Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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Töchter Jerusalems, und in seiner Brust tönt leise die Stimme: Eine aber ist meine Auserwählte, meine Taube – komm, du Schönste unter den Jungfrauen, komm und weile bei mir!« – »Was macht man bei Hofe?« fragte Eduard ziemlich prosaisch dazwischen, was macht – er stockte und eine Röte überflog sein Antlitz – er bezwang sich und nannte kalt den Namen der Gräfin Eva. – »Man sieht sie wenig, sie ist fromm, Massiello ist immer am Hof, er musiziert mit dem Fräulein Magdalena, Robert hat eine Liebschaft auf dem Lande und eine Zankangelegenheit in der Stadt, die der Fürst vergeblich zu vertuschen strebt. Der Treffliche, nämlich unser Prinzipe, geht einer Krisis entgegen, man sagt, daß er den neuen Weibern anheimfällt. – Fräulein Magdalena ist Schwärmerin und Pietistin, die Arnthal hat übernatürliche Zusammenkünfte und Erscheinungen – es sind einige mystische Tees gehalten worden, zu denen unser Einer keinen Zutritt erhält. Die kleine blonde Jokonde ist fast vergessen, nur ich schleiche manchen Abend zu ihr, und wir weinen in Mollakkorden und regniegten Nokturnos unsere Tränen hin. Das arme Kind dauert mich, sie steht oft vor ihrem Spiegel und scheint sich zu fragen, für wen zieh' ich ein neues Kleidchen an, für die Meereswellen, die da draußen rauschen? oder für den Sturm, der an mein Hüttendach schüttelt? für den alten Haushahn im Hofe? Sie sehen, Freund, es hat sich manches geändert, während Sie in ihrer kleinen Bastille steckten.« Er ging wieder, und Eduard war so zerstreut, daß er das breite freundliche Gesicht noch vor sich sprechend glaubte, indes der Abt schon längst um die Straßenecke gebogen war und einem schmackhaften Souper entgegenging. Mögen sie doch treiben, was sie wollen, rief er in sich hinein, immer bunter, immer toller, meinethalben – ich will heiraten und zwar meine Emilie; es gibt doch nichts Solideres auf der Welt, als eine Ehe! –

      Er warf seinen Mantel um und schritt in die Dunkelheit hinaus. Der fürstliche Palast war erleuchtet, und sein aufschauendes Auge glaubte am hellen Fenster Massiellos kleine elegante Figur hinstreifen zu sehen. Die Franziskaner-Kirche lag wie ein schwarzer Riese vor ihm – die Türe war angelehnt, er trat hinein. Ganz am Ende der hinabwandelnden Steinsäulen flimmerte ein Licht, als er darauf zuging, bewegte es sich ihm entgegen den Gang hinauf. Es war eine Dame, in schwarze, schleppende Gewänder gehüllt, vor ihr ein Knabe mit einer Fackel. Eduard staunte die roten Blumenwangen des schönen Knaben an, dessen Blicke im Strahl der Fackel blitzend über die Schulter sahen und auf zwei dunkle Liebessterne trafen; es war Enzio und Gräfin Eva. Ihr schwebender sinnlicher Gang floß wunderbar schwankend dahin, das goldne Kreuz schlug bei jedem Schritt an die Brust, – ihr Auge blickte unverwandt auf den rückschauenden Knaben; so ging sie dahin in die Nacht, die Andacht von der Sinnlichkeit geführt – Amor und Venus Urania! Das Steinbild eines alten Heiligen, an dem sie Vorüberschritten, sah sich verwundert nach dem schönen Mädchen um, und eine heilige Magdalena blickte aus einem Bilde von ihrer Bußpredigt auf nach dem schlanken Pagen. Eduard trat aus seinem Dunkel hervor und schritt auf die wandelnde Gruppe zu; die Gräfin wich erschreckt aus, doch als sie den Jüngling erkannte, glitt ein bittendes Lächeln über ihre schönen Züge – sie winkte Schweigen und hob den Rosenkranz in die Höhe. Als sie vorübergegangen, sah sich ihr Auge noch einmal nach ihm um, sie wollte sprechen, doch der Page schritt so schnell, daß sie im selben Augenblicke mit ihm in der Thorhalle verschwand. Bald rasselte der Wagen mit seiner schönen Beute davon. Voll Sehnsucht streckte Eduard seine Arme nach der Entschwundenen in die Nacht hinaus, dann erschrak er über sich selbst, er lenkte in die Gasse ein, wo Emilie wohnte, doch willenlos blieb er an der Ecke stehen. Er hätte die Vorübergehenden fragen mögen, wohin sie so eilig gingen, ihm schien in der Welt nichts mehr so wichtig, daß er deshalb den Fuß zum Weitergehen aufsetzen möchte. In der Dunkelheit trat eine Gestalt ihm nach, es war der alte Gotthold. »Wo gehen Sie hin?« fragte Eduard. »In den Abendzirkel zur Fürstin,« war die kurze und schnelle Antwort. »Sie? dorthin?« rief der Erstaunte, doch der alte Mann war schon verschwunden. Ein Wagen fuhr vorbei und die Stimme des jungen Arztes, den Eduard bei dem tollen Fleackwouth gesehen, rief: »Guten Abend, Freund, nehmen Sie doch Platz neben mir und fahren Sie, wenn Ihnen nichts Besseres obliegt, mit mir ins nahe Dorf, wo unser Freund Robert sich aufhält. Mich rufen Geschäfte, aber Sie können bei der Gelegenheit dem beginnenden Frühling entgegenlauschen.«

      In diesem Moment war unserem Träumenden nichts willkommener, als eine solche Einladung, schnell setzte er sich ein, und in ein paar Stunden hatte man das Dorf erreicht, dessen Lichter durch das nackte schwarze Gesträuch durchschimmerten. Der Doktor verließ unsern Freund bei einem Kreuzwege, nachdem er ihm umständlich beschrieben, welche Richtung er einschlagen müsse, um zu Roberts Häuschen zu kommen. Eduard drückte seinen Hut in die Stirne, schlug seinen Mantel fester und schritt langsam die Dorfgasse hinauf; am Ende derselben fand sich ein Häuschen, mit der einen Seite an die Kirchhofmauer angebaut, ein kleiner dunkler Hofraum schloß ein paar Nebengebäude ein, und das erleuchtete Fensterchen nach der Gasse war der einzige Lichtpunkt in dem finstern Gemälde. Eduard stellte sich vor das Fenster und spähte durch die Spalten der festgezogenen weißen Vorhänge. Er konnte nichts als eine rote Wange sehen und etwas blondes Haar, das an einem schöngeformten kleinen Ohr herabfiel; nicht lange, so kam eine Hand und spielte mit diesem Haar, zugleich tönte ein Gelächter aus der kleinen Stube hervor. Jetzt mußte man ihn bemerkt haben, denn der Vorhang wurde fortgeschoben und Roberts Antlitz sah in die Nacht hinaus, das Fenster ward leise geöffnet und der blonde Kopf zeigte sich mit zwei großen blauen Augen in die Finsternis starrend. Eduard drückte sich zur Seite, und die Beiden zogen sich wieder zurück. Er bestieg jetzt die niedrige Kirchhofmauer, und indem er sich auf ein Grab niederließ, blickte er, den Kopf in die Hand gestützt, unverwandt in das kleine erhellte Fenster. Unerhört, rief er bei sich, da bringt er nun seine vornehme Verderbtheit, seine vergifteten Gedanken und Bilder, seine geschwächten Küsse und entkräfteten Liebkosungen dem jungen Leben dar und hängt sie einem Busen um, der kalt, frisch und glänzend sich eben der Knospe entdrängt. Er muß ja überall siegen, denn schön, wie er, ward nicht leicht Einer geschaffen.

      Der Mond erhob sich jetzt voll und schwimmend über das schwarze Schieferdach der Dorfkirche, er ging leise mit seinem Licht immer vorwärts, als überzähle er die Gräber, ob seit gestern kein neues hinzu gekommen, die halbversunkenen Kreuze sahen wie schwarze seltsame Blumen aus, die jedem darunter schlafenden verstäubenden Schädel entwachsen zu sein schienen. Vom Nachbardorfe kamen die Straße herab einzelne Spielleute, sie blieben vor dem Hause des Amtmanns stehen und bliesen so lange und bittend, bis sie eine spitze Nachtmütze aus einem der obern Fenster herausgeblasen hatten. Es wurde gedankt, Geld fiel herab und die Bande zog weiter. Eine Stille trat ein, dann fing ein entfernter Hund zu bellen an, aus einer andern Gegend antwortete ihm ein Kamerad, dann ließ sich in der Nähe ein heiserer Kettenhund vernehmen, und nicht lange, so bellten alle Hunde im Dorfe, zwischendurch hörte man das elegische Knarren eines Ziehbrunnens und dann die hüpfenden Töne des wieder niederfahrenden Eimers. Eduard sah jetzt mehrere Männergestalten, die langsam um die Ecke bogen und sich dem Hause mit dem hellen Fensterchen näherten; sie waren im Streit mit einander, ein ältlicher Mann, wie es schien, wollte die drei jüngern zurückhalten, er hatte den einen derselben am Arm, den andern am Rockschoß, den dritten bei der Hand gefaßt, und von den vielen Worten, die er bald bittend bald drohend ausstieß, konnte Eduard nur folgende vernehmen: »So nimm doch Rath und Vernunft an, Caspar; wir können ja offenbar weit mehr ausrichten, wenn wir den Schulzen wecken und ihn herbringen, damit er mit eigenen Augen den Spitzbuben bei ihr entdeckt!« – »Einfältiges Zeug, rief einer der jungen Leute, ich soll wohl warten bis der träge Schulze sich aus den Federn hebt, die Nachtmütze abwirft und in die Kleider fährt, unterdes könnte wohl allerlei geschehen, was du und der Schulze nicht wieder gut machen können, nein, nein, laßt mich los, es ist am besten, ich verlasse mich auf meinen starken Arm und diesen Knüttel; mag nachher geschehen was da will, hab' ich nur erst mein Mütchen gekühlt, und dem Burschen drinnen bewiesen, daß es geraten ist, ein ehrliches Mädchen und dazu meine Braut in Frieden zu lassen.« Eduard begriff jetzt die ganze Intrige; ihm wurde für Robert bange, wenn er die drei kräftigen Gestalten betrachtete, die jetzt auf das Haus leise zuschritten, nachdem sich der Alte von ihnen getrennt hatte und zurückgeblieben war. Sie gingen behutsam vorwärts und indem einer sich als Wache am Fenster hinstellte, drangen die zwei andern in den dunkeln Hofraum, um von dort wahrscheinlich in die Haustür zu gelangen. Eine Zeitlang blieb es ganz stille, die Gestalt am Fenster gab nicht das mindeste Zeichen von Bewegung, und aus dem Stübchen tönte von Zeit zu Zeit eine lachende Stimme. Plötzlich fing ein Hund zu bellen an, man hörte Jemanden stolpern und fallen, dann fluchen,


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