Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
ihn in seine Arme, Enzio aber riß sich los und kniete vor der noch immer leblos daliegenden Jokonde; indem er sein Haupt an ihre Knie drückte, schluchzte er so heftig, daß die Betäubte erwachte, und mit einem Angstruf vom Ruhebette sprang und Eduarden zueilte. »Bringt den Wahnsinnigen fort,« kreischte sie, »er wird ihn und mich morden!« – »Ich werde nicht,« rief der Knabe, »Ihr seid vor mir ganz sicher, Mademoiselle Jokonde; liebt immerhin wen und wie Ihr wollt, für Euch mag ich wohl noch zu jung und unbedeutend sein, da will ich warten bis ich das Offizierspatent in der Tasche habe.« Er entfernte sich mit diesen Worten, ohne die Gesellschaft eines Grußes zu würdigen; im Vorzimmer fand er seine Jacke, die er anzog, den Mantel überwarf, und so hörte man ihn den Gang entlang in der Finsternis kappen. Eduards Wunde brannte ziemlich heftig, Jokonde lag weinend im Arme der Gräfin, die Männer trennten sich und ein jeder schlich verstimmt und unangenehm berührt nach Hause.
Eduard kam, innerlich auf das heftigste zerrüttet, in sein Zimmer; er erriet nur zu schnell den Zusammenhang des ganzen Vorfalls und den Grund von Enzios Zorn. Er verabscheute Jokonde und Eva, daß sie sich einem Knaben hingeben konnten, seine eigene Leidenschaft erschien ihm im schwärzesten Lichte, das Gewissen preßte ihn von neuem wegen des Treubruchs an Emilien. Er nahm sich vor, nie mehr die Schwelle des Fischerhäuschens zu betreten. Der Diener erschien, um ihn zu entkleiden, als der Rock behutsam abgezogen wurde, fiel ein Blättchen zur Erde, welches Eduard sogleich für das vom Herzoge ihm eingehändigte Schreiben Roberts erkannte; er ließ es sich geben und las folgende Zeilen: »Ihr deutet an, Prinz, daß unser Verhältnis sich lösen könne, ich möchte Euch versichern, daß es nie bestanden; Ihr sucht bei mir jene schwächlichen Tugenden, die charakterlose Menschen aneinanderknüpfen, die besitze ich nicht und meine großen Eigenschaften fangen an in Euren Augen als Laster zu erscheinen! immerhin, ich forme mein Inneres nicht nach dem Urteil der Menschen. Ihr fabelt von Verführung und stellt mir das Bild des jungen Eduards vor – was soll ich damit? der Mensch ist mir immer gleichgültig gewesen, er war eine kurze Zeit meine Puppe, mit der ich spielte; macht er Ansprüche auf mich, so lasse ich ihn fallen, denn meine Freiheit soll Niemand beeinträchtigen.«
Eduards Wunde brannte heftig, als er diese Worte las; er fühlte in diesem Moment die Bande losgerissen, so heftig tobte das unruhige Blut, dann legte sich eine beängstigende Kälte auf Stirn und Brust, er fühlte sich einer Ohnmacht nahe und stützte sich ans Bette, indes die Wunde neu umbunden wurde. Jetzt tönten Schritte im Vorzimmer, die Türe flog auf und Robert stand vor dem tief Beleidigten. Die Stimmung beider Jünglinge drängte zu einem furchtbaren, entscheidenden Moment. Eduard zeigte den Brief vor, Robert entschuldigte sich nur halb, antwortete kalt und verächtlich – Eduards Fieberhitze ward zur Flamme, er griff mit dem rechten gesunden Arm zum Degen, Robert stellte sich ihm ruhig gegenüber und der Kampf begann. Robert, empfing eine Verwundung an der Seite, Eduard, kaum dies gewahrend, warf sich ihm mit Tränen an die Brust; doch in demselben Moment schwanden seine Sinne und Finsternis umhüllte das Auge. – Als er wieder erwachte, fand er sich allein im Zimmer; im Nebengemach lag der Diener eingeschlummert im Sessel, die Lichter waren tief herabgebrannt, und der aufdämmernde Morgen lag mit farblosem Grau hinter den niedergelassenen Fenstervorhängen.
So war durch eine rasche Handlung, durch Blut, Entsetzen, tiefe Erniedrigung der trügerische Himmel, in dem unser Freund so lange herumgeirrt war, plötzlich geschlossen; Massiellos Fastenpredigt tönte in seinen Ohren, Jokondens Küsse drückten noch seine Lippen, Roberts Herzblut klebte an seiner Weste, doch alle diese Zeichen und Erinnerungen dünkten ihn durch eine weite Kluft von der gegenwärtigen Minute geschieden. Die Stille und Abgeschiedenheit, in der er sich jetzt durch seine Krankheit versetzt sah, lähmte jede Wirksamkeit nach außen, und er hätte Zeit und Gelegenheit genug gehabt, seine frühern Irrtümer zu bereuen, wenn seine Seele noch mit jener frischen jugendlichen Spannkraft begabt gewesen wäre, die einen großen Entschluß faßt und ausführt; je mehr er strebte, Klarheit und Gewißheit zu erlangen, desto gewaltiger bemächtigte sich seiner die innere Verworrenheit. Bald entschloß er sich Emilien aufzusuchen, durch ein offenherziges Bekenntnis seiner Schuld sein Loos in ihre Hände zu legen, bald schreckte ihn wieder der Gedanke ab, daß sie es war, die mit ihrem Vater und dem Fürsten vereint dahin strebte, seine Freiheit zu beeinträchtigen. In diesem Augenblick sah er die Unwürdigkeit derer ein, mit denen er bis jetzt Umgang geflogen, im nächsten Moment erschienen ihm dieselben Personen höchst liebenswürdig, und nur sein eigenes Selbst fand er zu verdammen, indem die Schwäche ihn zu Mißbrauch und Verirrung hingezogen. Die Wissenschaft und ihre Schätze erschienen im ebenfalls in einem zweifelhaften Lichte; die rege Lebenskraft, die, wenn sie gesund ist, mir ihrem Atem jedes Verhältnis, alles Wissen mit Wärme und Lust füllt, war in seinem Busen gebrochen, und Zweifel und Kälte waren eingetreten. So lag er oft Nächte lang auf seinem Lager, und sah mit unermüdetem Geiste eine Fläche vor sich, die, in Nebel gehüllt, sich in eine unbestimmte Ferne zu verlieren schien. In dieser Stimmung traf ihn ein Besuch, den er nicht erwarten konnte. Eines Abends, als er aus einem unruhigen Schlummer erwachte, stand der Graf Eberhard vor ihm, der zur Ursache seines Kommens die Besorgnis um seine Gesundheit anführte. Eduard hatte ihn über die mancherlei Begebenheiten fast ganz vergessen; auch in den Zimmern des Herzogs war der Graf, als die Abendgesellschaften anfingen, nicht erschienen, und so war die Meinung natürlich, daß er die Stadt verlassen habe. Jetzt, da er so unvermutet erschien, da die lange, dürre, in Schwarz gekleidete Gestalt vor dem Ruhebette des Jünglings stand, erwachte bei diesem plötzlich das Bild jenes Abends im Fischerhäuschen, wo er den wunderbaren Mann zum erstenmal gesehen. Er besann sich, daß Jokonde ihn versichert hatte, daß sie den unüberwindlichsten Abscheu gegen den Seltsamen fühle, ja, daß er ihr oft in seiner starren, gebietenden Größe, in der Unbeugsamkeit seiner steinernen Gesichtszüge vorkomme, als könne er niemand Anders wie der ewige Jude sein. Ein leiser Schauder überflog ihn, als jetzt der Graf seine Hand faßte und sie eine Zeitlang in der eiskalten Rechte ruhen ließ. »Wir haben uns lange nicht gesehen,« rief er dann; »Sie haben indes Erfahrungen gemacht, und jede derselben ist schon ein Schritt näher zu mir.« – »Zum Tode« – entgegnete Eduard in einer sonderbaren Spannung.
»Vielleicht ist das gleichbedeutend,« fuhr der Graf fort und lächelte wie über einen besondern Einfall, dem er selbst mit Vergnügen länger nachdachte – »allein dieser Tod ist das Leben und die Freiheit, obgleich ein verblendeter Hause ihn die tiefste Knechtschaft nennt; doch wir werden nicht mit Worten spielen, die Sache bleibt wahr, so sehr sich auch unsere Eitelkeit dagegen sträubt. Nichts Elenderes gibt es, als den Glauben, wir könnten etwas Großes leisten, etwas Edles und Erhabenes darstellen. Wir wollen Bürger des Himmels sein und sind Sklaven des bewegten Nervs, der jede Minute anders erzittert. Eine reichlichere, schmackhaftere Tafel verrückt die Ansicht der Dinge um ein Ungeheures, und der Kuß eines schönen Mädchens hilft den Himmel anders bauen. Wenn es uns der Körper nicht sagte, daß das Verbrennen schmerze, so hätten Millionen Menschen nie eine Hölle gefürchtet, und die Dichters hätten den Gegensatz derselben, den Himmel, nicht erdichten können. Das Grundübel der Welt liegt im Dasein streitender Gegensätze; gelingt es uns, diesen Streit zu lösen, so sind wir geheilt, denn nur da herrscht Ordnung, Ruhe, Gesundheit, wo kein Widerspruch sich zeigt, je höher der Widerspruch wächst, desto kränker ist der Mensch, desto kränker ein ganzes Volk. Tritt der Mensch freiwillig in seine Schranken zurück, ist er im vollen Begriff des Worts gesundsinnlich, so hört augenblicklich der schreiende Mißton in ihm auf, und er ist weder Betrüger, noch Betrogener mehr und alle jene Weltverbesserungs-Anstalten fallen von selbst weg.«
»Mich schwindelt vor einer solchen Ansicht,« rief Eduard.
»Weil Sie noch nicht zur Gesundheit sich durchgerungen haben,« versetzte der Graf; »ich habe es und befinde mich ganz wohl. Ehe man von einem Thron herabsteigt, dessen Flitter uns blendeten, kostet es manchen Kampf. Die Geschichte aller Religionen ist eine Geschichte der Krankheiten des menschlichen Geistes. Besuchen Sie die Lehrsäle der Philosophen, saugen Sie an dem Marke alter und neuer Weisheit, lassen Sie sich in dunkeln gotischen Hallen, in griechischen Tempeln, in jüdischen Synagogen, in türkischen Moscheen das unverständliche Etwas predigen, das die Menschenköpfe verrückt macht, welches das menschliche Fleisch vergiftet hat von Anbeginn an, das den Wahnsinn auf die Erde gerufen und alle Kammern des Elends und Greuels geöffnet hat.«
Eduards Wunde brannte heftig, der Graf brach das Gespräch kurz ab; bald darauf entfernte er sich. Es vergingen einige Tage, ehe er wieder kam. Er sprach von