Der Löwe von Flandern. Hendrik Conscience
in die Burg. Die Tore wurden hinter ihnen geschlossen. Die „Sturmegge“ mit ihren eisernen Spitzen rasselte nieder, und die Brücke ging langsam in die Höhe.
II.
Die Luft war so klarblau, daß das staunende Auge vergeblich ihre unermeßbare Tiefe zu ergründen suchte. Strahlend stieg die Sonne am Horizont auf, und eine girrende Turteltaube trank die letzten Tautropfen von den grünen Blättern der Bäume. Aus Schloß Wijnendaal erscholl unaufhörlich das Kläffen der Meute. Das Wiehern der Pferde mischte sich mit den lieblichen Tönen des Jagdhorns. Aber die Zugbrücke war noch aufgezogen, und vorübergehende Landleute konnten nur raten, was da im Gange war. Zahllose Wachen mit Armbrust und Schild schritten auf den äußeren Wällen auf und ab, und durch die Schießscharten hindurch konnte man sehen, wie viele Waffenknechte innerhalb der Mauern geschäftig hin und her liefen.
Endlich erschienen einige Leute über dem Tor und ließen die Brücke herab. Da wurde es auch schon geöffnet, um den Jagdzug hinauszulassen. In dem stattlichen Zug, der langsam über die Brücke ritt, sah man folgende Damen und Herren:
Voran ritt der achtzigjährige Graf Gwijde[6] von Flandern auf einem Fuchs. Seine Haltung trug den Stempel stiller Ergebenheit. Alter und Unglück hatten sein stolzes Haupt schwer gebeugt. Seine schmalen Wangen waren tief gefurcht. Ein purpurnes Wams fiel von seinen Schultern bis auf den Sattel herab, und sein schneeweißes Haar war von einem gelbseidenen Tuche umwunden. Durch diese Hülle glich sein Haupt einem Silbergefäße mit goldenem Reif. Auf der Brust trug er in einem herzförmigen Schild den schwarzen springenden Löwen in goldenem Felde.
Der unglückliche Fürst sah sich an seinem Lebensabend, wo ihm die Ruhe als Lohn für seine Arbeit zu gönnen gewesen wäre, seiner Krone beraubt. Seine Kinder hatten durch das Los der Waffen ihr Erbe verloren, und Armut erwartete sie, die eigentlich die reichsten Fürsten Europas hätten sein müssen. Siegprahlende Feinde umringten den unglücklichen Landesherrn, und doch gab er der Verzweiflung in seinem Herzen nicht Raum.
Neben ihm ritt Karl von Valois, der Bruder des französischen Königs. Er unterhielt sich eifrig mit dem alten Gwijde; doch es schien, als wären sie nicht einer Meinung.
Jetzt hing kein Schlachtschwert mehr am Sattel des französischen Feldherrn; ein langer Degen ersetzte die schwere Waffe; auch die blitzenden Stahlplatten hatte er von den Beinen geschnallt.
Ihnen folgte ein Ritter von ungemein wildem und trotzigem Aussehen. Seine Augen rollten, und wenn sein Blick auf einen Franzosen fiel, preßte er seine Lippen ingrimmig aufeinander und knirschte mit den Zähnen.
Er war etwa fünfzig Jahre alt; aber noch beseelte ihn volle Lebenskraft, und man mußte ihn mit seiner starken Brust und seinem gewaltigen Körperbau für den stärksten Ritter halten. Auch sein Roß war größer als die anderen, und so überragte er den ganzen Zug an Haupteslänge. Ihn schützten sein blinkender Helm mit blauem und gelbem Federbusch, ein schwerer Waffenrock und das gebogene Schwert. Sein Koller, das von seinem Rücken bis auf das Pferd niederwallte, trug auch den vlaemischen Löwen im goldenen Felde. Die Ritter jener Zeit hätten unter tausend anderen in diesem trotzigen Reiter Robrecht van Bethune[7], den ältesten Sohn von Gwijde, erkannt.
Seit einigen Jahren hatte ihm sein gräflicher Vater die innere Regierung von Flandern übertragen. In allen Feldzügen hatte er die vlaemischen Heere angeführt und sich in der Fremde einen gefürchteten Namen erworben. Während des sizilianischen Krieges hatte er im Lager der Franzosen so staunenswerte Waffentaten vollführt, daß er von der Zeit an der Löwe von Flandern genannt wurde. Das Volk, das seine Helden allzeit liebt und bewundert, besang die Unerschrockenheit des Löwen in seinen Sagen und verherrlichte den, der einst die Krone von Flandern tragen sollte. Da Gwijde wegen seines hohen Alters Schloß Wijnendaal selten verließ und auch von den Vlaemen nicht sehr geliebt wurde, erhielt auch Robrecht den Grafentitel, wurde im ganzen Land als der Herr angesehen, und als solchem wurde ihm Gehorsam geleistet.
An seiner rechten Seite ritt Wilhelm, sein jüngster Bruder, dessen bleiche Wangen und schwermütigen Züge wie die eines kranken Mägdeleins neben dem gebräunten Antlitz von Robrecht erschienen. Seine Kleidung unterschied sich von der des Bruders nur durch das krumme Schwert, das Robrecht allein trug.
Darauf folgten viele andere Herren, sowohl Franzosen wie Vlaemen. Hierunter waren die vornehmsten: Walter, Herr van Maldeghem, Karl, Herr van Knesselare, Roegaert, Herr van Axpoele, Jan, Herr van Gavere, Rase Mulaert, Dietrich der Fuchs und Gerhard der Mohr.
Die Ritter Jacques de Châtillon, Guy de Saint-Pol, Raoul de Nesle und ihre Begleiter ritten ungeordnet, liebenswürdig plaudernd, zwischen den vlaemischen Herren.
Ihnen folgte der junge Adolf van Nieuwland, der Sprößling eines der edelsten Geschlechter der reichen Stadt Brügge. Sein Antlitz bestach nicht durch weibische Schönheit. Das war keiner jener Männer mit rosenfarbigen Wangen und lächelndem Munde, denen zum Weibe nur die Frauenkleidung fehlt. So hatte sich die Natur nicht an ihm vergangen. Die Sonne hatte seine ernsten Wangen leicht gebräunt. Durch seine Stirn zogen sich zwei Falten, die frühzeitige Klugheit ankündigten. Sein Antlitz war scharf und männlich geschnitten, und die edlen Linien seines Körpers erinnerten an ein griechisches Bildwerk. Aus seinen Augen, die halb von den Brauen beschattet waren, leuchtete eine weiche, aber einsame Seele.
Obwohl er den anderen Rittern an Geburt nicht nachstand, blieb er doch zurück und ließ die, die geringerer Herkunft waren, vorausreiten. Mehrmals hatte man ihm Platz gemacht, um ihn nach vorn reiten zu lassen, aber er achtete nicht auf diese Liebenswürdigkeit und schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein.
Auf den ersten Blick hätte man Adolf für einen Sohn Robrechts van Bethune halten können. Denn bis auf den großen Altersunterschied glichen sich die beiden Ritter auffallend. Die gleiche Gestalt, die gleiche Haltung, die gleichen Bewegungen! Doch war die Kleidung von anderer Farbe, und das gestickte Wappen auf Adolfs Brust zeigte drei goldblonde Mägdelein auf rotem Grunde. Darüber stand sein Wahlspruch: Pulchrum pro patria mori[8].
Dieser Jüngling war von seiner Kindheit an in Robrechts Hause aufgewachsen. Jetzt war er sein vertrauter Freund und wurde von ihm wie ein geliebter Sohn behandelt. Er schätzte seinen Wohltäter als Vater und Fürst und liebte ihn und seine Kinder von ganzem Herzen.
Dicht hinter ihm ritten die Frauen, die so prächtig geschmückt waren, daß das reiche Gold und Silber ihrer Kleidung die Augen blendete. Alle saßen auf leichten Zeltern. Ein langes Reitkleid fiel an der Seite des Pferdes über ihre Füße bis zur Erde herab. Golddurchwirkte, eng anliegende Mieder bedeckten ihre Brust, und von ihren hohen, mit Perlen geschmückten Hauben flatterten zierliche Bänder. Die meisten trugen einen Raubvogel auf der Hand.
Unter diesen Edelfrauen war eine, die durch Pracht und Schönheit alle anderen in Schatten setzte. Es war Machteld, Robrechts jüngste Tochter.
Die Maid war sehr jung. Sie war kaum älter als fünfzehn Jahre; aber ihre hohe, schlanke Gestalt, ein Erbteil ihrer edlen, mächtigen Vorfahren, die Strenge ihrer feinen Züge, die Ruhe ihrer Haltung gaben ihr etwas Königliches, Ehrfurchtgebietendes.
Obwohl die Ritter darin wetteiferten, ihr zu gefallen und ihr jede erdenkliche Höflichkeit erwiesen, entbrannte doch keiner in vermessener Liebe zu ihr. Sie wußten, nur ein Fürst durfte Machteld von Flandern heimführen.
Traumhaft schön saß die schlanke, junge Maid lieblich in der Seide ihres Zelters und trug ihr Haupt stolz erhoben. Während die linke Hand leicht den Zügel hielt, saß auf der Rechten ein Habicht mit roter Kappe, an der goldene Glöckchen läuteten.
Unmittelbar nach der lieblichen Tochter des Landesfürsten ritten zahlreiche Schild- und Hofknappen, alle in zweifarbige Seide gekleidet. Die Knechte, die zum Hause des Grafen Gwijde gehörten, konnte man leicht von den anderen unterscheiden, denn die rechte Seite ihrer Kleidung war aus schwarzem, die linke aus goldgelbem Moiré. Einige waren in Purpur und Grün, andere in Rot und Blau gekleidet, je nach den Wappenfarben ihrer Gebieter.
Endlich