August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August

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       Inhaltsverzeichnis

      Wir leben im Zeitalter einer großen sozialen Umwälzung, die mit jedem Tage weitere Fortschritte macht. Eine stets stärker werdende Bewegung und Unruhe der Geister macht sich in allen Schichten der Gesellschaft bemerkbar und drängt nach tiefgreifenden Umgestaltungen. Alle fühlen, daß der Boden schwankt, auf dem sie stehen. Eine Menge Fragen sind aufgetaucht, die immer weitere Kreise beschäftigen, über deren Lösung für und wider gestritten wird. Eine der wichtigsten dieser Fragen, die immer mehr in den Vordergrund tritt, ist die Frauenfrage.

      Bei dieser handelt es sich um die Stellung, welche die Frau in unserem sozialen Organismus einnehmen soll, wie sie ihre Kräfte und Fähigkeiten nach allen Seiten entwickeln kann, damit sie ein volles, gleichberechtigtes und möglichst nützlich wirkendes Glied der menschlichen Gesellschaft werde. Von unserem Standpunkt fällt diese Frage zusammen mit der Frage, welche Gestalt und Organisation die menschliche Gesellschaft sich geben muß, damit an Stelle von Unterdrückung, Ausbeutung, Not und Elend die physische und soziale Gesundheit der Individuen und der Gesellschaft tritt. Die Frauenfrage ist also für uns nur eine Seite der allgemeinen sozialen Frage, die gegenwärtig alle denkenden Köpfe erfüllt und alle Geister in Bewegung setzt; sie kann daher ihre endgültige Lösung nur finden durch die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze und Beseitigung der aus diesen hervorgehenden Übel.

      Dennoch ist notwendig, die Frauenfrage speziell zu behandeln. Einmal berührt die Frage, wie die Stellung der Frau früher war, gegenwärtig ist und künftig sein wird, wenigstens in Europa die größere Hälfte der Gesellschaft, weil das weibliche Geschlecht die größere Hälfte der Bevölkerung bildet. Auch sind die Vorstellungen über die Entwicklung, welche die gesellschaftliche Stellung der Frau im Laufe der Jahrtausende erfahren hat, so wenig der Wirklichkeit entsprechend, daß Aufklärung hierüber eine Notwendigkeit ist. Beruht doch auf der Nichtkenntnis und dem Nichtverständnis der Lage der Frau ein gut Teil der Vorurteile, mit welchen in den verschiedensten Kreisen und nicht zuletzt im Kreise der Frauen selbst, die immer stärker werdende Bewegung betrachtet wird. Viele behaupten sogar, es gebe keine Frauenfrage, denn die Stellung, welche bisher die Frau eingenommen habe und auch in Zukunft einnehmen solle, sei durch ihren »Naturberuf«, der sie zur Gattin und Mutter bestimme und auf die Häuslichkeit beschränke, gegeben. Was jenseits ihrer vier Pfähle oder nicht im engsten Zusammenhang mit ihren häuslichen Pflichten vorgehe, berühre sie nicht.

      Es stehen sich also in der Frauenfrage ebenso wie in der allgemeinen sozialen Frage, in der die Stellung der Arbeiterklasse in der Gesellschaft die Hauptrolle spielt, verschiedene Parteien gegenüber. Jene, die alles beim alten lassen wollen, sind mit der Antwort rasch bei der Hand und glauben die Sache damit abgetan, daß sie die Frau auf ihren »Naturberuf« verweisen. Sie sehen nicht, daß Millionen Frauen gar nicht in der Lage sind, den ihnen vindizierten »Naturberuf« als Hauswirtinnen, Kindergebärerinnen und Kindererzieherinnen zu erfüllen, aus Gründen, die ausführlich entwickelt werden sollen, daß Millionen andere diesen Beruf zu einem guten Teile verfehlt haben, weil die Ehe für sie zum Joch und zur Sklaverei wurde, und sie in Elend und Not ihr Leben dahinschleppen müssen. Das kümmert freilich diese »Weisen« ebensowenig wie die Tatsache, daß Millionen Frauen in den verschiedensten Lebensberufen, oft in unnatürlicher Weise und weit über das Maß ihrer Kräfte, sich abrackern müssen, um das nackte Leben zu fristen. Sie verschließen vor dieser unliebsamen Tatsache ebenso Augen und Ohren wie vor dem Elend des Proletariers, indem sie sich und andere trösten, daß es »ewig« so gewesen sei und »ewig« so bleiben werde. Daß die Frau das Recht hat, an den Kulturerrungenschaften unserer Zeit vollen Anteil zu nehmen, sie für die Erleichterung und Verbesserung ihrer Lage auszunutzen, und alle ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu entwickeln und zu ihrem Besten anzuwenden so gut wie der Mann, davon wollen sie nichts wissen. Und sagt man ihnen noch, daß die Frau auch ökonomisch unabhängig sein müsse, um es körperlich und geistig zu sein, damit sie nicht mehr von dem Wohlwollen und der Gnade des anderen Geschlechts abhängig ist, dann hat ihre Geduld ein Ende, ihr Zorn entbrennt und es folgt ein Strom heftiger Anklagen über die »Verrücktheit der Zeit« und »ihre wahnwitzigen emanzipatorischen Bestrebungen«.

      Dieses sind die Philister männlichen und weiblichen Geschlechts, die sich aus dem engen Kreise ihrer Vorurteile nicht herausfinden können. Es ist das Geschlecht der Käuzchen, das überall ist, wo Dämmerung herrscht, und erschreckt aufschreit, sobald ein Lichtstrahl in das ihm behagliche Dunkel fällt.

      Ein anderer Teil der Gegner der Bewegung kann allerdings vor den laut redenden Tatsachen die Augen nicht verschließen; er gibt zu, daß in keinem früheren Zeitalter ein großer Teil der Frauen im Vergleich zur gesamten Kulturentwicklung sich in so unbefriedigender Lage befunden hat als gegenwärtig, und daß deshalb es notwendig sei, zu untersuchen, wie man ihre Lage hebe, insofern sie auf sich selbst angewiesen bleiben. Dagegen erscheint diesem Teil der Gegner für jene Frauen, die in den Hafen der Ehe eingelaufen sind, die soziale Frage gelöst.

      Dieser Teil verlangt deshalb, daß der unverheirateten Frau diejenigen Arbeitsgebiete, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten sich eignen, erschlossen werden, damit sie mit dem Manne in den Wettbewerb eintreten könne. Manche gehen noch weiter und fordern, der Wettbewerb solle nicht auf das Gebiet der niederen Beschäftigungs- und Berufsarten beschränkt bleiben, sondern solle sich auch auf die höheren Berufe, die Gebiete der Kunst und Wissenschaft, erstrecken; sie fordern die Zulassung der Frauen zum Studium auf allen höheren Bildungsanstalten, namentlich auch zu den Universitäten. Man befürwortet ferner die Zulassung zu Anstellungen im Staatsdienst (Post, Telegraphie, Eisenbahndienst), und zwar mit Hinweis auf die Resultate, die besonders in den Vereinigten Staaten durch Frauen erzielt wurden. Der eine und der andere stellt auch die Forderung, politische Rechte den Frauen zu gewähren. Die Frau sei so gut Mensch und Staatsangehöriger als der Mann, und die bisherige ausschließliche Handhabung und Gesetzgebung durch die Männer beweise, daß diese ihr Privilegium nur zu ihren Gunsten ausbeuteten und die Frau in jeder Beziehung bevormundeten, was verhindert werden müsse.

      Das Bemerkenswerte an diesen hier kurz gekennzeichneten Bestrebungen ist, daß sie über den Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung nicht hinausgreifen. Die Frage wird nicht aufgeworfen: ob damit für die Lage der Frauen im allgemeinen etwas Wesentliches und Durchgreifendes erreicht sei. Auf dem Boden der bürgerlichen, das heißt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung stehend, betrachtet man die bürgerliche Gleichberechtigung von Mann und Frau als endgültige Lösung der Frage. Man ist sich nicht bewußt, oder täuscht sich darüber hinweg, daß, soweit die ungehinderte Zulassung der Frau zu den gewerblichen und industriellen Berufen in Frage kommt, tatsächlich dieses Ziel erreicht ist und seitens der herrschenden Klassen die kräftigste Förderung in ihrem eigenen Interesse findet. Unter den gegebenen Verhältnissen muß aber die Zulassung der Frauen zu allen industriellen und gewerblichen Tätigkeiten die Wirkung haben, daß der Konkurrenzkampf der Arbeitskräfte immer schärfer wird, und das Schlußergebnis ist: Herabdrückung des Einkommens für die weibliche und für die männliche Arbeitskraft, bestehe dieses in der Form von Lohn oder Gehalt.

      Daß diese Lösung nicht die rechte sein kann, ist klar. Die volle bürgerliche Gleichstellung der Frau ist nicht bloß das letzte Ziel der Männer, die diesen Frauenbestrebungen auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung freundlich gegenüberstehen, sondern es wird auch von den in der Bewegung tätigen bürgerlichen Frauen als solches anerkannt. Sie und die ihnen gleichgesinnten Männer stehen also mit ihren Forderungen im Gegensatz zu dem Teil der Männerwelt, der aus philiströser Beschränktheit, und soweit die Zulassung der Frauen zum höheren Studium und den besser bezahlten öffentlichen Stellen in Frage kommt, aus niedrigem Eigennutz und Konkurrenzfurcht der Bewegung feindlich gesinnt ist, aber ein Klassengegensatz, wie zwischen der Arbeiter- und Kapitalistenklasse, besteht nicht.

      Nimmt man an, daß die bürgerliche Frauenbewegung alle ihre Forderungen für Gleichberechtigung mit den Männern durchsetzte, so wäre damit weder die Sklaverei, was für unzählige Frauen die heutige Ehe ist, noch die Prostitution, noch die materielle Abhängigkeit der großen Mehrzahl der Ehefrauen von ihren Eheherren aufgehoben. Für die große Mehrzahl der Frauen ist es auch gleichgültig, ob einige Tausend ihrer Geschlechtsgenossinnen, die den günstiger


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