Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
Klosterleben geschildert.« – Eine Pause herrschte, und der Graf erhob seine Stimme indem er folgende Worte las:
»Alle menschliche Größe ist Lüge, alles Hohe und Heilige ein läppischer Selbstbetrug! Die wilde Naturflamme der Sinnlichkeit bläst üppige farbige Kugeln vor sich hin, die wir Tugend, Glauben, Wahrheit nennen, und die im nächsten Augenblick zerplatzen. Die Seele ist die Krankheit des Leibes, die Lügnerin, die ihm einen Himmel vorspottet, und ihn aus sich und seiner Bestimmung reißt; diese Bestimmung aber ist, zu keimen, zu wachsen, tierisch hinzuträumen und wieder spurlos zu vergehn; jeder Glaube an ein anderes Ziel, an einen andern Zweck ist der lächerlichste Betrug. Ich bin frühe zur Wahrheit hindurchgedrungen, und meine Lippen tranken aus dem Giftbecher als sie noch jung waren. – – Mein Oheim, der die Wünsche der Eltern erfüllte, brachte mich als siebzehnjährigen Knaben ins Kloster der schwarzen Brüder. Schauerlich finster lag dieses Asyl menschlichen Elends; zwischen Felsenwände eingeklemmt ragten die Türme des alten Baues in die Luft, und um dem Strahl des Lichts den letzten Zugang fast zu rauben, warf ein Kranz finstrer Buchen und Tannen von oben herab seinen bläulichen, kalten Schatten in den dämmernden Klosterhof. Hier schlich ich mit ängstlich fragenden Blicken herum, wenn die schwarzen Gestalten der Brüder sich an mir vorbeibewegten, wenn ich ihre wankenden Schritte hörte, mit welchen sie in die Nacht der hohen, von einem spärlichen Lämpchen erhellten Kreuzgänge verschwanden, hier sann ich den trüben Wundern nach, die die Knie meiner Brüder beugen machten. Ein langer, dürrer Mönch, mit einem Gesichte, wie eine kalte Steintafel, ging mir nach und hütete die Einsamkeit meiner kleinen Zelle. Oft wenn ich ihn um Mitternacht durch die Kirche aufrecht, wie ein im Sarge erkalteter Körper, schreiten sah, fiel der Schatten seines vorüber wandelnden Leibes wie eine schwarze, stille Gottesleugnung auf die Bilder der göttlichen Helfer. Er war nie aus der dunkeln Keller tiefe des Klosters an den warmen Mittag oben hinaufgestiegen, nie mochte er lächeln, nie eine bunte Blume, einen grünen Baum sehen, ein grauer Vorhang verhüllte auf immer die Aussicht seines kleinen Zellenfensters. Dieser Mann war es, der mir seine nähere Aufmerksamkeit schenkte; er gab mir eines Tages ein Buch, in welchem sich schöne Abbildungen jener frommen Helden der Kirche befanden, deren Geschichte meine junge Brust entflammt hatte. Wie selig war ich im Besitz eines solchen Schatzes. Wenn die mitternächtliche Glocke ihre einsamen Laute durch die Nacht tönen ließ, wenn alles im Kloster ruhte, dann fand ich Mittel von meinem Lager mich zu erheben, dem Korridor entlang, dem heiligen Muttergottesbilde vorbei, leise schleichend eine kleine, versteckte Tür zu öffnen, die mich in ein hochgelegenes Turmstübchen leitete, wo sich eine Bank und ein Tisch von Stein befand. Hier hörte ich nun die Bäume auf den Felsen dicht über mir rauschen, hier konnte ich den Himmel mit seinen Sternen sehen, hier fuhr oft der Sturm, der unten schwieg, mit tönendem Brausen durch die Gitterstäbe meines kleinen Fensters und drohte das flackernde Lämpchen zu verlöschen, welches vor mir auf der Steinplatte seine unruhigen Lichter und Schatten warf. Ach, ich kann die Seligkeit, den herzzerreißenden Schmerz, die ahnende Wonne, die träumerische Begeisterung und die trunkene Entzückung nicht beschreiben, die in jenen wunderbaren Nächten mein armes Knabenherz befiel. Ich lag auf beide Hände gestützt, das Buch auf meinen Knien, die blonden Locken meines Hauptes drüber hinfließend – stundenlang auf den kalten Steinen und hing mit verzehrender Glut an den Bildern meines Buches. Der Gedanke ging endlich in mir auf, daß auch ich ähnliche Wunder wirken könne, daß auch mein schwacher Körper die Glut des Himmlischen durchströmen und weihen könne. Nicht achtend auf die Vermessenheit solcher Gedanken, flog meine jubelnde Phantasie immer höher; bald zweifelte ich nicht mehr an meinem hohen Beruf; konnte wohl Gott ein Herz, das so brünstig sich ihm näherte, verstoßen? Ich faßte die ganze Stärke meiner Seele, niederstürzend lag ich im Staube vor ihm, und erbat unter strömenden Tränen ein Wunder. Gleich dem heiligen Faustinus wollte ich die Stäbe meines Fensters schütteln und sie wie Rohrstäbe brechen. Buße und Geißelung huben jetzt an, und sollten jeden Funken der irdischen Begehrlichkeit in mir ersticken. In der Einsamkeit meiner Turmzelle floß mein Blut unter Geißelstreichen und färbte den Steinboden; kein Gebet, keine Fürbitte wurde verabsäumt, Hunger und Nachtwachen hatten meine Glieder der Fülle der Jugend entkleidet; endlich glaubte ich reif zu sein, für das mächtige Werk. In einer Nacht, wo ein fürchterliches Wetter sich über unserem Kloster entladete, faßte ich im Wahnsinn jene Eisenstäbe, raste in Entzückung und wandte alle Kraft an, sie zu brechen, – sie brachen nicht – und ohnmächtig stürzte ich auf die Steine des Bodens. Als mich die Brüder oben fanden, erhielt ich eine strenge Züchtigung und mein geliebter Turm blieb mir auf immer verschlossen. Wenige Tage nach diesem Ereignis hatte ich den Muth, aus den Klostermauern hinauszuschleichen, um in den nahen Forst mich zu verlieren. Meine Seele, die in Betäubung lag, dürstete nach Einsamkeit. Rastlos forteilend geriet ich bald in viele Waldpartien, und kaum hatte ich ein finsteres Rasenplätzchen mir ausersehen, um mich mit meinem Wunderbuch dort niederzulassen, als ein Geräusch in meiner Nähe mich plötzlich emporschreckte. Wer beschreibt mein Entsetzen, als ich dicht vor mir ein Ungeheuer erblickte, welches den heißhungrigen Rachen schon aufsperrte, um meine zitternden Glieder zu verschlingen. Tränen stürzten aus meinen Augen, in der Angst und Verwirrung stürzte ich auf meine Knie und meine Arme hielten, einem dunkeln Triebe folgend, dem Wolfe die Blätter meines aufgeschlagenen Wunderbuches entgegen. Nicht so bald hatten die grünen funkelnden Augen des Scheusals die geweihten Schriftzüge erschaut, als die fürchterliche Gestalt langsam zu weichen begann; ich rutschte auf den Knien ihr nach, immer das Buch gerade vor mich hin haltend und, o dreimal herrliches Wunder, das mörderische Tier heulte laut auf und entfloh furchtsam ins Dickicht. Ich blieb noch, auf meinen Knien liegend, ein heißer Strom der Entzückung überstürzte mein Gebein; meine Besinnung drohte zu schwinden, und mein umherschauender Blick glaubte Gesträuch und Bäume, Himmel und Wolken in einem überirdischen Glanze leuchten zu sehen. Grüne züngelnde Flammen lösten sich von den Spitzen der Bäume, rote Lichter entsprangen dem Schoße der Waldrosen, Sonnenflocken träufelten von oben herab und diese bunten Lichter vereinigten sich und flossen zu einer hellen Krone um die gelben Locken meines Hauptes, mein Gewand ward Licht – ich selbst war in einen Heiligen verwandelt. Mir war ein Wunder gelungen, der Himmel hatte meine Gebete erhört; schon sah ich im Geiste eine gläubige Menge zu meinen Füßen knien. Als ich im Kloster wieder ankam, hatte Niemand meine Abwesenheit bemerkt, dem blassen Bruder, der mich besuchte, warf ich mich an den Hals, mit der Glut meines jungen Busens erwärmte ich seine eiskalte knöcherne Brust, – mein göttliches Geheimnis ward das seinige. Er sagte nichts, doch zuckte es um seine bleichen Lippen. An einem Nachmittage rief er mich zu sich in seine Zelle. Ich zweifle nicht, mein junger Bruder, sprach er, an deine wundertätige Kraft, doch treibt der Lügengeist mich an, dich zu versuchen, komm, überzeuge, erleuchte mich. Mit diesen Worten brachte er den wilden Hund des Klosterhofes herbei, und indem er das wutschnaubende Untier an der Kette festhielt, sagte er zu mir: Nun, mein Bruder, jetzt nimm dein Buch, halte es gegen dieses Tier, und wenn du anders wahr geredet, und an den Himmel glaubst, so wird die Wut des Hundes nichts gegen dich vermögen. Du sagst es, rief ich mit starker Stimme, so wahr der Glaube an des Himmels Kraft kein Spott ist, so wahr wird mir der Hund nichts Böses antun können. Jetzt sank ich auf meine Knie und entblätterte mein Buch – in dem Augenblick entsprang das Tier seiner aufgeknüpften Kette und – o, es ist lächerlich, – die Bögen meiner Schrift lagen zerrissen vor mir und ich fühlte die jähen Schmerzen, wie die grimmigen Zähne des Hundes sich tief in mein Fleisch einbohrten. Als ich am andern Tage aus meiner Ohnmacht erwachte, lag ich in meiner Zelle, der bleiche Bruder stand neben mir, und ich bemerkte im hellen scharfen Strahl des Mondlichtes, wie sich sein blasses Gesicht in einem grinsenden, tonlosen Lachen weit spaltete, und sich dicht über mich beugend, so daß sein kalter Atem an meiner heißen Fieberwange erwärmte, sagte er leicht und immer fortlachend: Albernes, warmes Kind, dein Fleisch hat dich betört, es gibt keinen Himmel! Merkst du nun endlich, daß es ein böser Geist ist, der mit uns spielt. Ich hörte diese Worte nicht mehr, mein Herz brach und in einem Blutstrahl, den ich ausspie, schwanden mir die Sinne von neuem. In einem Fiebertraum, der mich zwischen Tod und Leben schwebend erhielt, sah ich den blassen Bruder öfters, wie er in der Kirche herumging und mit dem weiten Ärmel seiner Kutte die Bilder der Heiligen auslöschte; dann leuchtete er hin und auf dem matten, schwärzlichen Grund zeigten sich nun scheußliche, ekelhafte Fratzen, die Menge aber kam und kniete andächtig nieder und sah die entsetzliche Verwandlung nicht. Schuldlos lächelnde Knabengesichter, blühende Mädchenköpfe blickten vom Chor hernieder; vor dem Allerheiligsten stand jedoch der fürchterliche Blasse und sang schamlos