Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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die Krisis vorüberging, lag ich auch, eine kalte Leiche, da, mit einem Herzen, das nichts mehr bewundern, nichts mehr lieben konnte. Mein Auge war entsiegelt, was Tausende von Menschen in ihrer Blindheit fesselte, hatte auf mich seine Macht ewig verloren; ich sah das höhnende Gerippe durch die bunten Fratzen durch, mit denen die schmeichelnden Sinne, der Wahnsinn und die Torheit es umkleiden. Als ich genesen, führte der bleiche Bruder mich nun immer weiter auf die eisige Höhe der Erkenntnis; ich sog von seinen Lippen den schneidenden Spott, die kalte Verachtung, den schlafmüden gähnenden Überdruß mit Begierde ein; ich verachtete die schwachen Seelen, welche dem Wurme gleich sich krümmten unter den Tritten eines tyrannischen Geschicks; mich mochte sein plumper eiserner Fuß zertreten, was lag daran, wußte ich doch, daß ich dann auf ewig dem Nichts wieder dahingegeben war, aus dem ich wider meinen Willen zu Qualen hervorgerufen worden. Ich konnte in meiner Überzeugung mich nicht einmal zu dem Glauben eines Lehrers zwingen, als beherrsche den Menschen ein böses, tückisches Wesen; wie möchte ein solches Freude daran haben, mit einem Geschöpfe zu spielen, das wie ein läppisches Uhrwerk sich selbst überlassen, zeitig genug an seiner eigenen Erbärmlichkeit sich aufrieb und vernichtete. Die Träne der glühendsten Andacht, ist sie mehr als das Werk eines durch Sinnlichkeit und Eitelkeit hervorgekitzelten Nervs, ist sie etwas edleres, als das Lächeln auf der Lippe eines Wollusttrunkenen?« –

      Der Graf hatte geendet und lag zusammengesunken da, der Herzog träumte vor sich hin; Eduards Seele war ganz Leben und Bewegung, er glaubte einen Blick in das Innere des wunderbaren Mannes getan zu haben, und seine Überzeugung war, daß der Graf seine eigene Geschichte vorgetragen habe, er wollte ihn mit einer Rede voll Glauben und Frühlingswärme ansprechen, da richtete jener das Auge auf ihn und jener matte, Überdruß blickende Strahl fiel entkräftigend in seine Seele. Selbst Jokonde erschrak vor diesem Blicke, und fragte schnell, ob der Graf nicht noch eine Tasse Tee befehle, oder ob sie, um die Gesellschaft zu erheitern, etwas spielen solle. Der Graf nickte und der Herzog sprang auf, um einen dankenden Kuß auf die Stirne des schönen Mädchens zu drücken. Massiello nahm förmlich Abschied, und führte zur Entschuldigung an, wie er jetzt gerade ein altes, höchst seltsames Liebeslied dichten wolle, welches in seiner ganzen Lebendigkeit in ihm aufgegangen sei, als der edle Graf von der absoluten Tierheit so vortrefflich gesprochen, und da wolle er zwei recht gesunde Leute, denen es gelungen war, auch das letzte Restchen von Seele, Tugend und Unsterblichkeit wegzuschleudern, in recht kräftiger Naturfreude zusammenführen. Der Herzog ließ ihn gehen, und auch der Graf nahm Abschied. Ein freudiges Ereignis war, daß jetzt die Tür sich öffnete, und die beiden Flüchtlinge, Robert und der Abt, hineintraten. Man hörte nicht viel auf ihre Reiseberichte, der Herzog umarmte leidenschaftlich einen um den andern, Jokonde brachte allerlei Possen vor, und endlich mußte der Abt sich an das Pianoforte setzen, um einen seiner französischen Tänze zu spielen. Er protestierte heftig, indem er behauptete, daß sein Verlangen, unter den Tanzenden eine Stelle einzunehmen, viel zu mächtig sei, besonders wenn sein Glück es ihm gestatten wolle, an der Seite des schönen Fräuleins seine Geschicklichkeit zu zeigen. Man kam seinen Wünschen zuvor, Eduard setzte sich zum Spiel und lächelnd folgte das reizende Mädchen seinem alten Grazioso, indes der Fürst und Robert sich gegenüberstellten. Jokonde machte jene leichten Sprünge, die ihr durch ihre natürliche Anmut immer das Entzücken der Zuschauer erwarben, indes der Abt, ihr schief gegenüberhängend, sich in künstlichen Tanzfiguren erschöpfte und endlich damit endete, mit einem bösartigen keuchenden Husten einzugestehen, daß er sein schönes Vorbild unmöglich erreichen könne. Ein leises Gelächter wurde hörbar, als er abtrat; und jetzt stellte sich der schöne Robert an seine Stelle. Die Musik floß wie mit Inbrunst in die reizenden Verschlingungen und hob auf klingenden Wogen die schönen Tänzer wie im Triumph auf und nieder. Der Herzog glaubte zu bemerken, daß Jokonde die dunklen Augen des jungen Engländers suchte und hustete verstimmt. Als man geendet hatte, trat die Dienerin herein und meldete, es stehe im Vorzimmer ein kleiner verdrüßlicher Mann mit einer spitzen, äußerst saubern Nachtmütze, er habe kurz und ungeduldig anbefohlen ihn zu melden. Die Gesellschaft trat neugierig zusammen, die Türe ging auf und eine seltsame Figur mit rückwärts flatterndem Schlafrock eilte herein, bemächtigte sich eines Stuhles, bestieg ihn und sich leise räuspernd und bückend hub sie mit feiner Stimme zu sprechen an: »O meine Herrn, wenn Sie wüßten, wie krank ich bin; man beobachtet mich und hält meine arme kleine Person in einem weitläuftigen Gebäude verschlossen, so weit ist es mit der Despotie des Pöbels gekommen; sie setzt die Zeit selbst gefangen, indem sie vorgibt, mich zu befreien. Ach, es ist etwas Beklagenswertes um die Ehre, der Gott der Zeit zu sein! Ja, Madame, lächeln Sie nicht, ich bin die Zeit. Eigentlich sollte ich Sie verspeisen, da Sie mein Kind sind, aber diese Untugend habe ich mir schon längst abgewöhnt. Du lieber Gott, meine Kinder heut zu Tage schmecken erbärmlich schlecht, es ist eine grenzenlos fade Speise, die den besten Magen verdirbt – freilich wäre ich jung – ach damals, damals! still, still! das ist der Wurm – ganz im Geheim, lieben Freunde, ich bin alt, sehr, sehr alt. Sehen sie dieses altgermanische blonde Lockenhaar, das unter meiner Mütze auf die Schulter herabwallt, es ist falsch und deckt meinen nackten Scheitel, der sonst ganz erbärmlich frieren würde; der lederne Koller, den mir Götz von Berlichingen geliehen, ist nicht genug, die enge kalte Brust zu wärmen, unter ihm trage ich eine Jacke von Flanell, die ich aber sorgfältig verstecke; den Wertherfrack ziehe ich manchmal noch drüber, ich liebe ihn, weil er so stark nach Pulver und Lebensüberdruß riecht. Übrigens ist mein Gebein von der Studierlampe durch und durch gedörrt, mein Körper hat allerlei seltsame Einbeugungen und Auswüchse von den Ecken und Kanten des Schreibtisches erhalten und die innern Teile sind vom beständigen Nachtsitzen jämmerlich zusammengewachsen. Ach, Madame, Madame! oft überfällt es mich wie der Tod in Tränen, wenn ich daran denke, wie ich einst im alten Hellas als Jüngling ewige Hymnen absang, zu den Füßen Aspasiens lag; wie ich als Knabe Alcibiades an den Lippen des Sokrates hing, der so schön war, weil er so weise; wie ich in ausgelassener sinnverwirrter Jugend den trunkenen Bacchus auf meinen Schultern durch den jauchzenden Sturm der mitternächtlichen Orgien führte. O Himmel, Himmel! und wie ich später an der Tafel des Mäcenas das beste Glas Wein in meinem Leben trank, und der alte Flaccus mir zur Seite mit lächelndem Munde, im Gefühl eines üppigen Lebens, die Reize ländlicher Einsamkeit pries, wie mir als Antonius die ägyptische Königin in afrikanischer Liebesglut die Wange bleich küßte; wie ich in stürmischer Jugendbrust als Hannibal dem völkerwimmelnden Erdkreis Verderben schwur! Und später – Freunde, Euer Auge wird feucht – Ihr ahnet, wovon ich sprechen will – ach, von der Zeit meiner ersten Liebe. Die stürmische Jugend war vorüber; aus dem Orient, vom Grabe des Erlösers kam ich zurück, in meinem schwarzen Auge lag die dunkle, süße Elegie der Liebe, meine Wange war bleich, der Tod Jesu hatte einen finstern Schatten auf die Welt geworfen. Die üppige, feurige Blume der Sinnlichkeit schloß sich, eine heilige, ewige Mondnacht der Liebe ging über die Erde auf, und die Schatten gewaltiger, ernster, gotischer Türme fielen kalt auf die bunten Marktplätze des Lebens. Damals, Madame, damals liebte ich – hatte ein krankes, schwaches, doch unendlich liebenswürdiges Mädchen entdeckt, es war meine eigne Seele. Kennen Sie, Madame, dies seltsame Geschöpf? Die wahre Liebe zu ihr ist, wie jede Liebe, mit ewigen Schmerzen verbunden, doch diese Schmerzen sind süß. Nun trachtete ich nicht mehr nach den Genüssen meiner raschen Jugend, sondern saß die stillen Nächte bei meiner Liebe, sie in den Schlaf wiegend mit süßen Liedern; in den goldnen Gärten der Provence gingen wir tändelnd mit einander, an den Altären prangender Münster knieten wir mit einander, in den Minnehöfen bei den Sprüchen schöner Frauen, ewiger Sänger, wurde uns das Rätsel unsrer eignen Glut klar, und in dem Zusammenklang göttlicher Harmonien, in den stürmischen Gebeten glühender Andacht, in Farben, Tönen, Frühlingsglanz und Todesgrauen schlug der goldene Kelch unserer Liebesblume seine prangenden Blätter mit Gesang auseinander, und wankte, von Sonnenglanz umträufelt, in den ewigen Himmel hinein! – Ach, Freunde, vergebt eine Träne! o meine Jugend, meine Jugend! Seitdem, Madame, seitdem – es muß heraus – bin ich alt geworden, die Geliebte auch. Wir heirateten uns und bewohnen jetzt verschiedene Seiten. Wir arbeiten jetzt tüchtig an unsrer Vervollkommnung – ach, was habe ich für Schriften und Schriftchen lesen müssen, Bücher, Bücher und immer Bücher! Dabei tönt mir oft in der Nacht bei der Arbeit das alte sehnsüchtige Lied meiner Jugend in die Ohren; es ist entsetzlich, mir wird dann so erbärmlich zu Mute wie einer armen zergangenen Semmel in einer kaltgewordenen Kaffeetasse! Oh, oh! ich klagte meine Leiden einem Arzte, der lächelte und sagte, er wüßte schon lange, daß die Zeit krank sei, er verbot mir das lange


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