Seewölfe - Piraten der Weltmeere 17. John Curtis
Kapitän Thomas und Kapitän Winter längsseits gegangen waren, zur „Marygold“ und zur „Elizabeth“ zurückgepullt wurden. Sein Blick wanderte zur Kuhl, auch dort waren inzwischen die letzten Blutflecken beseitigt worden. Wie von Drake angeordnet, wurde an die Seeleute Rum ausgegeben. Hasard beschloß, ihnen die Zeit zum Trinken zu lassen, aber danach würde er sie durch Ben Brighton und Carberry gehörig anlüften lassen. Denn die Zeit drängte.
Hasard stieg zum Achterkastell empor. Dort stieß er auf Francis Fletcher, den Kaplan, und John Doughty, den Bruder des Hingerichteten. Sofort verstummte das Gespräch der beiden.
Hasard bedachte sie mit einem scharfen Blick, unter dem besonders der Kaplan zusammenzuckte. Sein gerötetes, rundes Gesicht verfärbte sich, als der Seewolf untermittelbar vor ihm stehenblieb.
„Sie haben es vorhin gehört – meine Herren. Ich bin dem Kapitän für das Schiff verantwortlich. Nachdem Sie – wie ich hoffe – eine angenehme und fruchtbare Unterhaltung miteinander hatten, teile ich Sie beide ab sofort mit zu den Überholungsarbeiten an Bord ein. Sie werden sich bei Ferris Tucker, dem Schiffszimmermann, melden. Die Geschütze müssen überprüft und festgenagelt werden. Mißverstehen Sie mich nicht, meine Herren, Sie werden diese Arbeit ausnahmsweise übernehmen, weil jede Hand an Bord gebraucht wird. Aber wahrscheinlich wird dieser Ausnahmezustand – was das Zupacken eines jeden ohne jede Rücksicht auf seine Herkunft und Stellung betrifft – für die ganze restliche Dauer der Reise gelten. Sie befinden sich auf einem Schiff Ihrer Majestät, der Königin von England, und es wird allerhöchste Zeit, daß Sie mit diesem Schiff vertraut werden. Auch Sie, Mr. Fletcher, werden der Mannschaft gewiß einen sehr viel besseren geistlichen Beistand geben können, wenn Sie die Sorgen und Nöte der Männer an der Quelle kennenlernen.“
John Doughty war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. Sein eben noch kreidebleiches Gesicht rötete sich vor Zorn.
„Mr. Killigrew – ich werde den Teufel tun!“ zischte er. „Ich gehöre zu den Gentlemen dieses Schiffes. Mein Ansehen und meine Stellung würden untergraben, würde ich derartig gewöhnliche Arbeit verrichten. Ich werde mich bei Mr. Drake über Sie beschweren, Mr. Killigrew, ich werde ...“
Mit einem Schritt war der Seewolf bei ihm und packte ihn am Arm.
„Sie können sich beschweren, Mr. Doughty. Wenn Sie meinen Befehl ausgeführt haben. Und ich rate Ihnen dringend, sich die Ansprache des Kapitäns ins Gedächtnis zu rufen. Er hat da etwas gesagt, was die Zusammenarbeit der Herren und der Seeleute betrifft. Ich, Mr. Doughty, nehme solche Äußerungen des Kapitäns wörtlich. Ab jetzt mit Ihnen aufs Hauptdeck. Der Schiffszimmermann wartet, verstanden?“
Er versetzte John Doughty einen Stoß, der ihn über das Achterkastell in Richtung Niedergang katapultierte.
„Und jetzt zu Ihnen, Mr. Fletcher. Haben auch Sie irgendwelche Einwände gegen meine Anordnungen?“
Fletcher hob die Arme und streckte dem Seewolf die Innenflächen seiner Hände entgegen.
„Erzürne dich nicht über die Bösen, sei nicht neidisch auf die Übeltäter. Denn wie das Gras werden sie bald abgehauen, und wie das grüne Kraut werden sie verwelken!“ murmelte er und zog sich in Richtung Niedergang zurück. „Aus dem 37. Psalm, Mr. Killigrew. Vers eins und zwei!“ Und damit verschwand er.
Der Seewolf starrte ihm nach. Aber dann huschte ein Grinsen über seine Züge. Dieser Fletcher war ein gerissener Bursche. Und verdammt noch mal, er verstand es meisterhaft, einem seine Bibelsprüche um die Ohren zu schlagen! Trotzdem würde er auf diesen Mann ein wachsames Auge haben, das nahm sich der Seewolf fest vor. Fletcher war bestimmt kein Held – im Gegenteil. Aber er war gerissen, intelligent, eine schillernde Persönlichkeit, deren Einfluß an Bord nicht unterschätzt werden durfte.
Hasard trat an die Brüstung des Achterkastells Seine Blicke suchten das Hauptdeck nach Ben Brighton ab. Dann hatte er ihn entdeckt.
„Ben!“ brüllte er mit Stentorstimme, und sofort wandte Ben Brighton ihm sein grinsendes Gesicht zu. Er hatte soeben einen kräftigen Schluck aus der Rumbuddel genommen, die auf Anordnung von Drake unter den Männern die Runde machte.
Er winkte ihn zu sich herauf, und Ben Brighton enterte wie der Blitz die paar Stufen zum Achterkastell empor. Dann erteilte ihm der Seewolf die notwendigen Befehle.
Ben Brighton leckte sich die Lippen.
„Und die beiden Figuren da auf dem Hauptdeck, Hasard, was haben die zu bedeuten?“ Er wies auf Doughty und Fletcher.
Hasard erklärte es ihm. Ben Brighton wiegte den Kopf.
„Hm.“ Sein Gesicht war ernst geworden. „Du gibst die Befehle. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich ein guter Einfall war. Du hast die beiden tödlich beleidigt. Aber andererseits – ein wenig Arbeit kann den beiden auch nicht schaden. Nun gut, ich werde dafür sorgen, daß Ferris die beiden in Trab bringt.“
Dann grinste er plötzlich.
„Vielleicht hätte diese Kur bei Sir Doughty auch geholfen. Vielleicht war deine Idee doch ganz gut. Wenn dieser Kerl, statt seine Intrigen zu spinnen, gearbeitet hätte, dann säße ihm der Kopf wahrscheinlich noch recht fest auf den Schultern. Könnte es sein, daß du diesen Doughty vor sich selber schützen willst?“
Hasard starrte seinen Bootsmann an. Von dieser Warte aus hatte er die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet. Aber er ließ es sich nicht merken.
„Ab jetzt mit dir, Ben Sorge dafür, daß die Männer, die nicht auf die ‚Golden Hind‘ gehören, sofort an Bord ihrer Schiffe zurückkehren. Und beeil dich!“
Ben Brighton verschwand wie der Blitz. Schon Minuten später dröhnten seine Befehle über Deck. Mit wachsamen Augen verfolgte der Seewolf vom Achterkastell aus die Arbeit der Männer. Dann – nach mehr als einer Stunde – stieg er langsam zum Hauptdeck hinunter. Dabei streifte sein Blick den eigenartigen bleigrauen Himmel über der Bucht und blieb an der dünnen Horizontlinie hängen, über die sich ein dunkler, leicht gelblicher Streifen zu bilden begann. Ein sicheres Anzeichen für baldigen Wind, wenn nicht sogar für Sturm.
Aus der Ferne drang das dumpfe Trommeln der Patagonier an seine Ohren. Überall auf den Bergen, die Port St. Julian umgaben, stiegen dunkle Rauchsäulen in den Himmel.
Der Seewolf blieb stehen und spähte aus schmalen Augen zu den Rauchsäulen hinüber. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß sie auf ihrer Fahrt durch die Magellanstraße keinen Augenblick lang unbeobachtet bleiben würden.
Er entschloß sich spontan, die Handfeuerwaffen, die Pulvervorräte und die Geschütze der „Golden Hind“ persönlich zu inspizieren. Ihr Leben konnte von ihnen abhängen.
Gegen Mittag dieses Tages unternahm Kapitän Thomas einen Rundgang durch seine „Marygold“. Thomas war ein hervorragender Seemann – und ihm war keineswegs entgangen, daß die schweren Schäden, die die letzten Stürme an seinem Schiff hinterlassen hatten, nur notdürftig ausgebessert worden waren. Im Gegensatz zu Kapitän Winter von der „Elizabeth“, der zum Zögern neigte, war Thomas ein Mann schneller Entschlüsse. Außerdem wußte er seinen Anordnungen auf eine völlig unmißverständliche Weise Gehör zu verschaffen. Er war genau das, was man einen guten Kern mit rauher Schale nennt.
Auch Kapitän Thomas ging dieses ewige Trommeln in den Bergen gehörig auf die Nerven. Außerdem warf er immer wieder einen schiefen Blick zum Himmel empor, dessen Farbe ihm ganz und gar nicht gefallen wollte.
Auf dem Hauptdeck blieb er stehen und schickte einen Blick zum Großmast hoch. Er sah den Segelmacher der „Marygold“, der mit seinem Gehilfen auf der Großrah hing und fluchend dem Großsegel einen Flicken verpaßte. Thomas sah ihm eine Weile zu. Er wollte sichergehen, daß der Mann die Arbeit dort oben auch ordentlich ausführte und nicht einfach aus purer Faulheit versuchte, das aufgegeite Segel zu flicken, um es nicht erst an Deck nehmen zu müssen.
Immer noch nach oben blickend, ging er schließlich langsam weiter. Offenbar tat der Mann seine Arbeit ordentlich, er nahm sich aber vor, das später selber noch zu überprüfen.
Gerade wollte er den Blick wieder den