Reisen im Kongogebiet. Richard Buttner
Fiote der Kongesen, lesen und schreiben und verstand Portugiesisch.
Er wußte ferner einige Hymnen in Englisch und Fiote zu singen und hatte sich bei den Missionaren daran gewöhnt, Beinkleider, Strümpfe und Stiefel zu tragen – kurz er erwies sich mit seinen sechzehn oder siebzehn Jahren als ein recht gebildeter junger black gentleman. Anfänglich im Missionshause zu San Salvador erzogen, war er mehrfach auch in Begleitung seiner Lehrer zum Kongo gekommen und verstand infolgedessen manches von der Art und Weise des Reisens weißer Leute und von ihren Bedürfnissen. Er wußte die Speisen für europäische Gaumen erträglich zuzubereiten und benutzte selbst bisweilen Teller und Tischgeräte, er verstand Zelte und Betten aufzuschlagen und wieder ordnungsgemäß einzupacken, er konnte bis zu einem gewissen Grade unser Bedürfnis nach Wäsche begreifen und reinigte manchmal sogar die seine – er besaß in der Tat so viele nützliche Kenntnisse, daß ich Mr. Hughes bat, den jungen Menschen entlassen zu wollen, wenn derselbe geneigt sein sollte, in die Dienste der Expedition und zwar als mein persönlicher Boy zu treten. Wider Erwarten fand ich Mr. Hughes dazu bereit, er würde sogar nicht einmal das Fortgehen des jungen Malewo bedauern, dessen Brauchbarkeit für uns er zwar anerkannte, vor dessen Charakter zu warnen er sich aber verpflichtet fühlte. Derselbe habe sich bei verschiedenen Missionaren als unzuverlässig und unehrlich erwiesen, er sei von versteckter und eigennütziger Gemütsart.
Ich glaubte diesen Eigenschaften im Innern des Landes, wo er auf mich angewiesen sein würde, entgegentreten zu können und engagierte den jungen Prinzen vorläufig nur für die Reise nach San Salvador. Malewo schien hocherfreut von der Aussicht reisen zu können – die Eingeborenen zeigen einen sehr ausgeprägten Wandertrieb – und versprach seinem bisherigen Herrn, Mr. Hughes, der Mission, in der er erzogen worden sei, keine Schande zu machen, sondern sich als treuen und nützlichen Diener zu zeigen.
Am Sonntag den 7. Dezember machten sich die Herren Kund und Tappenbeck in der Frühe auf, um von Ango-Ango auf den linksseitigen Uferbergen zum Mposu zu gehen und von der an der Einmündung dieses Flusses in den Kongo gelegenen Station der Assoziation sich nach Vivi übersetzen zu lassen. Begleitet von nur einigen der eben engagierten Loangoboys, vermieden sie den gebräuchlichen über Tondoa an den Mposu führenden Weg, sondern gingen quer über das steinige Terrain, in dem das Gras noch niedrig stand, Hügel auf Hügel ab. Nach zwei oder drei Stunden in die Nähe eines Dorfes gelangt, ließen sie dieses zur Seite liegen, um durch eine Talsenke ihren Marsch fortzusetzen. Bewaffnete Eingeborene kamen jetzt aus jenem Dorf hervor, den Herren laut und drohend zurufend, und, als sich diese nicht darum kümmerten, sie verfolgend. Die Zahl der Verfolger vermehrte sich zusehends und den Drohungen folgten Gewehrschüsse, die freilich der weiten Entfernung halber keine unmittelbare Gefahr boten. Als die Schüsse aber häufiger fielen und die Verfolger sich beständig näherten, suchten die Herren die Gegner, deren Gebaren sie durchaus nicht verstanden, durch pantomimische Drohungen zurückzuschrecken. Diese blieben indessen ohne Erfolg und die Verfolgung währte bereits einige Stunden, als Leutnant Tappenbeck endlich drei Schüsse abgab, den ersten über die Köpfe der Angreifer hinweg, die beiden letzten auf diese selbst. Die Verfolger blieben nun zurück und unsere Herren kamen sehr erschöpft aber unverwundet an den Mposufluß, auf dessen jenseitigem Ufer die Station gelegen ist. Der Chef derselben kam freilich ans Ufer, konnte aber nur sein Bedauern aussprechen, aus Mangel eines Kanus die Herren nicht zu seiner Station überfahren lassen zu können. Da dieselben der Feinde halber nicht an der weiter oberhalb gelegenen Fährstelle der Eingeborenen den Fluß kreuzen konnten, die sehr reißende Strömung aber ein Durchschwimmen zu Unmöglichkeit machte, hißte der Stationschef Flaggensignale, um von Vivi einen Dampfer herbeizurufen, der die Herren nach dort überführen sollte. Sei es nun, daß man in Vivi die Flaggen und abgegebenen Signalschüsse nicht beachtete oder ein Fahrzeug nicht anwesend war, – kurz, es kam keine Hülfe für unsere Herren, die die Nacht herannahen sahen und, da sie keine Lebensmittel mit sich führten, an Hunger und Erschöpfung litten. An eine Rückkehr nach Ango-Ango war zumal zur Nachtzeit wegen der Verfolger nicht zu denken, und so mußten sie nebst ihren jugendlichen Dienern am Ufer des Mposu, im Angesicht der Station, die Nacht auf dem steinigen Boden ohne Feuer und Nahrung, ohne Zelt und Decken zubringen. Mit Tagesanbruch wendeten sie sich nach Ango-Ango zurück, wo sie gegen Mittag ungefährdet, aber in sehr erschöpftem Zustande anlangten.
Dieses Abenteuer hatte indessen noch sein Nachspiel. Die Eingeborenen erschienen in der holländischen Faktorei Ango-Ango mit der Drohung, den Handel dieses Hauses zu sperren, wenn ihnen nicht Genugtuung geleistet würde für einen getöteten und einen verwundeten Mann ihres Dorfes, die Opfer der Notwehr seitens der beiden Herren. Nach dem Grund der Verfolgung gefragt, behaupteten sie in gutem Recht gehandelt zu haben, denn die beiden weißen Männer hätten trotz vielfacher Zurufe – die die Herren, sowie ihre Loangos freilich nicht verstanden hatten – ihr Fetischtal betreten, dessen Zugang einem Nichteingeweihten und zumal einem Fremden sonst unbedingt das Leben kosten müsse. Unter den Eingeborenen gibt es nämlich geheime Gesellschaften, deren Mitglieder sich zuzeiten in abgelegene Gegenden zurückziehen, um dort ihren mystischen Satzungen zu leben. Da diese Gesellschaften der verschiedenen Gebiete des Lanes untereinander in Konnex stehen, so drohten jetzt für den Aufbruch und das Weiterkommen der Expedition die unvorhergesehensten und weitgehendsten Hindernisse zu entstehen – wenn nicht der Streitfall zur endgültigen Schlichtung käme.
Der Chef der holländischen Faktorei berief infolgedessen die angesehensten Männer des betreffenden Dorfes nach Ango-Ango, wo am 9. Dezember ein feierliches Palawer in Gegenwart einiger Missionare, Kaufleute und der Herren Schulze, Kund, Tappenbeck und meiner selbst stattfand. Ein Endbeschluß konnte indessen nicht erzielt werden, da Leutnant Tappenbeck zum mindesten bezweifelte, durch seine Schüsse den Tod eines Mannes und die Verwundung eines zweiten herbeigeführt zu haben. Mr. Hughes erklärte sich darauf bereit, sich in das feindliche Dorf zu begeben, um dort die Behauptung der Eingeborenen auf ihre Wahrheit zu prüfen. In der Tat kamen am Mittag des folgenden Tages eine Anzahl der Dorfleute, um Mr. Hughes zu ihrem Dorfe zu tragen. Als derselbe am Abende zurückkehrte, berichtete er uns, daß man ihm einen an der Schulter verwundeten Mann gezeigt hatte, dessen Verletzung offenbar die Folge einer aus europäischem Gewehr abgeschossenen Kugel sei, daß man ihn sodann an einen frisch aufgeworfenen Grabhügel geführt hatte, mit der Versicherung, derselbe enthalte den im Streit gefallenen Mann. Wir bezweifelten nun freilich sehr diese Versicherung, doch drängten uns die Umstände, das Palawer bald und glücklich zu Ende zu führen. Aus Furcht vor den Eingeborenen waren schon die Loangoboys von Ango-Ango nach Tondoa entlaufen und wollten dorthin nicht wieder zurückkehren. Außerdem kamen unter Führung Pansus, eins älteren Bruders (Halbbruders) Malewos, am 11. Dezember vormittags fünfzig Träger aus San Salvador an, so daß unser Aufbruch nach der Residenz nahe bevorstand.
Am Nachmittag desselben Tages fand daher in Ango-Ango ein Schlußpalawer statt, in dem die Eingeborenen nochmals versuchten, ein möglichst hohes Schmerzens- und Genugtuungsgeld zu erlangen; sie mußten sich indessen mit einer geringen Abfindungssumme zufrieden geben, die ihnen – da wir durchaus nicht wollten, daß dem gastfreundlichen holländischen Hause irgend ein Schaden durch die Expedition erwüchse – auch sofort in Gestalt von Zeug, Perlen und Rum ausgezahlt wurde, worauf die versöhnten Gegner heimkehrten.
Wir, Premierleutnant Schulze und ich selbst, begaben uns am Abend nach Tondoa zurück, wo am nächsten Tage die Verteilung der Lasten an unsere Träger stattfinden sollte, damit wir am nächstfolgenden Tage, dem 13. Dezember, den Landmarsch antreten könnten.
6Noch einmal an den Kongo zurückgekehrt, starb Revd. Comber im Sommer 1887. Sein Tod bedeutete einen außerordentlichen Verlust sowohl für die Mission als für die Afrikaforschung.
7D. h. die Grassteppe (Red.).
8Auch Klippdachs genannt, der einem Murmeltier ähnelt.
3. KAPITEL:
ZUR HAUPTSTADT DES
KÖNIGREICHS KONGO
Pansu, der Kapita9 der fünfzig Träger aus San Salvador, mochte den letzten Zwanzigern angehören, er war von mittlerer, untersetzter Gestalt, das bartlose pockennarbige Gesicht des runden Kopfes von gutmütigem Ausdruck. Er wußte die weiten Tücher in gewisser Grandezza, eine Schulter frei lassend, um seinen Körper zu hüllen