Liebestrommeln auf Haiti. Barbara Cartland
Kirks Nachricht von der Ermordung Philippe de Villarets machte Andrés Vater zum Oberhaupt der Familie, und als dieser 1803 starb, übernahm André seine Aufgabe, was ihm jedoch keinerlei materielle Vorteile einbrachte.
Damals hatte er begonnen, die Briefe seines Onkels sorgfältig zu studieren. Der letzte, kurze Zeit vor dem Massaker geschrieben, dem sein Onkel zum Opfer gefallen war, schien ihm besonders bedeutsam. Es hieß darin:
Hier wird es langsam bedrohlich. Ich höre täglich von neuen Ausschreitungen auf befreundeten Plantagen. Man ist nicht nur in Gefahr, sein Leben zu verlieren; sie foltern und schlachten die Männer ab wie Vieh; die Frauen werden vergewaltigt und kommen als Sklaven auf die Plantagen der neuen schwarzen Besitzer.
Wir schmieden Fluchtpläne und verwerfen sie, weil alles nutzlos ist. Wer ihre Aufmerksamkeit erregt, beschwört sein Schicksal möglicherweise früher herauf als ihm lieb ist. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch wir an der Reihe sind. '
Dann folgte der entscheidende Satz, den André wieder und wieder gelesen hatte:
,Ich lege meine Hoffnung in den Boden dieser Insel und vertraue mein Wohl dem Schutz und Schirm des Allerhöchsten.’
„Damit”, so vermutete André gegenüber Kirk, „wollte Onkel Philippe meinen Vater wissen lassen, daß er sein Vermögen in der Nähe einer Kirche vergraben hatte.”
„Mag sein”, erwiderte Kirk. „Alle Siedler haben Geld und Wertsachen irgendwo vergraben. Dessalines ist mächtig scharf auf alles und foltert sie entweder so lange, bis sie das Versteck verraten, oder sucht selbst, bis er es gefunden hat. Seine Schatzkammern sollen voll sein von Dingen, die er auf diese Weise an sich gebracht hat. Allein aus Jeremie hat er fünfundzwanzig mit Beute beladene Maultiere wegführen lassen. In Aux Cayes soll es noch viel mehr gewesen sein, das meiste davon hatten sie aus dem Boden gebuddelt.”
„Ich muß es versuchen”, erklärte André entschlossen. „Ich gelte nicht umsonst als unverbesserlicher Optimist.”
„Ein Optimist mit ausgesprochen geringer Lebenserwartung”, entgegnete Kirk. „Es wird dir ergehen wie Tausenden deiner Landsleute.” Dann lachte er. „Zum Glück siehst du wenigstens nicht aus wie ein Franzose! Dafür bist du um einiges zu groß.”
„Du vergißt, daß meine Mutter Engländerin ist”, wandte André ein.
Zweifellos schien die Gräfin ihrem Sohn die männlichen Eigenschaften ihrer Familie vererbt zu haben. André hatte das schwarze Haar und die dunklen Augen seines Vaters, aber die in der Familie seiner Mutter übliche Länge. Breite Schultern, schmale Hüften und ein durchtrainierter Körper waren ideale Voraussetzungen, um in der Umgebung des Prinzen von Wales eine Rolle zu spielen.
André schien außerdem über ein gewisses Maß an Körperkräften zu verfügen, die aber, wie Kirk mit Bedauern feststellte, kaum ausreichen würden, auf Haiti seine weiße Haut zu retten.
Er blickte wieder durch das Bullauge und sagte: „Wenn wir Glück haben, kommt Jacques Dejean an Bord, sobald er unser Schiff einlaufen sieht. Er erwartet mich schon seit zwei Monaten.”
„Du scheinst überall Freunde zu haben”, meinte André leicht spöttisch.
„In meinem Beruf kommt man ohne Freunde nicht aus.”
„Sag lieber, du brauchst Spione, die dir zutragen, was vorgeht, aber nichts für ungut. Solange deine Freunde auch mir nützlich sind, soll mir alles recht sein.”
„Du bist reichlich egoistisch”, antwortete Kirk lachend.
Er kannte André so weit, um zu wissen, daß er alles andere hintenanstellen würde, wenn es um die Verfolgung eines Ziels ging.
Kirk verließ die Kabine. André blieb mit dem in seiner Familie wohl bekannten verbissenen Gesicht zurück, das er aufzusetzen pflegte, wenn er zum Äußersten entschlossen war. Er hatte diese Reise nicht nur gegen den Widerstand seiner Mutter angetreten und sie stündlich neu gegenüber Kirk verteidigt, sondern wußte selbst sehr wohl, auf was er sich eingelassen hatte.
Die Revolution der Sklaven auf Haiti, die Tatsache, daß die Stadt Le Cap in Flammen aufgegangen war, als General Ledere versucht hatte, dort zu landen, sein Tod am Gelbfieber und der erneute Ausbruch des französisch-britischen Krieges war für alle Franzosen ein Schock gewesen, obwohl sie nach der Art, wie sie ihre Sklaven behandelten, früher oder später damit hatten rechnen müssen.
Die Sklaven besaßen in Dessalines und Henri Christophe zwei hervorragende Anführer. Mochte Dessalines auch ein Ungeheuer sein, so war er doch ein tapferer Soldat und unerschrockener Kämpfer. Der gemäßigtere Christophe hatte seinen ganzen Einfluß geltend gemacht und wenigstens einigen Franzosen das Leben gerettet, vor allem Ärzten und Priestern, die sich den Schwarzen gegenüber stets loyal verhalten und sie als Menschen behandelt hatten.
André holte tief Luft.
„Wenn ich sterben soll, sterbe ich!” sagte er verbissen zu sich selbst. „Hier ist schon so viel französisches Blut geflossen, daß es auf ein paar Tropfen mehr nicht ankommt. Die Sache ist den Einsatz wert.”
Die Kabinentür flog auf. Der Mann, der hinter Kirk die Kabine betrat, mußte Dejean sein. In England hätte André ihn allenfalls für braungebrannt gehalten. Seine verdächtig krausen Haare und die schwarzen Augen jedoch ließen keinen Zweifel daran, daß es sich um einen Mulatten handelte. Seine Kleidung stand derjenigen der beiden anderen Männer in nichts nach. Die tadellos sitzende Musselinkrawatte war elegant gebunden und der nur um eine Spur zu leuchtend blaue Rock saß fast zu tadellos.
„Jacques”, sagte Kirk, „darf ich dir meinen Freund André vorstellen? Er braucht deine Hilfe, und ich habe ihm versprochen, daß du ihm jede nur mögliche Unterstützung gewähren wirst.”
„Deine Freunde sind auch meine Freunde”, antwortete der Mulatte. „Du weißt, daß ich alles für dich tun würde.”
Das klang glaubwürdig. André hatte den Eindruck, daß dem Mann zu trauen war. Als hätte er Andrés Zustimmung heischenden Blick verstanden, erklärte Kirk: „Ich habe Jacques in einem Sturm auf See das Leben gerettet. Aus Dankbarkeit hat er mir seine Dienste angeboten, und er wird sein Wort halten, auch dir gegenüber.”
„So ist es”, bestätigte Jacques. „Was kann ich also für Sie tun, Monsieur?”
André und Kirk waren überrascht. Durch diese Anrede hatte Jacques unmißverständlich kundgetan, daß er in André den Franzosen erkannt hatte.
Kirk überzeugte sich davon, daß die Kabinentür geschlossen war, und sagte dann: „Sieht man meinem Freund seine Nationalität so deutlich an?”
„Ich bin ein guter Menschenkenner”, entgegnete der Mulatte. „Schon die Tatsache, daß er um meine Hilfe bittet und nicht bereit ist, sich an Deck zu zeigen, machte mich stutzig. Als ich ihn sah, war mir klar, daß er nicht Amerikaner sein konnte.”
André lachte. „Ich hatte die Absicht, mich als Engländer auszugeben, aufgrund der Tatsache, daß mein Blut zur Hälfte englisch ist.”
„Mein Blut ist zur Hälfte weiß”, antwortete Jacques, „trotzdem haben mich die Weißen nie als ihresgleichen betrachtet, außer wenn sie meine Dienste benötigten.”
„Gut. Ich gebe zu, daß ich Franzose bin. Mein Name ist André de Villaret.”
Der Mulatte zögerte. Dann sagte er: „Sind Sie mit den de Villarets verwandt, deren Plantage im Tal der Black Mountains lag?”
„Ja.”
„Sie sind alle tot.”
„Das weiß ich seit zwei Jahren. Kirk hat es mir gesagt.”
„Warum sind Sie dann hergekommen?”
André beschloß, ihm klaren Wein einzuschenken.
„Weil ich glaube, daß mein Onkel Geld und andere Wertsachen auf seinem Besitz vergraben hat. Da ich der einzige