Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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ganz überwachsen, ebenso die Tür, die offen stand und wo auf einer Bank ein Knabe saß und Netze strickte. Seitwärts war eine aus wenigen Stämmen gebildete Vorkehrung getroffen, um Pferde daran zu binden, die beschlagen werden sollten. Es stand gerade eines daran, das ein breitschultriger Knecht mit neuen Eisen versah.

      »Also du bist wirklich nichts als ein Schmied!« sagte der Gast mit einiger Entmutigung. »Ich glaubte immer dein Schurzfell sei nur Maske.«

      »Hier gibt es keine Masken!« sagte der Mann plötzlich verdrießlich. »Wenn du mein Gast sein willst, so laß den Plunder, von dem du kommst, weit hinter dir.«

      »Den Plunder?« rief die Prinzessin. »Seht doch, ich komme vom kurfürstlichen Hofe.«

      »Und kämst du vom Kaiser,« entgegnete der mißgestimmte Schmied. »Für mich ist alles Plunder. Setze dich auf diese Bank, ich bringe dir etwas. Zu deinem Glück ist Roland nicht zu Hause, sondern mit meinem Knecht im Forste. Hier ist Käse, hier ist Brot! Was willst du mehr?«

      Charlotte dankte. Der Diener hatte unterdessen seine Arbeit vollendet und brachte das Pferd in den Stall.

      »Das ist ein schöner Fuchs,« bemerkte die Prinzessin. »Gehört er dir?«

      »Er gehört dem Manne, der hier seine Pferde beschlagen läßt.«

      »Ist er vom Hofe?«

      »Es mag sein. Ich frage die Leute nicht, woher sie sind,« entgegnete der Schmied.

      »Du wohnst schon lange hier?« fragte sie.

      Der Mann sah auf, machte ein finsteres Gesicht, das sich jedoch bald wieder glättete, und rief, indem er das Messer erhob, drohend: »Kleiner Naseweis!«

      »Das ist zum erstenmal, daß ich so genannt werde,« sagte die Prinzessin scherzend. »Wenn ich das Mutter Uffeln erzähle, wird sie lachen. Nun, alter, spaßhafter Mann, was bin ich dir schuldig für deine Butter und den Käse? Mehr als einen halben Taler darfst du nicht fordern, denn mehr habe ich nicht bei mir.«

      »Ich will nichts!« entgegnete er bestimmt. »Du sollst mir nur jenes Lied nochmals singen, das ich dich im Walde singen hörte.«

      »Gern.« Und sie setzte sich wieder hin und sang mit heller Stimme das kleine, kindische Liedchen. Es lag so viel Natur und Einfachheit, so viel Frische und kindlicher, froher Sinn in dem Klang und der Weise der Sängerin, daß es jedermann erfreuen mußte, der es hörte. Unvermutet sang der alte Mann mit, und er führte das Lied endlich ganz zu Ende; sogar wußte er die Strophen, die Charlotte vergessen hatte.

      »Alter Graubart!« rief sie, »wie du prächtig singen kannst.«

      Er sah sie an und lachte.

      »Jetzt muß ich gehen; sonst komme ich nicht vor Dunkelwerden nach Hause, und Frau Uffeln bekommt meinetwegen Schelte. Daß ich wiederkommen kann, erlaubst du doch?«

      »Ja, aber nur Freitag und Sonnabend nicht, da würdest du mich nicht finden,« sagte der alte Mann, der in diesem Augenblicke wie ein alter Herr aussah, so prächtig, so stattlich, mit einem so würdigen Ausdruck im Gesicht. Charlotte konnte nicht umhin, ihm ihren wahren Stand zu nennen. »Weißt du auch, Alterchen, wer ich bin?« sagte sie, »ich bin die Tochter des Mannes, der jetzt im Heidelberger Schlosse und im ganzen pfälzischen Lande herrscht.«

      »So?« erwiderte er trocken.

      Charlotte, die gemeint hatte, er würde außer sich vor Entzücken sein, eine Prinzessin bewirtet zu haben, fand dieses »So?« sehr unverschämt, und sie wendete sich von ihm mit Widerwillen ab. Als er Miene machte, sie zu begleiten, rief sie herrisch: »Bleib, alter Flegel! Ich werde mich schon allein fortfinden.«

      Und so ging sie den Pfad, den sie gekommen und der sie wohlbehalten bis an das Dorf führte, das dem Lustschlosse zunächst lag. Dort fand sie schon die Prinzen Georg und Max, die beide auf sie warteten und sie mit Freuden begrüßten. Tante Sophie war böse und sagte, sie solle nie wieder allein ausgehen; aber Charlotte wußte, daß es nicht so gemeint war. Sie erzählte von dem Waffenschmied, und man schien sich eben nicht sehr über diese Erscheinung zu wundern. Der Schmied Hubert war seit Jahren in der Gegend bekannt, obgleich er nie an den Hof gekommen war und nur selten die Waldgrenze überschritten hatte.

      Nach Verlauf von zwei Wochen, als die Gesellschaft sich wieder bereit machte, das Lustschloß zu verlassen, schlich sich Charlotte nochmals in den Wald. Sie hatte ihre Hunde zu Hause gelassen und kam leise an die Wohnung heran, in deren Umkreis sie alles öde fand. Schon wollte sie umkehren, als sie plötzlich den Schmied bemerkte, im Gespräche mit – ihrem Onkel, dem Kurfürsten. Beide Männer hatten ihr den Rücken gekehrt. Der Kurfürst schien sehr vertraulich mit dem Schmied zu sein, und dieser gleichfalls mit dem Herrn. Als sie voneinander Abschied nahmen, umarmten sie sich, und sie hörte den Schmied sagen: »Lebe wohl, Bruder! Gottes Segen über dich und dein Haus!«

      Sie war höchlich verwundert über das Erschaute und Gehörte; sie hielt es für einen Traum, so unwahrscheinlich kam es ihr vor, daß ihr stolzer Onkel dem einfachen Mann im Walde auf solche Weise begegnete. Als sie sich nach Hause schlich, um der Tante das Geschehene mitzuteilen, sagte diese lächelnd: »Du wirst dich geirrt haben. Seine Liebden sind den ganzen Tag nicht aus dem Hause gewesen, sie sind in ihrem Kabinett und unwohl.«

      7.

       Zwei Bewerber melden sich

       Inhaltsverzeichnis

      Die jungfräuliche Blüte entwickelte sich, nicht ohne Sommervögel anzulocken, obgleich Charlotte keineswegs zu den Mädchen gehörte, deren Reiz den Männern in die Augen fällt und deren frühentwickelte Kunst zu gefallen sie auf sie aufmerksam macht. Im Gegenteil, man merkte es ihr an, daß ihr nichts an dem Beifall junger Männer gelegen war und daß sie gerne ihren Weg für sich ging. Die Unterredungen mit › ma tante‹ wurden jetzt häufig auf den bewußten Gegenstand gerichtet, der allen jungen Mädchen, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, von den Müttern gepredigt wird; wieviel eher einer Prinzessin, der einzigen Tochter, dem Kinde, auf dessen Haupt die Politik ihre Rechte geltend machte.

      Daß Charlotte nicht schön war, daß sie im Gegenteil etwas Mißgefälliges an sich haben konnte, wenn ihr Gegenstände nahe kamen, die sie nicht mochte, war etwas, das die Unterhandlungen bedeutend erschwerte. Sie besaß nichts von dem gefälligen, einschmeichelnden Sinne Sophie Dorothees, der Tochter der Französin. Wenn man sie hierüber zur Rede stellte, pflegte sie stets zu sagen: »Gut, dafür bin ich aber auch eine Prinzessin; das Schmeicheln und das Gefallenwollen habe ich nie gelernt!« Man sagte ihr, daß dies jedes Mädchen, ohne Unterschied des Standes, lernen müsse, sonst wäre sie für ihr ganzes Leben unglücklich; denn die liebenswürdigsten Männer seien zugleich diejenigen, auf die die Schmeichelei den größten Eindruck mache. Später, wenn man sich verheiratet hätte, könne man sich schon etwas erlauben und mit seinem wahren Charakter langsam hervorkommen.

      »Nein, nein!« rief die Prinzessin ungestüm, »das verstehe ich nicht und will es auch nicht verstehen. Will mich einer haben, so wie ich bin, gut: etwas anderes vorstellen kann ich nicht, und dabei kommt auch meiner Ansicht nach nichts heraus, als daß ein armer Teufel geprellt wird und später, wenn er sieht was für ein Früchtchen er eingehandelt, völlig tückisch und böse wird und dann zu irgendeiner Mätresse überläuft.«

      Man lachte über diese Äußerung und ließ die Sache fürs erste ihr Bewenden haben. –

      Bald zeigte sich, daß Charlotte diese Ansichten ins Leben zu übersetzen verstand.

      Es meldeten sich kurz nacheinander zwei Bewerber.

      Dem einen war Charlotte gut, und sie hätte ihn genommen, wenn ihr ehrlicher, offener Charakter es hätte dulden können, in einer andern Frau Rechte zu treten. Der junge Prinz war der Erbprinz von Kurland, dessen Eltern diese Verbindung vorgeschlagen hatten, ohne den Sohn zu fragen, der eine heftige Liebe zu einer Tochter des Herzogs von Württemberg, Maria, gefaßt hatte. Der Herzog Ulrich wollte in der Sache keinen Schiedsrichter abgeben, hatte demnach seiner Tochter befohlen,


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