Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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so mild und anscheinend verträglich es auch geführt wurde. »Wenn ich von Kunst spreche,« sagte er eines Tages, »so habe ich immer nur die griechische im Sinn; sie allein ist es, die unverhohlen dem Menschen dient, nicht einem Gespenste. Wenn ich die Reize eines schönen Jünglings, eines vollen Mädchens sehe, so habe ich da etwas Wirkliches; der lachende Faun, der drohende Zeus, wer verstände sie nicht? wer labte sich nicht an der schönen frei ausgesprochenen Form; das Kolorit des Titian ist ebenfalls wirklich – gesund, doch ein Bildchen von Fiesole ist eine Krankheit, mit Pinsel und Farbe beschrieben. Poesie und Musik dulden ebenfalls kein anderes Element, als die Sinnlichkeit, wenn sie sich nicht in ein Nichts auflösen sollen. Die meisten Legenden sind unter den Händen ihrer Bearbeiter Liebesgeschichten geworden, wo der Heilige den Liebhaber, die Heilige die Geliebte spielt. Die Rigoristen, die Bilder und Lieder verbannen wollen, fallen in noch gröbere Verirrungen.«

      Eines Tages holte der Graf ein Buch aus der Tasche, es waren Wilhelm Meisters Lehrjahre. »Ein sonderbares Buch,« rief er, »da ist nun ein Mensch, der durch das Leben geht, ohne sich um das Schwarz und Weiß zu kümmern, mit welchen wir alle Dinge um uns bemalen.« Eduard meinte, daß das Buch geschrieben sei, um die Bühnenkunst auf eine höhere Stufe zu heben; der Graf lächelte und kam mit einer Wendung wieder auf seine eigentümlichen Meinungen und Ansichten zurück. »Dieses und ähnliche Bücher,« sagte er, »sind mir lebende Zeugnisse, daß eine gesunde sinnliche Entfaltung das Höchste in der Poesie leistet. Den Tumult der Leidenschaften, das rote Pulsieren eines heißen Herzens, das lechzende Verlangen sinnlicher Glut, und das höhnende Gespött über die Anmaßungen des Geistes, das ist der heftige Lebensatem, der die Brust der Goetheschen Muse schwillt; nirgends Krankheit, überall Muskelfülle eines Laokoon und süßer Aphroditenreiz.«

      Eduard wandte kleinlaut ein, daß eine solche Ansicht ihm gefährlich schiene, indem dadurch der Unterschied zwischen Recht und Unrecht, Tugend und Sünde sich verdunkle. Der Graf rief dazwischen: »Es gibt keine Sünde, wie es keine Tugend gibt. Nennen wir den Orkan, der Bäume entwurzelt und Felsen erschüttert, Sünde? er ist ein und dasselbe, mit dem Frühlingsgesäusel – eine Naturkraft, eine bloße Erscheinung; nur unsere kurzsichtigen Begriffe nennen das Eine verderblich, das Andere beglückend. Ein durch sinnlichen Übergenuß sich hinrichtender Mensch, ist mir nichts als eine Erscheinung; ich tadle oder lobe ihn eben so wenig, als ich einen Baum lobe oder tadle, der durch Blütenfülle hinwelkt. Sonnenschein, früher Regen, zu fetter Boden waren die Ursache seines Falls, dagegen gibt es Tausende, die anders gestellt, günstigere Strahlen saugen; aber ich bedaure das arme krüppelhafte Gewächs, das ein Ziergärtner frühe in ein trocknes Gerippe einsperrte. Es wird eine Zeit kommen, wo alle Religionen, alle Philosopheme in den Staub sinken und die Menschen, von aller Krankheit, von allem Elend genesen, wieder nackend in die ewigen Quellen des Paradieses tauchen.«

      Nach einer Weile setzte der Graf hinzu: »Da ist nun der Herzog; anstatt sich gesund auszubilden, wie er Anfangs versprach, nährt er den geheimen Schaden und jetzt ist die Krankheit da. Schade um die schönen Anlagen. Mit einem am Felsen angeschlossenen Prometheus, der mit seinen Ketten gen Himmel zürnt, kann ich Mitleid haben, nicht aber mit einem Knaben, der aus Furcht vor der Rute auf die Worte seines läppischen Lehrers schwört.«

      Eduards Krankheit brach immer dergleichen Gespräche ab, doch ließ der Graf es sich nicht nehmen, täglich am Lager des Jünglings zu erscheinen, ja er wachte sogar Nächte hindurch und horchte den Fieberphantasien. Öfters zog er ein Manuskript aus der Tasche und las die Geschichte seines Lebens, die sich in finstern Bildern um das Kloster in den Apenninen bewegte. Einst entschlief unser Freund, und ein seltsamer Traum neigte sich auf ihn herab. Wie aus weiter Ferne tönte ein altes vergessenes Wiegenliedchen, das er seine verstorbene. Mutter singen gehört zu haben sich erinnerte. Die Töne rannen wunderbar in ein Bild zusammen und er sah sich selbst in der Kinderstube, wo er aufgewachsen, wieder; eine Gestalt saß abgekehrt von ihm am Fenster: am Band der Haube, am Kontur der Wange erkannte er seine Mutter. Ein Schauer der Rührung befiel ihn, es trieb ihn, das Antlitz zu sehen, aus dessen süßen Liebesaugen sich einst der Himmel in seiner Brust entzündet hatte; doch ein inneres Grauen, dessen Grund er sich nicht erklären konnte, bannte ihn fest an seinen Sitz. Er betrachtete einen Tisch vor sich; er lag voll Spielzeug, wohlbekannte Püppchen, doch die Vergoldung an den Soldaten war matt geworden und ein dicker Staub lag auf jedem Dinge. In seinem Herzen brachen die Knospen der ersten Jugend auf, seine Seele trank jene frühe Unschuld und Engelsfreudigkeit, die Töne der Wiegenlieder drangen mit Ungestüm in seine Brust, und weiteten mit kühlendem Flügelschlage sein Inneres aus. Vergnügt schob er jetzt die Sachen zusammen, und sie in eine bunte Reihe ordnend, konnte sein Auge sich nicht satt sehen an dem bunten Schmucke der Puppen. Sie alle waren ihm bekannt, er wußte den Namen einer jeden, doch während er sie, eine nach der andern, aus dem Kästchen hervorholte, riß sich sein Finger von ungefähr an ein hervorragendes Nägelchen, das Blut tropfte heftig, und befleckte die zarten Gestalten. Wie er im Schmerze nun die Puppen von sich warf, bemerkte er, wie jedes Figürchen auf dem Boden sich krampfhaft herumwand, wie sie immer größer wuchsen, und endlich ihn und seinen Stuhl umringten, indem sie die bleichen, verzerrten Gesichter über seine Schulter senkten. Es waren Robert, Massiello, der Herzog, der Abt, Jokonde und Eva, auch Enzio und der alte Fleackwouth fehlten nicht, doch allen klebte ein schwarzer, riesiger Blutstropfe im Gesicht und an der Kleidung. Ein ungeheures Entsetzen erfaßte den Armen; er fühlte, wie er zum Spotte dasitze am Kindertischchen als siebenundzwanzigjähriger Jüngling, er schrie laut auf, und rief den Namen seiner Mutter; da – o, es war schrecklich – zitterte das Bild am Fenster, wie ein wankender Schatten, den die Laterne eines Vorübergehenden auf die Wand eines gegenüberstehenden Hauses wirft, das Antlitz wandte sich langsam um und Eduard erkannte ein seltsames fremdes Gesicht. Die Haube war verschwunden, statt ihrer zog sich ein weißes Tuch halb über die Stirne, und eine Seitenlocke, die sich gelöst, hing auf den Hals herab. Die Gestalt hob die Arme, als wollte sie den Jüngling zu sich winken, ein ernstes Lächeln lag wie ein schwindender Glanz auf den stolzen Zügen. Mit Gewalt wollte er zu ihr, da fühlte er seine Hand gefaßt von einer kalten Berührung, zugleich schob ein voller Mädchenarm über die Schulter ihn ein Billet in den Busen. Ein stechender Schmerz stieg wie ein Mißton in die feinsten Nervengänge seines Gehirns hinauf, er fühlte, wie die Mädchengestalt sich über ihn beugte und ihre Lippen seine offene Brust glühend berührten. Er erwachte, die Wunde auf der Brust war aufgesprungen, der Graf saß an seinem Lager und hielt die Rechte des Kranken gefaßt. »Wo ist meine Mutter!« schrie dieser und warf den irren Blick in das dämmernde Gemach – »wo ist sie! sie hat mir etwas sagen wollen.« Der Graf beugte sich über ihn, er hatte den Zustand der Wunde bemerkt, und indem er die Tücher neu ordnete, fiel ein zusammengefaltetes Papier ihm in die Hände, Eduard griff darnach; »ich weiß,« rief er, »eine Gestalt, die mir bekannt schien, hat es mir eben in den Busen gesteckt.« Der Graf sah ihn mit großen Augen an – »Sie träumen noch,« rief er, »es ist Niemand im Zimmer gewesen als ich, und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nichts von diesem Papier weiß.« Eduard hatte es entfaltet und las die Worte mit einer zierlichen Hand geschrieben: »Überdruß, Kälte und Verachtung umklammern ein Herz, das für Liebe, Freiheit und Tugend geschaffen ward! O wenn Du mir folgtest, Jüngling!« – In Eduards Kopfe vermischte sich Traum und Wirklichkeit, mit dumpfer Beharrlichkeit dachte er den rätselhaften Gestalten nach, ohne zu einem Resultat kommen zu können, bis er endlich erschöpft in die Polster seines Lagers zurücksank; der Graf ergriff jene Zeilen, die der Hand des Erschöpften entglitten, und rief, nachdem er sie flüchtig durchlaufen: »Nun wahrlich, haßte ich nicht ohnedies alles Geheimnisvolle, so würde ich mich dennoch schämen, der Beförderer solcher Gemeinplätze und abgeschmackter Phrasen zu sein. Wo dergleichen Torheiten beginnen, hört sogleich alle gesunde Vernunft auf. Lassen wir den Spuck, junger Freund, wahrscheinlich hat ein verschmitzter Bote, von irgend einem schönen Kinde gesandt, Mittel gefunden, das läppische Geheimnis Euch unvermerkt aufs Lager zu schleudern.« Eduard antwortete nicht, sein inneres Auge war auf die Gebilde des Traums geheftet, besonders auf die Gestalt, die seine Mutter vorstellte und dennoch nicht war. Er hätte weinen mögen, als er leise jenes alte Jugendlied vor sich hinsang, und nur die Gegenwart des Grasen drängte Tränen wie Worte in seine Brust zurück. Als jener fortging, verfiel er in einen langen, wohltätigen Schlummer.

      Mehrere Wochen waren auf diese Weise dahingegangen; die Nachricht war eingelaufen, daß die fürstliche Braut bedeutend krank liege und sich auf ein nahe gelegenes Lustschloß zurückgezogen


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