Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge
Glück gedacht hätte, dann wäre sie nicht krank geworden. Ganz bestimmt nicht…«
Matthias mochte mit Engelszungen auf sie einreden, mochte die stichhaltigsten Argumente anführen – Nina beharrte auf ihrer Meinung. Er stand ihr im Flur des Krankenhauses gegenüber. Hinter einer der weißen Türen lag Amelie in ihrem Krankenbett, mit fieberroten Wangen und jagendem Puls. Zwei der Ärzte, die Nachtdienst hatten, bemühten sich um sie.
»Sie hat einen fieberhaften Infekt. Hast du dem Arzt nicht selber gesagt, daß in ihrem Kindergarten eine ansteckende Krankheit ausgebrochen ist? Daß der Kindergarten deswegen sogar geschlossen wurde?«
»Natürlich stimmt das. Aber hast du denn noch nie gehört, daß Krankheiten durch seelische Erschütterungen erst zum Ausbruch kommen oder sich verschlimmern?« gab sie zurück. Er runzelte verständnislos die Stirn.
»Seelische Erschütterungen?« fragte er zurück. »Und welche seelische Erschütterung, bitte sehr, sollte Amelies Krankheit ausgelöst haben?«
Sie kämpfte mit den Tränen.
»Daß du – daß ich – daß wir – uns geküßt haben«, brachte sie stockend heraus. »Geküßt und…«
Sie verstummte und sah zu Boden. Am liebsten hätte er – wenn die Lage nicht so ernst, so bitter-ernst gewesen wäre – laut aufgelacht.
»Geküßt und…«, wiederholte er. Er legte die Hände auf ihre Schultern und schüttelte sie leicht, als wollte er sie zur Besinnung bringen. »Davon wird man nicht krank. Ganz bestimmt nicht.«
»Amelie ist nur deshalb so schwer krank geworden, weil sie fürchten mußte…«, schluchzte sie und konnte vor Schluchzen einfach nicht mehr weitersprechen. Er legte den Arm um ihre Schultern.
»Was hätte sie denn fürchten sollen?« fragte er behutsam, obwohl er die Antwort wußte.
»… daß sie mich an dich verliert«, sagte sie tonlos.
»Einen solchen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört«, sagte er in bestimmten Tonfall.
»Du kennst Amelie nicht. Sie ist sehr sensibel«, wandte sie ein. »Und sie ist es nicht gewohnt, daß sie…«
Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, die eng war von ihren Tränen.
»Natürlich, sie ist es nicht gewohnt, daß sie ihre Mutter mit jemand anderem teilen muß«, vollendete er ihren Satz.
»Sie soll mich nicht mit jemand anderem teilen«, entgegnete sie und bemühte sich, ihrer Stimme, obwohl sie ein Zittern nicht unterdrücken konnte, einen festen Klang zu geben. »Nein. Das soll sie nicht. Das werde ich ihr ersparen. Ja, das werde ich. Sie soll mich in Zukunft mit keinem anderen Menschen teilen.«
Er sah sie an, und erst allmählich ging ihm die Bedeutung ihrer Worte auf. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht.
»Wie meinst du das? Heißt das, daß du mich wegschickst?« fragte er ahnungsvoll. Sie nickte stumm.
»Heißt das, daß du – mich nicht mehr – haben willst?« fragte er stockend. Sie gab keine Antwort, ihr Gesicht war wie erloschen.
»Das kann dein Ernst nicht sein, Nina!«
Er schrie es fast. Immer noch lagen seine Hände auf ihren Schultern, und diesmal schüttelte er sie heftig. Sie machte sich frei von ihm, streifte seine Hände ab wie ein lästiges Insekt. Mit an beiden Seiten herabhängenden Armen stand er da.
»Das kann nicht dein Ernst sein, Nina!« wiederholte er. »Wir lieben uns! Das kannst du mir – das kannst du uns nicht antun!«
»Doch«, sagte sie. Sie sah ihn aus tränenumflorten Augen an. »Ich bitte dich, geh, Matthias. Bitte geh – und komm nie wieder.«
Wie erstarrt stand er da und schaute sie nur an, dieses bleiche, von Kummer und Sorge zerquälte Gesicht mit den verweinten Augen, diese zitternden Lippen. Wie gerne hätte er seine Hände beruhigend, tröstend um ihr Gesicht gelegt, hätte die Tränen von ihren Wimpern geküßt, die zitternden Lippen mit seinen Lippen gestreichelt.
»Nina«, sagte er weich. »Das ist noch nicht dein letztes Wort…«
Sie schloß die Augen vor unendlicher Qual. Wie gerne hätte sie sich in seine Arme geflüchtet, hätte Trost und Zuflucht bei ihm gesucht, ihren Kopf an seine Schulter gebettet, sich an seiner Brust ausgeweint, sich von ihm in den Armen wiegen lassen wie ein Kind, das sich weh getan hat. Aber – da war Amelie. Ihr kleines Mädchen war krank geworden, weil es nicht verkraften konnte, daß seine Mutter Matthias liebte.
»Mein Kind geht vor«, sagte sie tonlos. »Bitte, versteh doch…«
Er sah sie nur an, in seinem Gesicht arbeitete es.
»Ich verstehe«, sagte er nur. Dann wandte er sich ab und ging langsam, mühevoll fast den langen, nur durch die nächtliche Notbeleuchtung erhellten Krankenhausflur entlang. Sie sah ihm nach, bis er durch die Schwingtür mit den Milchglasscheiben am anderen Ende des Ganges verschwunden war. Erst dann kam Leben in Ninas erstarrte Gestalt.
»Matthias!« schrie sie auf, aber da hörte er sie schon nicht mehr.
*
In den Tagen und Wochen nach der Party bei Helmbrecht stürzte Ulf sich noch mehr als sonst in seine Arbeit. Er hielt seine Vorlesungen, für die er sich entweder in seinem Arbeitszimmer in der Klinik oder an der Universität vorbereitete. Seine verschiedenen Posten in der Arzneimittelindustrie hielten ihn beschäftigt, er ließ keine Tagung und kein Seminar ausfallen. Aber die meiste Zeit verbrachte er auf den Krankenstationen der Klinik, er kümmerte sich persönlich um schwierige Fälle, war überall und nirgends zu finden – und am allerwenigsten zu Hause in seiner schönen Villa. Eine innere Unruhe war in ihm, und Yvonne hatte das Gefühl, daß er ihr aus dem Weg ging. Er vermied es, mit ihr zusammen, mit ihr alleine zu sein. Yvonne hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Wieviel ahnte, wieviel wußte er?
Sie war sich nicht sicher, ob nicht Ulf doch etwas von ihrer Affäre mit Benno Helmbrecht ahnte. Und – war diese Affäre es wert, ihre Ehe aufs Spiel zu setzen?
Sie hatte sich ein paarmal mit Benno in seinem Bootshaus getroffen. Es lag einsam an einem See außerhalb der Stadt. Das Grundstück war ein idyllisches Fleckchen Erde, mit einem schönen Baumbestand und war umstanden von einer hohen Hecke. Schilf wuchs am Ufer, und es gab einen kleinen Strand, der sanft ins flache Wasser führte. An einem hölzernen Bootssteg lag ein Ruderboot vertäut und schaukelte leise in den sanften Wellen.
Da Benno Helmbrecht sich nicht besonders viel aus dem Wassersport, sei es nun Schwimmen, Rudern oder Segeln machte, benutzte er das Haus nur selten – und wenn, dann eigentlich nur, um sich dort mit seinen diversen Freundinnen zu treffen. Das romantische Bootshaus am See war für ihn sozusagen sein Liebesnest.
Es war hübsch eingerichtet – im Wohnraum mit bequemen Sofas und Sesseln, mit Teppichen und weichen Kissen, einem offenen Kamin und Lampen, die ein gedämpftes, intimes Licht verbreiteten. Den kleinen Schlafraum füllte ein breites Bett, über das eine Felldecke gebreitet war, fast vollständig aus.
»Es ist nett hier, so kuschelig und romantisch«, meinte Yvonne und fügte mit einem spöttischen Lächeln hinzu: »Obwohl es nicht ganz mein Stil ist, mein Lieber.«
Er lachte und holte eine Flasche Champagner aus dem Kühlschrank. Er achtete persönlich darauf, daß der Kühslchrank immer wohlbestückt mit Kaviar und Champagner war.
»Mein Stil ist es auch nicht, liebste Yvonne, aber manche Frauen mögen das«, entgegnete er. Er legte, bevor er die Flasche entkorkte, eine CD mit schmeichelnder Musik auf, und sanfte Klänge rieselten durch den Raum. »Es ist, wie du schon sagtest, kuschelig und romantisch. Und dann noch ein wenig leise Musik, ein Gläschen Champagner und…«
»… und sie schmelzen dahin«, sagte Yvonne immer noch spöttisch und nahm den Champagnerkelch aus Bennos Hand. Sie trank das Glas auf einen Zug aus und warf ihm unter halbgeöffneten Lidern einen sinnlichen Blick zu. Dann ließ sie sich auf die Couch nieder und schlug die langen Beine übereinander. Er kam