Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
Prinzen von Schwedt und ihrem Vetter machte sie in Berlin auch eine Jagd mit, bei der sie das Mißgeschick hatte, da sie ein wildes Pferd ritt, von diesem herabgeworfen zu werden und sich den Arm zu verstauchen. Der Kurfürst und die Kurfürstin waren ihretwegen in nicht geringer Besorgnis; allein Charlotte kümmerte sich wenig um den Unfall; am nämlichen Abend zeigte sie sich dem versammelten Hofe bei einem Ball mit dem Arm in der Binde. Ja sie wagte es sogar, zum Schrecken der Oberhofmeisterin, die diesen Verstoß gegen die Etikette auffällig fand, mit dem Arm in der Binde zu tanzen. Zur Bewunderung der jungen Herren des Hofes führte sie den Tanz zum Entzücken gut aus und kehrte freudeglühend und stolz in die Arme ihrer Cousine zurück, die sie schalt und tadelte, aber in der freundlichsten Manier. Die junge, pfälzische Amazone wurde das Tagesgespräch, und lange nachdem das kecke, fast wilde und eigentümliche Fürstentöchterchen fort war, hieß es noch immer in dem Kreise der Höflinge: Das tat sie, das sagte sie, so benahm sie sich! Und wie kleidete sie das alles so vortrefflich!
Sophie Charlotte schrieb ihrer Mutter, der Kurfürstin von Hannover:
»Wir senden Ihnen, gnädigste Frau und geliebte Mutter, Ihren wilden Vogel wieder zurück, der hier den ganzen Hof toll gemacht hat, so daß wir in dem Zeitraume, den sie hier zubrachte, in der Tat nicht wußten, wo uns der Kopf stand. Alle Tage neue Possen, neue Seltsamkeiten. Möchte es Euer Liebden gelingen, aus diesem völlig wilden, knabenhaften Mädchen eine anstandsvolle Prinzessin zu bilden, die das tut, was die übrigen ihres Standes tun, und zwar mit den besten Manieren und den gehorsamsten Ansichten.«
Da ihr Vetter, der Kurprinz von Hannover, eine weitere Reise unternahm, kehrte Charlotte mit Leibniz nach ihrer Heimat zurück, nachdem sie dem Kurfürsten das Versprechen gegeben hatte, das nächste Jahr wieder nach Berlin zu kommen.
6.
Das Abenteuer im Walde
Wenn der Hof sich in dem Lustschlosse Herrnhausen befand, so war die Etikette aufgehoben, und es war erlaubt für die jungen Damen, allein oder in Begleitung Spaziergänge zu machen, allerdings nur im engern Bezirk des Gartens und der Anlagen. Elisabeth Charlotte jedoch erklärte in ihrem Sinne diese Anlagen für sehr ausgedehnt, und so geschah es denn öfters, daß sie in Gesellschaft ihrer zwei Lieblingshunde, die sie großgezogen und die ihr auf das treueste anhingen, bis weit über das nächste Dorf hinaus sich am Ufer des Flusses, und weiter hinaus bis in das Innere einer Waldung verlor, die die Südseite des fürstlichen Lustschlosses umgab.
Es war an einem heißen Julitage, als die Prinzessin, die weit über die Mittagstunde hinaus herumgestrichen war, Hunger zu empfinden anfing und sich somit nach einer Wohnung umsah, wo sie für Geld und gute Worte ein ländliches Mittagsmahl einzunehmen hoffen konnte. Das Dorf hatte sie bereits hinter sich gelassen, dahin umzukehren schien ihr nicht tunlich, sie hoffte an der Grenze der Waldung eine Köhlerhütte anzutreffen und schritt deshalb der frischen Kühlung der Baumschatten zu. Im Walde angelangt, sah sie zwei Wege vor sich, es fragte sich, welchem von diesen sie sich vertrauen sollte. Der eine war breit, ausgefahren und schien in irgendeine Besitzung zu führen, die jenseits des Waldes, also sehr weit entfernt lag, der andere war klein, eng und schien ein Fußweg für Wanderer zu sein. Diesen wählte die Fürstin und wandelte nun gemächlich, umrauscht von hohen Fichten und Erlenbäumen, mit ihren zwei Hunden auf dem Pfade immer tiefer in den Wald hinein. Bald war sie so weit gekommen, daß, entfernt von jeder menschlichen Wohnung, nur die Einsamkeit des Forstes sie einschloß. Die Sonne fing an zu sinken, die Prinzessin wanderte noch immer.
Endlich blieb sie stehen und blickte sich um. Rings Waldesschatten und das ferne Klingen und Rauschen jener geheimnisvollen Töne, die man oft im Walde hört, ohne sich erklären zu können, von wo sie kämen. Die Sonne warf ein Streiflicht durch eine Gruppe alter Fichten, die am Wege standen, und beleuchtete einen Baumstamm, der am Boden lag und gleichsam eine natürliche Bank bildete, auf der die Fürstin sich niederließ. Ihre Hunde lagen zu ihren Füßen, sie sang mit heller Stimme eines jener kleinen Lieder, die sie noch aus der Kinderstube kannte, und die in einfachster Weise die Schönheit einer lieblichen Gegend priesen. Sie hatte den dritten Vers kaum begonnen, als ein Geräusch in ihrer Nähe hörbar wurde. Die Hunde schlugen an, und sie wandte sich, um zu sehen, was es sei.
Ein Mann, in einem einfachen, grauen Rock, stand nicht weit an einem Baum und hörte ihr zu. Das Gesicht dieses Mannes übte eine besondere Anziehungskraft auf das überraschte Mädchen; es war ernst, würdig, und im Schmucke der ergrauten Haarlocken und Brauen konnte es dem Bilde eines jener Eremiten, die ehemals sich in Wäldern niederließen, zum Muster dienen. Aber die Kleidung war nicht die eines Einsiedlers; sie zeigte Spuren von der Arbeit eines Handwerkers. Ein großes Schurzfell machte sich über dem grauen Rock breit, und im Gürtel sah man einen Hammer und eine Zange stecken.
Er blickte unverwandt auf die Sängerin, die längst aufgehört hatte zu singen, und nickte mit dem Kopfe wie jemand, der zufrieden war mit dem, was er gehört hatte.
»Mein Kind, wo hast du dieses Lied her?« fragte er, indem er dabei ein wenig seine Mütze zum Gruße lüftete.
Die vertrauliche Art der Ansprache befremdete die Prinzessin, doch nahm sie sich zusammen und sagte kurzweg: »Von meiner Amme.«
»Alsdann muß deine Amme aus Schwaben oder aus der Pfalz sein.«
»So ist es auch.«
»Denn hierzulande«, fuhr er fort, »singt man diese Weisen nicht. Bist du aus Schwaben?«
»Aus der Pfalz,« erwiderte die Prinzessin.
»Die Gegend?« fragte er weiter.
»Aus Heidelberg.«
»Ach!« rief er, »da wünsche ich dir Glück, mein Kind. Nirgends wohnt sich's besser als in der uralten Stadt, deren Namen du eben genannt hast und die der schöne, prächtige Neckar durchfließt. Einst durfte ich auch dort wohnen und zählte viele Bekannte und Freunde. Wo ist jetzt der Herr der schönen Feste, oben auf dem Berge? Der kurfürstliche Stuhl war einige Zeit unbesetzt.«
»Du sprichst von früheren Zeiten, Alter!« rief Charlotte plötzlich lebhaft, »jetzt ist der gnädige Herr Karl Ludwig Herr des Landes und auch der Feste. Gar herrlich wohnt sich's da, dessen kannst du versichert sein, und ich hätte an deiner Stelle das schöne Land nicht aufgegeben.«
»Verhältnisse!« erwiderte er trocken und sah vor sich hin.
»Wer bist du?« fragte die Prinzessin.
Er sah sie an und nach einer Weile antwortete er: »Ich bin der Waldschmied; meine Wohnung liegt nicht weit von hier.«
»So erlaubst du, daß ich mit dir gehe,« rief das ermüdete Mädchen. »Mich hungert und du hast vielleicht etwas Eßbares bei dir zu Hause.«
»Gewiß habe ich das,« erwiderte er lächelnd. »Ihr Stadtjungfern seid alle etwas verwöhnt, es fragt sich nur, ob das, was ich dir biete, dir genügt.«
»Es wird schon; bringe mich nur in deine Behausung.«
Sie erhob sich, faßte den Arm des Schmiedes, und beide machten sich auf den Weg. Die Hunde folgten. »Also du kennst Heidelberg, Alterchen?« fragte Charlotte im Gehen.
Der Schmied antwortete nur durch ein stummes Nicken mit dem Kopfe; er schien es nicht zu lieben, während des Gehens zu sprechen. Er sah sich öfters nach den Hunden um: »Werden sie sich auch mit meinem Roland vertragen?« fragte er halb für sich. »Ich liebe nicht, daß Menschen oder Tiere sich innerhalb meiner Wohnung beißen und zanken. Ich habe oft genug, als ich noch in der Welt lebte, den Versöhner spielen müssen und möchte es jetzt nicht wiederholen.«
»Wenn der Roland nur halb so artig ist wie sein Herr, so macht er willig den beiden Fremdlingen Platz, die bescheiden und friedfertig sind,« bemerkte Charlotte.
»Du weißt dein Wort hübsch zu setzen!« sagte der Mann mit Wohlgefallen. »Aber das lernt man bei euch, ich weiß das. Sieh, da liegt mein Besitztum; es ist hübsch, nicht wahr?«
Als