Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von Buchner
keine Bergschuhe.
Dann hatten sie es geschafft. Müde und erschöpft lehnte sich Anna gegen die Außenwand der Berghütte und schloß die Augen. Sie hörte, wie Antonius rund herum die Holzläden aufmachte und fest verriegelte, daß der Wind sie nicht zuschlagen konnte. Dann schloß er die Tür auf.
»Kannst reinkommen!«
Anna blieb im Türrahmen stehen und schaute sich um. Vor ihr lag ein großer Raum. Die Wände waren mit Holz verkleidet. Entlang der Außenwand verlief innen eine breite Sitzbank. Weiter hinten war eine Art Tresen, dahinter gab es einen Durchgang, wohl zu einem Raum, der eine Art Küche war. Der Blickfang in dem Raum war aber der große offene Kamin. Daneben waren große Holzscheite und Anmachholz aufgestapelt. Vor dem Kamin standen drei Kisten. Sonst war der Raum fast leer, bis auf einen zerbrochenen Tisch und Stühle. Hinten in der Ecke führte eine Holztreppe nach oben. Überall an den Wänden gab es schmiedeeiserne Haken, die sehr stabil aussahen. An zwei Haken hing Antonius die Rücksäcke auf.
»Und was sagst du?« fragte er knapp und direkt, so wie es seine Art war.
»Das Ding liegt nach meiner Meinung am Ende der Welt. Ich hatte noch nie eine Hütte gesehen. Ich habe sie mir viel kleiner vorgestellt, viel kleiner.«
Antonius zündete Holz im Kamin an. Bald verbreitete sich eine angenehme Wärme. Er wischte die Kisten mit der Hand ab. Auf die mittlere legte er das Brot, den Schinken, den Käse und sein Schweizer Taschenmesser.
»Nimm Platz! Gleich gibt es eine zünftige Brotzeit. Du hast sie dir redlich verdient. Bist tapfer gewesen. Hast schön mitgehalten.«
»Was hätte ich machen sollen?«
Antonius lachte herzlich.
»Dann kann ich dir Geschichten erzählen. Ich führe oft Touristen durch die Berge, so ein bis zweimal in der Woche, gelegentlich auch öfter. Das sind meist Gäste, die daheim in unserem Gasthaus Quartier haben. Die fangen dann bald an, ganz schön zu jammern. Also wirklich, da könnte ich dir Geschichten erzählen. Es gibt Leute, die können ihre Kräfte nicht einschätzen und überschätzen sich. So eine Bergwanderung ist kein Spaziergang durch einen Stadtpark.«
»Nein, eine Bergwanderung ist wirklich kein Spaziergang, das kann ich dir bestätigen. Aber die Berge hier oben entschädigen doch jeden für die Mühsal. Ich bin froh, daß ich mich entschlossen habe, mit dir da heraufzugehen.«
Antonius lächelte glücklich.
»Ich geh jetzt und hole Wasser am Bach.«
»Wo ist hier ein Bach? Ich habe keinen gesehen.«
»Weiter oben, so in dreihundert Meter Entfernung. Es gibt eine Sperre. Wenn man sie herunterdrückte, dann floß früher das Wasser hinter der Hütte vorbei. Dort gibt es ein kleines Mühlrad. Das machte dann Strom für die Lampen. Ich weiß allerdings nicht, ob die Technik heute noch funktioniert.«
»Da kannst du auch mal Sues Mann fragen, der ist Ingenieur. Überhaupt sollten wir Sue das zeigen.«
»Sue ist nicht so wichtig. Ich wollte es erst mal dir zeigen.«
Antonius ging hinaus. Währenddessen betrachtete Anna die dunklen Holzbalken an der Decke. Das ist alles sehr, sehr alt. Dann entdeckte sie, daß in der steinernen Einfassung über dem Kamin verschiedene Jahreszahlen eingemeißelt waren. Sie stand auf und besah sich diese genauer.
Antonius kam mit dem Wasser zurück. Er stellte den Krug ab und trat neben Anna.
»Der Platz für die Hütte geht viele Jahrhunderte zurück, vielleicht bis in die Römerzeit. Die Menschen, die in den Süden oder in den Norden wollten, und wenig Gepäck hatten, gingen hier über den Paß. Das war eine Abkürzung. Es gab sicherlich viele Pilger, die auf dem Weg nach Rom waren oder auf dem Heimweg. Die Berghütte war aber immer nur im Sommer besetzt, so von Ende April bis in den Septemer hinein. Im Winter war hier niemand. Es kam oft vor, daß sie von Lawinen beschädigt wurde. Einige Male war sie sogar vollständig zerstört worden. Sie wurde immer wieder aufgebaut und immer ein bißchen größer. Jedes Mal wurde dann in den Stein am Kamin eine neue Jahreszahl eingemeißelt.«
»Und warum ist jetzt niemand hier? Warum wird sie nicht mehr benutzt?«
»Der letzte Hüttenwirt war zu alt geworden. Und einen neuen hat die Gemeinde nicht gefunden. Alle, die sich die Hütte angesehen hatten, meinten sehr schön, aber da gibt es keine Straße. Weißt, Anna, heute wollen viele Touristen auf den Berg fahren. Viele denken, man braucht Luxus, um die Wanderer zu bewirten. Ich möchte das ganz anders machen.«
»Und wie?«
Antonius hatte Brot geschnitten und reichte Anna ein Stück, dazu eine Scheibe Schinken und Käse.
»Ich würde alles so lassen, wie es ist, wie es immer war. Aus Ehrfurcht vor der Tradition, vor der jahrhundertlangen Vergangenheit. Ich will keine Straße. Und wenn die Anlage mit dem Strom nicht mehr funktioniert, dann nehme ich Lampen mit Öl und Spiritus. Hier in der großen Stube gibt der Kamin auch viel Licht. Wenn die Wanderer kommen, sind sie müde. Sie wollen ein einfaches Mahl. Dann legen sie sich schlafen.«
»Oben auf den Hüttenboden!«
»Genau! Woher weißt du das?«
»Sue hat einen Hüttenboden eingerichtet, in ihrem Haus in Frankfurt.«
»Deine Freundin scheint ja eine echte Bergverrückte zu sein!«
»Ja, das ist sie. Und ich bin froh darüber. Wäre sie es nicht, dann wäre ich jetzt nicht hier.«
»Stimmt! Willst den Hüttenboden sehen?«
»Gern.«
»Gut, dann laß mich aber vorgehen! Oben ist es dunkel. Ich mache erst Licht.«
Anna stieg hinter Antonius nach oben. Oben an der Treppe stand eine Sturmlaterne. Er zündete sie an.
»Das kommt mir ja noch viel größer als unten vor.«
»Das ist es auch. Komm, ich zeige dir, warum das so ist.«
Antonius löschte sorgfältig die Lampe und stieg vor Anna die Treppe hinunter. Unten wartete er auf sie und hob sie einfach die letzten steilen Stufen herab. Er nahm sie bei der Hand und führte sie durch den Durchgang hinter dem Tresen. Von dort aus kam man in ein kleines Zimmer mit zwei Fenstern. Dahinter lagen dann noch drei kleine Kammern mit jeweils einem Fenster.
»Hier hatte der alte Hüttenwirt gewohnt mit seiner Familie, im Sommer. Später dann lebte er nur noch mit seiner Frau hier. Dann ist sie gestorben, und er hat es alleine nicht mehr machen wollen. Ja, das war vor zehn oder fünfzehn Jahren.«
Antonius biß ins Brot. Er kaute langsam und genußvoll. Dann erzählte er weiter.
»Der alte Hüttenwirt, den kenn ich gut. Das ist der Alois. Aber alle sagen Hüttenwirt zu ihm. Jetzt ist er schon fast neunzig Jahre. Er lebt unten im Dorf. Er ist immer noch sehr rüstig. Ich mag den alten Mann gut leiden. Schon als junger Bub wanderte ich oft hier herauf und habe ihn besucht. Ich brachte ihm die Post und erledigte auch Besorgungen für ihn. Er erzählte mir dafür schöne Geschichten über die Natur und die Berge. Ich habe viel von ihm gelernt.«
Antonius legte noch ein dickes Scheit Holz ins Feuer.
»Er hatte zwei Söhne. Keiner wollte in seine Fußstapfen treten.«
»Warum?«
»Es war ihnen zu mühsam, vielleicht? Sie gehören auch zu denjenigen, die dafür sind, daß eine Straße heraufgebaut wird. Darüber ist es fast zum Bruch gekommen zwischen dem Alten und seinen Buben.«
»Und du bist auch gegen eine Straße?«
»Ja! Ich bin keiner von den Ökoheinis, das darfst du nicht denken. Aber so wie ich die Hütte bewirtschaften will, da braucht man keine Straße. Es soll wirklich eine bewirtschaftete Berghütte sein, nur für Wanderer. Eine Berghütte im alten Stil. Die Sachen muß man halt raufschleppen. Milch, Käse, Eier kann man beim Wenzel und der Hilda holen.«
»Ich verstehe, und