August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August

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oder Beamtenlaufbahn gelangen. Hierdurch wird an der Gesamtlage des Geschlechts nichts geändert.

      Das weibliche Geschlecht in seiner Masse leidet in doppelter Beziehung: einmal leidet es unter der sozialen und gesellschaftlichen Abhängigkeit von der Männerwelt – diese wird durch formale Gleichberechtigung vor den Gesetzen und in den Rechten zwar gemildert, aber nicht beseitigt –, und durch die ökonomische Abhängigkeit, in der sich die Frauen im allgemeinen und die proletarischen Frauen im besonderen, gleich der proletarischen Männerwelt befinden.

      Daraus ergibt sich, daß alle Frauen ohne Unterschied ihrer sozialen Stellung, als ein durch unsere Kulturentwicklung von der Männerwelt beherrschtes und benachteiligtes Geschlecht, das Interesse haben, diesen Zustand soweit als möglich zu beseitigen durch Änderungen in den Gesetzen und Einrichtungen der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. Die enorme Mehrheit der Frauen ist aber auch aufs lebhafteste dabei interessiert, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung von Grund aus umzugestalten, um sowohl die Lohnsklaverei, unter der das weibliche Proletariat am meisten schmachtet, wie die Geschlechtssklaverei, die mit unseren Eigentums- und Erwerbszuständen aufs innigste verknüpft ist, zu beseitigen.

      Die in der bürgerlichen Frauenbewegung stehenden Frauen begreifen die Notwendigkeit einer solchen radikalen Umgestaltung nicht. Beeinflußt von ihrer bevorzugteren Stellung, sehen sie in der weitergehenden proletarischen Frauenbewegung gefährliche und nicht zu billigende Bestrebungen, die sie zu bekämpfen haben. Der Klassengegensatz, der zwischen der Kapitalisten- und Arbeiterklasse klafft und sich bei der Zuspitzung unserer Verhältnisse immer schroffer entwickelt, ist also auch innerhalb der Frauenbewegung vorhanden.

      Immerhin haben die feindlichen Schwestern weit mehr als die im Klassenkampf gespaltene Männerwelt eine Reihe Berührungspunkte, in der sie, getrennt marschierend, aber vereint schlagend, den Kampf führen können. Das ist auf allen Gebieten der Fall, auf welchen die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, auf dem Boden der gegenwärtigen Staats- und Gesellschaftsordnung, in Frage kommt: also die Betätigung des Weibes auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen, und für die volle zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Das sind sehr wichtige und, wie sich zeigen wird, sehr umfangreiche Gebiete. Daneben hat die proletarische Frauenwelt das besondere Interesse, Hand in Hand mit der proletarischen Männerwelt für alle Maßregeln und Einrichtungen zu kämpfen, welche die arbeitende Frau vor physischer und moralischer Degeneration schützen und ihr die Fähigkeiten als Mutter und Erzieherin der Kinder sichern. Des weiteren hat die Proletarierin gemeinsam mit ihren männlichen Klassen- und Schicksalsgenossen den Kampf für eine Umwandlung der Gesellschaft von Grund aus aufzunehmen, um einen Zustand herbeizuführen, der die volle ökonomische und geistige Unabhängigkeit beiden Geschlechtern durch entsprechende soziale Einrichtungen ermöglicht.

      Es handelt sich also nicht nur darum, die Gleichberechtigung der Frau mit dem Manne auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, was das Ziel der bürgerlichen Frauenbewegung ist, sondern darüber hinaus alle Schranken zu beseitigen, die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht von dem anderen, abhängig machen. Diese Lösung der Frauenfrage fällt mit der Lösung der sozialen Frage zusammen. Es muß daher, wer die Lösung der Frauenfrage in vollem Umfange erstrebt, mit jenen Hand in Hand gehen, welche die Lösung der sozialen Frage als Kulturfrage für die gesamte Menschheit auf ihre Fahne geschrieben haben, das sind die Sozialisten.

      Von allen Parteien ist die sozialdemokratische Partei die einzige, welche die volle Gleichberechtigung der Frau, ihre Befreiung von jeder Abhängigkeit und Unterdrückung in ihr Programm aufgenommen hat, nicht aus agitatorischen Gründen, sondern aus Notwendigkeit. Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichheit der Geschlechter.

      Mit den hier dargelegten Grundanschauungen dürften alle Sozialisten mit uns einverstanden sein. Das kann aber nicht gesagt werden von der Art und Weise, wie wir die Endziele uns verwirklicht denken, das heißt, wie die Maßnahmen und Einzeleinrichtungen beschaffen sein sollen, welche die erstrebte Unabhängigkeit und Gleichberechtigung aller begründen.

      Sobald man den Boden der Wirklichkeit verläßt und sich auf die Schilderung von Zukunftsgebilden einläßt, ist der Spekulation ein weites Feld eingeräumt. Der Meinungsstreit beginnt über das, was wahrscheinlich oder nicht wahrscheinlich ist. Es kann daher das, was in dieser Beziehung in diesem Buche dargelegt wird, nur als die persönliche Auffassung des Verfassers angesehen werden, und sind deshalb auch etwaige Angriffe nur gegen seine Person zu richten; die Verantwortung für das Gesagte trägt er allein.

      Angriffe, die objektiv und aufrichtig gemeint sind, werden uns willkommen sein, Angriffe, die in wahrheitswidriger Weise den Inhalt dieses Buches darstellen oder auf falschen Unterstellungen beruhen, werden wir mit Schweigen übergehen. Im übrigen sollen in den folgenden Ausführungen alle Konsequenzen gezogen werden, die das Ergebnis der Prüfung der Tatsachen zu ziehen fordert. Vorurteilslosigkeit ist das erste Erfordernis für die Erkenntnis der Wahrheit, und rücksichtsloses Aussprechen dessen, was ist und werden muß, führt allein zum Ziel.

      Erstes Kapitel

       Die Stellung der Frau in der Urgesellschaft

      1. Hauptepochen der Urgeschichte

       Inhaltsverzeichnis

      Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein. Die Formen dieser Unterdrückung haben im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen Ländern gewechselt, aber die Unterdrückung blieb. Die Erkenntnis, unterdrückt zu sein, ist auch im Laufe der geschichtlichen Entwicklung öfter den Unterdrückten zum Bewußtsein gekommen und führte zu Änderungen und Milderungen ihrer Lage, aber eine Erkenntnis, die das eigentliche Wesen dieser Unterdrückung in ihren Ursachen erfaßte, ist bei der Frau wie bei dem Arbeiter erst das Resultat unserer Tage. Es mußte erst das eigentliche Wesen der Gesellschaft und die Gesetze, die ihrer Entwicklung zugrunde liegen, erkannt werden, ehe eine Bewegung für die Beseitigung der für ungerecht erkannten Zustände mit Aussicht auf Erfolg Platz greifen konnte. Der Umfang und die Tiefe einer solchen Bewegung hängen aber ab von dem Maße von Einsicht, das in den benachteiligten Schichten verbreitet ist, und von dem Maße von Bewegungsfreiheit, das sie besitzen. In beiden Beziehungen steht die Frau sowohl durch Sitte und Erziehung wie in der ihr gewährten Freiheit hinter dem Arbeiter zurück. Ein anderer Umstand ist: Zustände, die eine lange Reihe von Generationen dauern, werden schließlich zur Gewohnheit, und Vererbung und Erziehung lassen sie beiden Teilen als »naturgemäß« erscheinen. Daher nimmt noch heute insbesondere die Frau ihre untergeordnete Stellung als etwas Selbstverständliches hin, und es ist nicht leicht, ihr klarzumachen, daß diese eine unwürdige ist und sie dahin streben müsse, ein dem Manne gleichberechtigtes, in jeder Beziehung ebenbürtiges Glied der Gesellschaft zu werden.

      So viel Gleichartiges aber in der Stellung der Frau und des Arbeiters sich nachweisen läßt, die Frau hat gegenüber dem Arbeiter das eine voraus: sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte.

      Alle soziale Abhängigkeit und Unterdrückung wurzelt in der ökonomischen Abhängigkeit des Unterdrückten vom Unterdrücker. In dieser Lage befindet sich von früher Zeit an die Frau, das zeigt uns die Geschichte der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.

      Die Kenntnis dieser Entwicklung ist allerdings eine vergleichsweise neue. So wenig der Mythos von der Erschaffung der Welt, wie ihn die Bibel lehrt, aufrechterhalten werden konnte gegenüber den auf unbestreitbare und zahllose Tatsachen gestützten Forschungen der Erd-, Natur- und Geschichtskunde, ebensowenig haltbar erwies sich ihr Mythos von der Erschaffung und Entwicklung des Menschen. Zwar sind noch nicht alle Partien in dieser Entwicklungsgeschichte aufgeklärt, und über manche, die schon aufgehellt wurden, bestehen noch Meinungsverschiedenheiten unter den Forschern über die Bedeutung und den Zusammenhang dieser und jener Erscheinung, aber im großen und ganzen besteht Klarheit und Übereinstimmung. Es steht fest, daß der Mensch nicht, wie vom ersten Menschenpaar der Bibel behauptet wird, als Kulturmensch auf die Erde kam, sondern


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