Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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sprechen wir in diesem Augenblick nicht von jenen Armseligkeiten!«

      Der Wagen fuhr in das Palasttor von St. Germain ein. »Da sind wir!« schrie die Prinzeß mit Entzücken.

      »Da sind wir,« seufzte die arme Charlotte.

      »Hier wird die Vermählung gefeiert,« bemerkte die Prinzeß weiter, »und von hier werden wir nach Versailles gehen. Da ist der Oberkammerherr des Prinzen, er wird uns in unsere Gemächer führen. Der einfältige Georg, was er sich nur einbildet, als könnte er hier nur irgendetwas vorstellen! Er ist überall; allen Leuten rennt er in den Weg.«

      »Mein guter Georg!« sprach die Prinzessin leise.

      Die Prinzessin stieg an der Hand des Oberkammerherrn aus. Georg schob sich dazwischen, indem er rief: »Exzellenz verzeihen, dort ist die Prinzessin Braut!«

      Der Mann ließ die Hand der Dame los und griff nach der Charlottes. Die Prinzessin warf dem Jüngling einen wütenden Blick zu.

      Jetzt war der Moment gekommen, wo beide Verlobte sich von Angesicht zu Angesicht sehen sollten. Beide hatten die betreffenden Porträts bei sich. Nach der Sitte der damaligen Zeit sollte das Zusammentreffen in die Form eines Spiels eingekleidet werden, das der Prinz angab und das › l'attraction joyeuse‹ genannt wurde. Es bestand darin, daß dreißig Herren aus der Umgebung des Prinzen mit dreißig Damen aus der Nähe der Prinzessin sich in zwei Abteilungen teilten und auf folgende Weise gegeneinander tanzten oder spielten. Der Saal war in eine Art Wäldchen verwandelt mit zwei Taxuswänden von der Höhe, daß sie einen Menschen verdeckten. Der Kreis der Herren, die einander an der Hand gefaßt hatten, befand sich hinter der Taxuswand, die Damen waren, ebenfalls zu einem Kreise geschlossen, vor derselben. In der Wand befand sich eine Tür oder ein Eingang, gerade so groß, daß eine Person davor sichtbar wurde. Jetzt begann ein Lied nach einer einfachen Melodie, in welches sämtliche Herren und Damen einstimmten, und das daher einen hübschen Effekt hervorbrachte. Die Kreise fingen sich nun an zu drehen, aber ein jeder nach der entgegengesetzten Richtung. Erschien nun ein Herr an der Öffnung, so wurde er von der Dame, die ihm gerade gegenüberstand, mit den Worten begrüßt: »Er ist schön: aber er ist nicht der Schönste!« Darauf bewegten sich wieder die Kreise, bis der zweite Herr an die Reihe kam, dem die zweite Dame gegenüberstand, wobei die Dame denselben Spruch aussprach, worauf mit Lachen und Scherzen die Kreise sich wieder in Bewegung setzten. Es war dies ursprünglich ein alter Hochzeitsscherz aus der Normandie: damals war er in Paris Mode geworden, und der fröhliche Charakter des Prinzen, der ein Vergnügen daran fand, alte Gebräuche, wenn sie ihm zusagten, wieder aufzufrischen, hatte sich diesen ausgesucht, um dadurch sein Zusammentreffen mit der ihm Bestimmten zu feiern. Zusätze, die ursprünglich zu diesem alten Tanze gehörten, aber etwas bäurisch anstößiger Natur waren, hatte man weggelassen. Das Lied war von dem Prinzen selbst komponiert und der alten Weise auf das beste angepaßt. Der letzte der Herren war der Prinz, die letzte der Damen die Prinzessin. Hatte also dreißigmal der Spruch sich wiederholt, so erschien am einunddreißigsten Male der Prinz selbst vor der Öffnung und wurde von der Prinzessin mit dem Spruche begrüßt: »Dies ist der Schönste!« Worauf der Prinz niederkniete und ausrief: »Hier ist die schönste der Schönen.« Beide begrüßten sich auf das zierlichste, und jetzt wurde bunte Menge gemacht. Jeder Kavalier wählte sich seine Dame, die Musik ging in eine lebhafte Weise über, und der Prinz mit der Prinzessin an der Spitze führte den ihnen nachfolgenden Zug durch alle Gänge des Lokals, wobei gelacht und gescherzt wurde und der Saal sich nach und nach mit Zuschauern füllte, die dem Prinzen und der Prinzessin ihre Glückwünsche darbrachten.

      Dieses kleine ländliche Vergnügen sollte über das Lästige der förmlichen Zusammenkunft hinwegleiten und die beiden Verlobten sogleich in ein freundschaftliches, vertrauliches Verhältnis bringen. Dies geschah auch. Was beide übereinander dachten, blieb versteckt und ward erst später laut gegen ihre beiderseitigen Vertrauten.

      Am andern Tage gingen die Vermählungsfeierlichkeiten vor sich. Sie wurden nach aller Form abgehalten. Die Neuvermählten wurden vom König begrüßt, der mit dem Kronprinzen, einem Knaben von zehn Jahren, erschienen war, um seine Glückwünsche abzustatten und Madame, welchen Titel sie jetzt führte, der Königin vorzustellen.

      Von St. Germain fuhren die Kutschen nach Versailles.

      24.

       Erste Eindrücke

       Inhaltsverzeichnis

      Prinz Philipp von Bourbon, Herzog von Orleans, befand sich in seinem Kabinett im Begriff, sich festlich anzukleiden, um an den Hof zu gehen. Dies war die Stunde, wo er mit seinen Lieblingen frei verkehrte, und ein Paar derselben, Lorraine und Lancret, befanden sich im Kabinett und verrichteten beim Anziehen Kammerdienste.

      Der Herzog, der eine Halbweste von einem modischen Stoffe anprobiert hatte, zog sie unwillig aus, warf sie hin und rief ärgerlich: »Soll mir denn nichts mehr passen? Bin ich etwa alt geworden? Will mir Luclot damit andeuten, daß die Halbwesten für mich nicht mehr sind? Weshalb bekomme ich immer dieselbe elende Arbeit?«

      »Gnädigster Herr, Sie müssen Luclot den Abschied geben,« bemerkte Lancret.

      »Und wen nehmen?« fragte der Prinz. »Er ist der einzige, der Kleider zu machen versteht. Lulu, bei wem läßt du arbeiten?«

      Lorraine, der mit dem Spitznamen Lulu genannt wurde, kehrte sich zum Prinzen um und erwiderte: »Bei Colliot, gnädiger Herr.«

      »Hm, die Bestie!« murmelte der Prinz, »wenn er nicht gerade gefangen sitzt, will ich es mit ihm versuchen. Hast du den Marquis zu mir gerufen, Lulu?« –

      »Da kommt er eben.«

      Der Marquis von Rohan trat ein und machte die übliche Verbeugung. Der Prinz ging mit Lachen auf ihn zu. »Ach, du Närrchen,« rief er, indem er den Marquis an seinem Knebelbart zupfte, »was hast du gemacht, he? Was hast du mir gebracht? Welch eine Kastanie hast du mir da aus der Asche gezupft? Wie? Warst du es nicht, der mir sagte, die Prinzessin hätte ein niedliches Gesicht?«

      »Gewiß, gnädiger Herr,« – erwiderte der Gefragte.

      »O, seht doch! Ein niedliches Gesicht!« schrie der Prinz, indem er die Wange aufblies und zu seiner Umgebung eine Grimasse schnitt. »Das nennt der Herr ein niedliches Gesicht! Ei, mein Freund, ich möchte wissen, wie bei dir häßliche Weiber aussehen!«

      Die beiden Favoriten lachten, und der Marquis erwiderte nicht ohne Anflug von Empfindlichkeit: »Gnädiger Herr, als ich von dem niedlichen Gesichte der Prinzessin von der Pfalz sprach, war sie vier Jahre alt; jetzt ist sie neunzehn. Das ist ein Zeitraum, in welchem das hübscheste Gesicht Zeit hat, sich zu verändern.«

      »Da hast du recht, und gerade dieses Gesicht hat seine Zeit gut benutzt. Wahrlich, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, als ich dieses deutsche Schätzchen zum erstenmal erblickte, und nicht ohne Lachen konnte ich meine Worte: ›Das ist die schönste der Schönen!‹ beim Spiel aussprechen.«

      »Es ist wahr, Eure königliche Hoheit machten ein so spaßhaftes Gesicht, daß uns alle das Lachen ankam!« Dies sagte Lancret und lachte dabei aus vollem Halse; Lorraine stand abgewendet und bemühte sich mit der abgelegten Weste. Dem Prinzen fiel das Stummsein auf, und er fragte, ob Lulu vielleicht, wie gewöhnlich, anderer Meinung sei.

      Der junge Mann, der bildhübsch und kaum siebzehn Jahre zählte, fand für nötig, hier eine seiner Launen zur Geltung zu bringen. Ohne sich daher aus seiner Stellung, die halb abgewendet vom Prinzen war, zu bemühen, erwiderte er: »Ganz recht, wenn einer lacht, lachen die andern, ich aber lache nicht.«

      »Und weshalb nicht?« fragte der Herzog, indem er den Jüngling zwang, sich umzuwenden und ihm gerade gegenüberzustehen.

      »Weil ich das Mädchen hübsch finde.«

      »Ei, beim heiligen Denys! Das ist etwas anderes!« rief der Prinz. »Lulu findet sie hübsch, da muß sie es also wohl sein. Nun erkläre dich näher: worin besteht ihre Schönheit?«

      »In der Unähnlichkeit mit Ihnen, gnädiger


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