Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?. Thomas Röper
so.
Ja, die USA entwickeln angeblich keine Angriffswaffen, zumindest weiß die Öffentlichkeit davon nichts, obwohl sie bestimmt etwas entwickeln. Wir wollen jetzt auch gar nicht danach fragen, wir wissen, dass die Entwicklungen laufen. Aber wir tun jetzt mal so, als wüssten wir das gar nicht. Sie entwickeln also nichts.
Aber was wissen wir? Wir wissen, dass in den USA aktiv ein Raketenabwehrsystem entwickelt und es teilweise schon eingeführt wird. Ja, heute ist es noch nicht effektiv und wir wissen nicht, ob es überhaupt je effektiv funktionieren wird. Aber theoretisch wird es ja geschaffen, um irgendwann effektiv zu funktionieren.
Also gehen wir rein hypothetisch davon aus, dass es irgendwann funktionieren wird und dann kommt der Moment, in dem die Bedrohung durch unsere Atomwaffen vollständig neutralisiert sein wird. Also durch die heutigen Atomwaffen Russlands. Und wenn das passiert, bedeutet das, dass das Gleichgewicht der Kräfte komplett gestört ist und dass eine der beiden Seiten ein Gefühl von völliger Sicherheit hat. Das wiederum bedeutet, dass sie dann freie Hand nicht nur in lokalen Konflikten hat, sondern auch möglicherweise in globalen Konflikten.
Wir diskutieren hier ja nur, ich will niemandem irgendeine Aggression unterstellen. Aber das System der Beziehungen ist wie Mathematik, da zählen persönliche Gefühle nicht. Und wir müssen irgendwie reagieren.
Wie? Entweder wir machen es wie Sie und bauen ein Multi-Milliarden teures Raketenabwehrsystem oder wir reagieren im Hinblick auf unsere wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten asymmetrisch. Damit alle dann verstehen: Ja, die USA haben ein Raketenabwehrsystem, aber in Bezug auf Russland ist es sinnlos, weil wir dann solche Waffen haben, die ihm mit Leichtigkeit ausweichen können. Und den Weg gehen wir, das ist billiger für uns.
Aber das ist auf keinen gegen Fall gegen die USA gerichtet. Ich bin vollkommen Ihrer Meinung: Wenn Ihr Raketenabwehrsystem nicht gegen uns gerichtet ist, dann sind unsere neuen Waffen auch nicht gegen Sie gerichtet.
Diese Situation haben wir heute. Russland hat 2018 eine ganze Reihe neuer hochmoderner Raketen vorgestellt, die in der Lage sind, der amerikanischen Raketenabwehr auszuweichen. Zumindest gegen russische Raketen wird es nutzlos sein, wenn Russland die neuen Waffen im großen Stil eingeführt hat.
Zu den Nichtregierungsorganisationen. Ja, wir haben neue Regeln für ihre Registrierung eingeführt, die sich aber kaum von dem unterscheiden, was es in anderen Ländern gibt. Wir haben niemandem die Registrierung verwehrt. Es gibt noch zwei oder drei Fälle, wo es Probleme mit Formalitäten gibt und die betroffenen Organisationen arbeiten an kleinen Änderungen ihrer Satzung und so weiter. Aber im Kern haben wir niemandem die Registrierung verweigert, sie arbeiten alle und werden weiter arbeiten.
Was macht uns Sorgen? Das kann ich sagen und ich denke, es wird für alle verständlich sein. Wenn Nichtregierungsorganisationen von Regierungen finanziert werden, dann sehen wir in ihnen ein Instrument anderer Staaten, Politik in unserem Land zu machen. Das ist das eine, das andere ist, dass es in allen Ländern bestimmte Regeln zum Beispiel für die Wahlkampffinanzierung gibt. Und durch Nichtregierungsorganisationen, die von anderen Regierungen finanziert werden, läuft auch die Finanzierung von Wahlkämpfen.
Was soll das? Ist das normal für eine Demokratie, oder wie? Das ist eine vor der Gesellschaft verdeckte Finanzierung. Was ist daran demokratisch? Können Sie mir das sagen? Nein. Können Sie nicht, weil das keine Demokratie ist.
Das ist der Einfluss eines Staates auf die Politik eines anderen Staates. Wir sind aber interessiert an der Entwicklung unserer Zivilgesellschaft, die die Regierung beschimpft, kritisiert und ihr hilft, die eigenen Fehler zu erkennen und ihre Politik im Interesse der Menschen zu korrigieren. Daran sind wir interessiert und wir werden die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen dabei unterstützen.
Interessant ist, dass ausgerechnet die USA als das Land, das sich jegliche Einmischung in seine Wahlen und Politik strikt verbittet, sich beschwert, wenn andere Länder auch nur den Versuch machen, ihre Politik vor äußeren Einflüssen abzuschirmen.
Hinzu kommt, dass das Gesetz über die Registrierung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Russland letztlich eine Kopie des Foreign Agents Registration Act (FARA) ist, eines Gesetzes also, das die USA schon 1938 eingeführt haben und das die politische Tätigkeit ausländischer Personen oder Organisationen in den USA stark behindert. Auch dazu werden wir später noch einiges mehr lesen.
UNO 2015
Diese dritte berühmte internationale Rede hielt Putin vor der Vollversammlung der UNO nur wenige Tage, bevor Russland in den Syrienkrieg eingriff.
Er hatte dem Westen und vor allem den USA zuvor bereits deutlich – aber von den westlichen Medien nicht erwähnt – vorgeworfen, den Islamischen Staat (IS) in Wirklichkeit nicht zu bekämpfen, sondern als Instrument zum Sturz Assads zu missbrauchen. Unabhängig davon, ob diese Sichtweise stimmt, stellte Putin wichtige Fragen. Er fragte, warum die USA gegen alles und jeden Sanktionen und Kontosperrungen erwirken können, aber für den IS weiterhin das Geld sprudelte. Er fragte, warum der IS das Öl aus eroberten syrischen Ölquellen in langen Tanklaster-Konvois über die Grenze der Türkei fahren und dort verkaufen konnte, ohne dass jemand diese Konvois jemals angriff oder behinderte.
Als Russland in Syrien schließlich eingriff, bombardierte es als erstes eben diese Tanklaster-Konvois und schnitt dem IS innerhalb von Tagen seine wichtigste Einnahmequelle ab, und man fragt sich tatsächlich, warum der Westen dies in den vier Jahren zuvor nicht selbst getan hat, wenn er doch den IS bekämpfte.
Russland gelang es, den IS in Syrien innerhalb von zwei Jahren weitgehend zu besiegen.
Diese Rede war eine noch deutlichere Abrechnung mit der Politik der USA, als es die Rede von München gewesen ist. Putin begann mit einer historischen Rückschau auf die Geschichte der UNO.
Das 70. Jubiläum der Vereinten Nationen ist ein guter Anlass, um sowohl über die Geschichte als auch über unsere gemeinsame Zukunft zu sprechen. Im Jahr 1945 haben die Staaten, die den Nazismus besiegt haben, ihre Anstrengungen vereinigt, um feste Grundlagen für die Nachkriegsordnung zu schaffen. Ich erinnere daran, dass die wichtigsten Entscheidungen über die Prinzipien der Zusammenarbeit von Staaten und über die Gründung der UNO in unserem Land getroffen wurden, bei der Jalta-Konferenz der Anführer der Anti-Hitler-Koalition. Das System von Jalta war wirklich mit viel Leid und dem Leben von Dutzenden Millionen Menschen bezahlt worden, mit zwei Weltkriegen, die den Planeten im 20. Jahrhundert heimgesucht haben und, wenn wir objektiv sind, half die UNO der Menschheit, das turbulente und oft dramatische Geschehen der letzten 70 Jahre zu überstehen und bewahrte die Welt vor weitreichenden Erschütterungen.
Die Vereinten Nationen sind eine Struktur, für die es im Hinblick auf Legitimität, Repräsentativität und Universalität nichts Vergleichbares gibt. Ja, an der UNO gibt es in letzter Zeit viel Kritik. Sie sei nicht effizient genug, und das Treffen von prinzipiellen Entscheidungen stoße auf unüberwindbare Widersprüche, vor allem zwischen Mitgliedern des Sicherheitsrats.
Allerdings möchte ich anmerken, dass es in der UNO immer Differenzen gab, im Verlauf der gesamten 70 Jahre ihrer Existenz. Das Vetorecht wurde immer verwendet, sowohl von den Vereinigten Staaten als auch von Großbritannien, von Frankreich, von China und von der UdSSR, später von Russland. Das ist völlig natürlich für eine derart vielfältige und repräsentative Organisation. Bei der Gründung der UNO war es auch nicht geplant, dass hier Einigkeit herrschen würde. Das Wesen dieser Organisation besteht eigentlich in der Suche und der Ausarbeitung von Kompromissen, ihre Stärke ist die Berücksichtigung der verschiedenen Meinungen und Sichtweisen.
Die bei der UNO diskutierten Lösungen werden in Form von Resolutionen miteinander abgestimmt – oder eben nicht; wie Diplomaten sagen: Sie kommen entweder durch oder nicht. Und alle Handlungen eines jeden Staates, der diese Ordnung umgeht, sind illegitim und widersprechen der Charta der Vereinten Nationen sowie dem Völkerrecht.
Wir alle wissen, dass in der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges ein einziges Zentrum der Dominanz entstanden ist. Und dann entstand bei denen, die an der Spitze dieser Pyramide standen, die Verführung zu denken, dass, wenn sie so stark und exzeptionell sind, sie besser als alle anderen wissen, was