls fassungslos auf den wie ein Irrsinniger wütenden Ferris Tucker, unter dessen Hieben der Pelikan am Bug des Schiffes zersplitterte.
„He, Ferris!“ rief das Bürschchen mit sich überschlagender Stimme. „Du rothaariger Affe bist wohl total übergeschnappt, wie kommst du dreimal vom Teufel besessener Hammel dazu, unser Schiff in Grund und Boden zu ruinieren?“
In diesem Momant spaltete die Axt des Hünen mit einem letzten gewaltigen Streich die Galionsfigur entgültig mitten durch. Ein weiterer Hieb, und die beiden Hälften klatschten ins Wasser. Dann richtete sich Ferris Tucker auf. Mit einem blitzschnellen Griff packte er Dan und schwang ihn über die Brüstung des Vorkastells über die dunkle Wasserfläche hinaus. Er hielt Dan dabei nur mit dem linken Arm fest, und Dan zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen und schäumte vor Wut.
„Wenn du abgebrochener Riese mich noch einmal einen rothaarigen Affen nennst, denn gerbe ich dir das Fell, bis deine schwarze Seele wieder makellos weiß geworden ist und du endgültig vergessen hast, daß du das vorlauteste Bürschchen bist, das je auf einem Schiff Ihrer Majestät vor dem Mast gefahren ist. So, und jetzt kühl deine Wut mal ein wenig ab!“
Ferris Tucker ließ den zappelnden und tobenden Dan einfach los. Er klatschte in das eiskalte Wasser der Bucht, und über ihm erdröhnte Gelächter von rauhen Seemannskehlen.
Hasard grinste. Er wußte, wie sehr gerade Ferris Tucker das Bürschchen ins Herz geschlossen hatte, aber diese Zurechtweisung war schon längst fällig gewesen.
Ferris Tucker richtete sich zu seiner vollen, imponierenden Größe auf. Dann warf er Drake einen fragenden Blick zu, und der nickte.
Wie der Blitz verschwand der Hüne vom Achterkastell und tauchte ins Innere der „Pelican“ hinab.
Nur Augenblicke später tauchte er wieder auf. Genau in dem Moment, als Dan zornbebend und zähneklappernd wieder an Deck enterte. Ferris Tucker registrierte eben noch, daß Dan ihn anstarrte wie eine Erscheinung. Dann war er auch schon vorbei – und mit sich schleppte er eine in goldene Farbe weithin leuchtende Hirschkuh, die er auf Anordnung von Drake in vielen Stunden mühsamer Arbeit heimlich und in aller Stille unter Deck geschnitzt hatte.
Die Männer auf der Pelican rissen die Augen auf, während der Schiffszimmermann die goldene Hirschkuh auf dem Vorderkastell abstellte.
In diesem Moment betrat auch Drake das Vorderkastell. Sofort verstummten die Stimmen der Männer, und auch auf dem Hauptdeck unterhalb des Vorderkastells drängten sich die Seeleute. Viele enterten in die Takelage auf – keiner wollte sich das entgehen lassen, was nun geschehen würde.
Drake trat zu Ferris Tucker und legte seine beiden Hände auf die goldene Hirschkuh, die der Riese zwischen seinen Pranken hielt.
„Hiermit taufe ich unser Schiff, die einstige ‚Pelican‘ auf den Namen ‚Golden Hind‘. Möge der ‚Golden Hind‘ Glück beschieden sein in allen Stürmen und in allen Gefahren. Möge die goldene Hirschkuh unser Schiff zu dem Goldland jenseits des Atlantik führen, möge diese neue Galionsfigur, die zugleich das Wappentier eines der tapfersten Männer unseres Landes ist, der zudem noch in der Gunst unserer Königin steht, England und der Krone zu Ruhm und Ehre gereichen. Und möge der neue Name unseres Schiffes, ‚Golden Hind‘, für jeden von