Die böse Begierde. Stefan Bouxsein

Die böse Begierde - Stefan  Bouxsein


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Was der Herr zuließ, konnte er nicht zurückweisen. Er war verzweifelt und doch voller Zuversicht. Er wusste nicht mehr zu unterscheiden zwischen dem, was er in den Nächten träumte und dem, was sich aus den Tiefen seines Unterbewusstseins an die Oberfläche seiner Erinnerungen hervorschlängelte. Gefühle tobten in ihm, von denen er geglaubt hatte, sie hinter den dicken Mauern des Klosters für alle Zeiten begraben zu haben. Er hatte Mutter und Vater gehabt, bevor er sich dem Herrn verschrieben hatte.

      Ein tiefer Friede breitete sich in ihm aus. Er war aus dem Schoß seiner Mutter gekommen und dem Herrn als Geschenk dargereicht worden.

       Im Frühjahr 1942 begannen meine Albträume Realität zu werden. Es war im Mai, ich lag schlafend in unserem Bett, als ich unsanft geweckt wurde. Fritz hatte wieder einen Anfall. Seine Augen waren starr an die Decke gerichtet, seine Arme zuckten unkontrolliert und stießen mir in die Rippen. Ich schrie ihn an, er solle damit aufhören. Ich war verzweifelt und kam mir so hilflos vor. Ohne die Medizin konnte ich nichts für ihn tun. Der Anfall dauerte vielleicht zwei Minuten, dann beruhigten sich seine Gliedmaßen und er lag wieder still im Bett. Ich flehte ihn an, dass er niemandem davon erzählen solle. Er meinte nur, er hätte schlecht geträumt, ich solle mir keine Sorgen machen. Wenigstens bei den Kindern hatte ich noch keine Anzeichen von derartigen Anfällen erlebt, doch ich wusste, dass das nicht so bleiben musste.

       In der Fabrik wehte ein anderer Wind, seit Propofski nicht mehr da war. Kriegsgefangene kamen und mussten arbeiten. Sie wurden schlecht behandelt und bekamen nicht viel zu essen. Fritz erzählte nicht gern davon. Er saß lieber vor dem Radio und vereinte sich im Geiste mit den Frontsoldaten. Als der Mai sich verabschiedete und die Junisonne uns verwöhnte, bekam Fritz endlich den Befehl, sich bei der elften Armee einzufinden. Er freute sich und ich sah dem Unglück direkt ins Auge. Schon am nächsten Tag begutachtete sich Fritz voller Stolz in seiner neuen Uniform vor dem Spiegel und kurz darauf sagte ich ihm Lebewohl. Er würde für die Kinder und für mich in den Krieg ziehen, ließ er mich wissen. Mit unseren drei kleinen Kindern blieb ich zurück und wusste nicht, was Fritz mehr fürchten musste. Die Geschosse der Russen oder die Rassengesetze des Führers.

       Im Juli bekam ich einen Brief von Fritz. Er war noch am Leben. Seine Zeilen strotzten vor deutschem Heldentum und Siegeswillen. Die elfte Armee hatte den Sommerfeldzug siegreich begonnen und Sewastopol erobert. Von seinen Anfällen fand ich kein Wort in seinem Brief. Am nächsten Morgen wurde ich Zeuge, wie einer der Zwillinge in seinem Bettchen einen Krampfanfall erlitt. Die Beinchen und Ärmchen von Karl zuckten so unkontrolliert, wie ich es zuvor bei Fritz erlebt hatte.

      

      Peter Arenz arbeitete offiziell als Immobilienmakler. Seine Firma Arenz-Immobilien war im Frankfurter Westend angesiedelt, wo außer anderen Immobilienmaklern auch etliche Steuerberater, Anwälte und Banken aus aller Welt ihre Geschäftsräume in bester City-Lage unterhielten. Peter Arenz hatte sich als Immobilienmakler niedergelassen, nachdem klar war, dass er bei den Arenz-Werken an seinem Halbbruder Hermann Liebig nicht vorbeikam. Das war 1977 gewesen, als er nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in den Arenz-Werken verschiedene Funktionen durchlaufen hatte. Dr. Jürgens hatte Siebels noch erzählt, dass Wilhelmine Arenz oft Streit mit ihrem Sohn Peter gehabt hatte, als dieser noch im Unternehmen tätig gewesen war. Bei keiner Entscheidung hatten Mutter und Sohn an einem Strang gezogen. Bei ihrem Sohn Hermann aus erster Ehe war das genaue Gegenteil der Fall und vier Jahre nach dem Tod von Walter Arenz hat Peter Arenz das Feld geräumt und sich seine eigene Firma aufgebaut. Finanziert hat er sich durch die Gewinnanteile der Arenz-Werke, die ihm jährlich ausgezahlt wurden und die dank der Geschäftstüchtigkeit von Hermann Liebig jedes Jahr größer wurden. Ob Peter mit seinen Immobiliengeschäften auch Geld verdiente, konnte Dr. Jürgens nicht sagen. Da ihm seine Mutter einige hochwertige Immobilien im Rhein-Main-Gebiet vererbt hatte, saß er als Immobilienmakler auf einer kleinen Goldgrube. Unter anderem besaß er einen Wohnblock mit acht Mietwohnungen in Darmstadt, eine repräsentative Villa in Eschborn, die ursprünglich für angeworbene Top-Manager aus dem Ausland gedacht war, aber niemals benötigt wurde, sowie mehrere Eigentumswohnungen in Frankfurter Neubauten auf dem Rebstockgelände und ein stillgelegtes Firmengelände in einem nordhessischen Industriegebiet, wo früher eine Tochterfirma der Arenz-Werke angesiedelt gewesen war.

      Siebels hatte auf der Suche nach einem Parkplatz bereits drei Mal den Häuserblock umrundet. Als er zum vierten Mal an den Büroräumen von Peter Arenz vorbeifuhr, sah er endlich das Schild, das auf die Besucherparkplätze von Arenz-Immobilien im Innenhof hinwies. Einer von den zwei Plätzen war sogar frei, auf dem anderen stand ein Maserati Quattroporte. Siebels genehmigte sich einen Blick durch das Seitenfenster. Nobles beiges Leder und Edelhölzer zierten den italienischen Traumwagen. Für einen Augenblick sah sich Siebels in diesem Gefährt an einer kurvenreichen Küstenstraße entlang brausen, neben ihm genoss Sabine den Ausblick über den blauen Atlantik. Dann kam er wieder zu sich, ein kleiner Siebels war unterwegs, nix Maserati, ein Kombi musste demnächst her. Den Gedanken an einen kleinen Siebels im Kindersitz auf der Rückbank fand der große Siebels allerdings noch schöner als den Gedanken an den brausenden Maserati und so ging er hüpfenden Schrittes in Richtung Büro von Peter Arenz. Das Marmortreppenhaus passte zum Wagen vor der Tür, dachte sich Siebels, fand dann aber etwas noch viel Passenderes, als ihm die Tür zu den Büroräumen von Peter Arenz‹ Sekretärin geöffnet wurde, die sich ihm als Petra Schneider vorstellte. Blonde lange Haare fielen der jungen Frau über die Schultern, lange Beine steckten in hochhackigen Schuhen und wurden durch einen engen Minirock nur spärlich bedeckt. Die piepsige Stimme, mit der sie Siebels begrüßte, machte das Bild vom blonden Dummchen perfekt. Als Siebels sich als Hauptkommissar der Mordkommission auswies, verriet sie ihm, dass er von Herrn Arenz schon erwartet würde. Mit wackelndem Hintern ging sie den Gang bis zum letzten Zimmer entlang und klopfte zaghaft an. Gleich darauf wurde die Tür von innen geöffnet. Peter Arenz sah so ganz anders aus, als Siebels ihn sich vorgestellt hatte. Erwartet hatte er einen in die Jahre gekommenen Playboy, der sich seine Zeit als Immobilienmakler vertrieb, wenn er sich nicht gerade auf dem Tennisplatz oder auf einer Jacht vor Malibu mit jungen Frauen wie Petra Schneider amüsierte. In der Vorstellung von Siebels war der Mann mindestens so sonnengebräunt wie der Anwalt Dr. Jürgens, hatte einen Körper, dem man die vielen Stunden im Fitnessstudio ansah und protzte mit einer Rolex am Arm und einer Goldkette am Hals. Dazu hätte auch der Maserati gut gepasst. Jetzt stand Siebels aber einem Mann gegenüber, der mindestens zwanzig Zentimeter kleiner war als er, dafür aber bestimmt zwanzig Kilogramm mehr auf die Waage brachte. Ein dunkler Haarkranz umrandete das lichte Haupt, auf das Siebels mühelos herunterschauen konnte. Manschettenknöpfe waren der einzige Schmuck, den Peter Arenz trug.

      »Danke, Petra, die nächste halbe Stunde stellst du bitte keine Anrufe durch.« Und zu Siebels gewandt. »Kommen Sie bitte, ich habe Sie schon erwartet. Mein Halbbruder Hermann hat mich informiert. Er wird ja in einigen Stunden wieder hier sein.«

      Peter Arenz war Kettenraucher, sein Aschenbecher randvoll mit Kippen gefüllt. Das Büro war schlicht, ein großer Schreibtisch mit zwei Besucherstühlen davor und einem überdimensionalen Ledersessel dahinter, auf den sich Peter Arenz niedersinken ließ.

      »Ich hatte nie viel Kontakt mit Magdalena und kann Ihnen wahrscheinlich keine große Hilfe sein«, fing er an zu erzählen und suchte dabei nach seinen Zigaretten. Ein Päckchen auf seinem Schreibtisch war leer und flog in den Papierkorb. Das nächste fingerte er aus seiner Hemdtasche, es war ebenfalls leer und flog dem ersten hinterher. Dann öffnete er eine Schreibtischschublade, wo er erneut ein leeres Päckchen für den Papiereimer fand, bevor er schließlich in der nächsten Schublade fündig wurde. Siebels bezweifelte, dass der Mann mit zwei Päckchen am Tag auskam.

      »Haben Sie denn schon einen Verdacht?«, fragte Arenz und begann mit der Suche nach seinem Feuerzeug.

      »Noch tappen wir völlig im Dunkeln. Es sieht so aus, als hätte Magdalena ihrem Mörder die Tür geöffnet. Wahrscheinlich hat sie ihn gekannt und ihm vertraut.«

      »Dann können Sie den Kreis der Verdächtigen ja eingrenzen.« Die Zigarette qualmte endlich


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