MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon
Wichtigste zuerst.« Ramsendell trank einen Schluck Tee und drehte die Tasse zwischen seinen Händen hin und her. »Ich möchte mich nochmals bedanken, dass Ihr so schnell gekommen seid, aber ich denke, dass Curtis und ich zuerst etwas mehr über die Herrald Vertretung, Eure Nachforschungsstelle, hören möchten, bevor wir uns auf mehr einlassen.«
Matthew nickte und schwieg, während Greathouse die nächsten fünf Minuten über die Geschichte und den Zweck der Herrald Vertretung sprach. Er betonte ihre hohen Maßstäbe und die Erfolge im Bereich der Problemlösung. Er zählte Fälle auf, in denen Juwelen, Kunstgegenstände, gestohlene Gerichtsdokumente, vermisste Personen und gefälschte Diplomatenpapiere wiedergefunden worden waren und erwähnte auch ein versuchtes Attentat in London, das er im Dezember höchstpersönlich vereitelt hatte. »Ich muss die Gentlemen aber darüber in Kenntnis setzen«, schloss er, »dass unsere auf diesen zahlreichen Erfahrungen beruhenden Fähigkeiten nicht billig sind. Unsere Zeit ist wertvoll, genau wie Ihre. Für Nachforschungen stellen wir eine Grundgebühr in Rechnung und müssen auch alle Spesen vergütet bekommen. Die Gebühr hängt natürlich von der Art der Aufgabe ab.«
»Stellt Ihr auch in Rechnung, Euch die Details des Problems anzuhören?«, fragte Hulzen, der bereits seine zweite Pfeife paffte.
»Nein, Sir«, sagte Greathouse. »Wir stellen einen Vertrag auf und berechnen unsere Leistungen dementsprechend.«
Die beiden Ärzte schwiegen. Matthew trank seinen Apfelmost aus und wartete, dass sie etwas sagten. Hulzen starrte zur Decke hoch und rauchte, während Ramsendell auf der Tischplatte die Finger verschränkte.
»Wir sind uns nicht sicher, dass Ihr uns behilflich sein könnt«, sagte Ramsendell schließlich. »Ganz und gar nicht sicher.«
»Ihr müsst zumindest gedacht haben, dass wir helfen können.« Greathouse lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sodass die Beine knackten. »Wir sind einen weiten Weg gekommen. Wir würden zumindest gern hören, worum es geht.«
Ramsendell hob an zu sprechen und warf Hulzen einen Blick zu. Der sog noch einmal an seiner Pfeife, stieß einen dünnen Rauchfaden aus und sagte: »Wir haben einen jungen Mann – einen Einwohner von Westerwicke –, der für uns nach New York reitet und in der Smith Street Apotheke Arzneien kauft. Seine letzte Reise war Donnerstag gewesen. Er hat in Eurer Stadt in einem Gasthaus übernachtet und ist Freitag zurückgekommen. Er hat etwas mitgebracht, das … nun ja …« Er sah Ramsendell an, als ob der nun weitersprechen sollte.
»Er hat in einer Schänke gefrühstückt«, sagte Ramsendell. »Und hat uns eine Eurer Zeitungen mitgebracht.«
»Den Ohrenkneifer?«, fragte Matthew.
»Genau den.« Ramsendell rang sich ein schmallippiges Lächeln ab, das schnell verflog. »Wir haben eine Patientin hier, die sich gern vorlesen lässt. Eine besondere Patientin, könnte man wohl sagen.«
Greathouse spannte die Muskeln an. »Besonders? Inwiefern?«
»Oh, sie ist ganz und gar nicht gewalttätig. Sie ist sogar extrem fügsam. Die anderen nennen sie die Königin.«
»Die Königin?« Matthew erinnerte sich, dass Jacob das Wort draußen benutzt hatte.
»Ganz genau.« Ramsendell suchte in Matthews Augen nach einer Reaktion. »Habt Ihr jemals gedacht, dass Ihr eine Königin kennenlernen könntet? Die Königin der Verdammten, sozusagen?«
»Unser Problem ist«, sagte Hulzen, »dass wir herausfinden möchten, wer sie ist. Ihren wahren Namen und wo sie herkommt. Was ihre Vergangenheit war und … warum sie sich in ihrem jetzigen Zustand befindet.«
»Und was für ein Zustand ist das?« Greathouse bekam fast Zuckungen, während er auf die Antwort wartete.
»In sich eingeschlossen«, gab Ramsendell zurück.
Schweigen breitete sich aus. Rauch kräuselte sich der Decke entgegen und hinten im anderen Zimmer polierte die Frau weiter die glänzenden Glasfläschchen.
»Ich denke, wir sollten sie kennenlernen«, sagte Matthew.
»Ja.« Ramsendell rückte seinen Stuhl nach hinten und stand auf. »Ich werde Euch vorstellen.«
Zwei
Sowohl Matthew als auch Greathouse waren überrascht, als die beiden Ärzte sie vom Arbeitszimmer nicht zu dem Steingebäude führten. Stattdessen machten sie sich auf einem Pfad am Hospital entlang auf den Weg zu dem Haus, das am Rande des Gartens stand.
Es wurde immer dunkler. Wie in New York waren auch hier in regelmäßigen Abständen Pfosten mit Laternen aufgestellt und ein graugekleideter Mann mit Glatze steckte gerade die Kerzen an. »Guten Abend, Sirs«, sagte der Mann fröhlich, als sie an ihm vorbeigingen.
»Guten Abend, Charles«, gab Dr. Ramsendell zurück.
»Das war auch ein Patient?«, fragte Greathouse, als sie sich ein Stück von dem Mann entfernt hatten. Ramsendell nickte, und Greathouse sagte: »Nennt mich dumm, aber ich verstehe nicht ganz, warum Ihr die Verrückten herumlaufen lasst, wenn sie doch hinter Schloss und Riegel sitzen sollten.«
»Wie gesagt, wir verwenden aufgeklärte Methoden – im Gegensatz zu den Londoner Tollhäusern, wobei die ehrlich gesagt so überfüllt sind, dass den Ärzten kaum eine andere Wahl bleibt, als alle Patienten zusammen einzuschließen. Ich gebe zu, dass wir mit den besonderen Privilegien und Verantwortungen, die wir manchen Patienten geben, ein gewisses Risiko eingehen. Aber das geschieht nicht, bevor wir sie einer gründlichen Einschätzung unterzogen haben.«
»Versuchen nicht welche von ihnen wegzulaufen, wenn sie die Gelegenheit haben?«
»Wir sind sehr wählerisch, was das Zugeständnis von Freiheiten angeht«, sagte Hulzen, der eine Rauchfahne hinter sich herzog. »Es stimmt schon, vor sieben Jahren sind zwei Patienten weggelaufen. Das war unser erstes Jahr. Aber insgesamt freuen sich die Patienten, denen wir Arbeiten zuteilen. Und wir überzeugen uns natürlich zuerst davon, dass ihr Verstand sicher genug arbeitet, um die Konsequenzen unvorsichtiger Handlungen zu begreifen.«
»Die da wären?«, hakte Greathouse nach. »Werden sie ausgepeitscht, bis der Rücken blutet?«
»Ganz und gar nicht!« Die Antwort wurde etwas hitzig gegeben und der Pfeifenrauch trieb Greathouse fast ins Gesicht. »Uns sind solche primitiven Vorgehensweisen zuwider. Die drastischste Strafe hier ist, allein in einem Zimmer eingeschlossen zu werden.«
»Vielleicht interessiert es Euch zu hören«, fügte Ramsendell hinzu, während sie immer noch an der Mauer des Hospitals entlanggingen, »dass Charles und zwei andere Patienten als Nachtwächter arbeiten. Natürlich haben wir tagsüber zwei Männer aus Westerwicke als Wachtmänner, die dafür auch bezahlt werden.«
»Dr. Ramsendell!«, rief jemand. Es war eine heisere Stimme, aber mit angenehm seidigem Klang. »Dr. Ramsendell, dürfte ich Euch kurz sprechen?«
Die Stimme eines Verkäufers, dachte Matthew.
Ramsendell wirkte sofort verspannt. Seine Schritte wurden langsamer und fast wäre Matthew mit ihm zusammengestoßen.
»Dr. Ramsendell, mögt Ihr einem kranken, leidenden Mann nicht ein wenig christliche Nächstenliebe schenken?«
Matthew sah ein Gesicht durch die Fenstergitter des Hospitals spähen. Die Augen fanden seinen Blick und hielten ihn mit fast unwiderstehlicher Kraft fest, so stark, dass Matthew merkte, wie er unwillkürlich stehen blieb.
»Oh!«, sagte der Mann. Er grinste. »Zum Gruße, junger Dandy.«
»Kommt, Mr. Corbett«, drängte Ramsendell ihn.
»Ach, Mr. Corbett also?« Das Grinsen wurde breiter und entblößte sehr große Zähne. »Dr. Ramsendell ist ein sehr feiner Mann und ein wunderbarer Arzt, Mr. Corbett. Wenn er sagt, dass Ihr hierbleiben müsst, solltet Ihr glauben, dass es nur zu Eurem Besten und dem Besten der Gesellschaft ist. Aber hütet Euch vor seinem Zorn, denn ein kleiner Ausrutscher kann zur Folge haben, dass Ihr ganz allein