Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge

Mami Staffel 6 – Familienroman - Claudia Torwegge


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      »Aber Mami, das weiß er doch sowieso! Das steht doch ganz groß auf meiner Karte und an meinem Bett!« entgegnete die Kleine. Nina nickte betreten. Daran hatte

      sie in ihrer Erregung nicht gedacht.

      »Natürlich«, sagte sie, und ihre Lippen waren steif. »Natürlich, daran habe ich nicht gedacht. Dein Name steht ja groß und breit auf der Karte und am Bett…«

      Ulf war also Arzt an dieser Klinik. Ulf behandelte Amelie und besuchte sie sogar. Der Name Mertens mußte eine Erinnerung in ihm geweckt haben, und wenn er die Kleine ansah, dann hatte er die Ähnlichkeit mit ihr, mit Nina, entdecken können – falls er sich noch an sie erinnerte.

      »Er war ganz, ganz lieb zu mir«, sagte Amelie.

      »Das glaub ich dir«, war Ninas geistesabwesende Antwort, denn sie war tief in Gedanken. Sie sah Ulf förmlich vor sich, wie er in seinem weißen Arztkittel bei Amelie am Bett saß und das Kind geschickt ausfragte. Die Namen, die Ähnlichkeit, das Geburtsdatum – er hatte nur zwei und zwei zusammenzählen müssen, um festzustellen, daß Amelie höchstwahrscheinlich seine Tochter war. Denn wie sonst könnte sie sich diesen Kuß erklären, von dem Amelie erzählt hatte…

      »… und er hat nach dir gefragt«, sagte die Kleine noch. Nina fühlte, wie ihr Herz schnell und unregelmäßig schlug. Am liebsten hätte sie ihr Kind genommen und wäre mit ihm aus dem Krankenhaus geflüchtet – weg von hier, nach Hause, weg, weit weg von Ulf…

      Wie gehetzt lief sie zum Schrank, in dem Amelies Kleider lagen, und riß ihn auf. In diesem Moment ging die Tür auf, und die Oberschwester kam herein. Mißbilligend sah sie erst auf Amelies kleine Gestalt in ihrem Nachthemdchen, dann auf ihre nackten Füße, und dann erst auf Nina.

      »Ihr Kind war sehr, sehr krank, Frau Mertens«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wie können Sie es nur so herumlaufen lassen – im Nachthemd und mit nackten Füßen!«

      Nina stotterte eine Entschuldigung, und die Oberschwester wandte sich, ohne Nina weiter zu beachten, an Amelie.

      »Marsch, zurück ins Bett und gut zugedeckt«, sagte sie, und das Kind gehorchte sofort und ohne Widerspruch. Erst dann forderte die Schwester in unmißverständlichem Befehlston Nina auf, sich zu verabschieden. Nina wagte nicht zu widersprechen. Sie umarmte ihre Kleine, versprach, am nächsten Tag wiederzukommen, flüsterte ihr ein paar liebevolle Koseworte ins Ohr und ging hinaus.

      *

      Wie in einem Glücksrausch fuhr Ulf an diesem Abend nach Hause. Er fühlte sich innerlich wie befreit, und immer wieder sagte er sich voller Freude:

      »Ich habe ein Kind, ein eigenes Kind! Ich habe eine Tochter…«

      Er bog in die stille Seitenstraße ein, in der sein und Yvonnes schönes Haus lag. Das schmiedeeiserne Tor, das den Zugang zu ihrer Villa verschloß, öffnete sich wie von selbst durch einen unsichtbaren Sensor, den er aus dem Auto heraus betätigte. Er machte sich nicht die Mühe, den Wagen in die Garage zu fahren, sondern stürmte die Marmortreppe hinauf und schloß die Eingangstür auf.

      »Yvonne! Yvonne! Wo bist du?« rief er, und seine Stimme hallte von den hohen Wänden der großzügigen Halle wider. Verwundert beugte Yvonne sich über das Treppengeländer aus kunstvoll verziertem Messing. Sie sah wie immer fabelhaft aus in ihrem elegant geschnittenen Kostüm.

      »Warum bist du denn so aufgeregt, Ulf?« fragte sie leicht spöttisch, denn sie war einen derartigen Überschwang bei ihm nicht gewöhnt. »Ist etwas Besonderes geschehen? Bist du in einen Aufsichtsrat gewählt worden oder hast du eine bedeutende Entdeckung gemacht?«

      »Ja, ich habe eine bedeutende Entdeckung gemacht«, sagte er, und aus seinen Augen strahlte förmlich das Glück.

      »Na, da bin ich aber gespannt«, sagte sie, als sie langsam die Treppe zu ihm herunterkam. Er ging ihr entgegen und breitete beide Arme aus.

      »Komm, Yvonne, ich muß dir etwas sagen«, begann er und umfing sie. Er legte seine Wange an ihre und flüsterte:

      »Yvonne, ich – wir – wir haben – wir bekommen ein Kind…«

      Sie stieß ihn von sich.

      »Ich glaube, du bist verrückt, Ulf«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte mit einem Mal vor unterdrückten Tränen. Wie konnte er nur so grausam und herzlos sein und Witze darüber machen, daß sie keine Kinder bekommen konnte? »Wie kannst du nur so etwas sagen!«

      »Aber Liebling, nun hör mir doch erst einmal zu!« sagte er und nahm sie wieder in die Arme. »Ich habe heute herausgefunden, daß ich – ohne es zu wissen, ohne es auch nur zu ahnen – Vater bin. Daß ich ein Kind habe, ein niedliches kleines Mädchen!«

      Ulfs Eröffnung traf sie wie ein Peitschenhieb. Und noch mehr schmerzte sie dieser Ausdruck von Glück und strahlender Seligkeit in seinen Augen – ein Ausdruck, den sie nie vermocht hatte, in seine Augen zu zaubern.

      »So, du hast also angeblich ein Kind. Und – was hat das mit mir zu tun?« fragte sie steif vor Abwehr.

      »Mit dir, mit uns, Yvonne!« rief er. »Wir haben uns doch sehnlichst ein Kind gewünscht, und leider ist uns beiden dieses Glück nicht vergönnt. Und nun erfahre ich durch Zufall, daß es ein Kind gibt, das mich zum Vater hat. Ist das nicht wunderbar?«

      »Also, ich finde nichts Wunderbares daran«, sagte sie abweisend und löste sich gekränkt aus seinen Armen.

      »Wir werden dieses Kind zu uns nehmen und ihm alles bieten, was sein Herz begehrt. Es wird mit uns leben, und wir werden alles für das kleine Mädchen tun. Es wird eine hervorragende Erziehung bekommen, später eine fabelhafte Ausbildung. Das schönste Zimmer im Haus wird es bekommen, du wirst ihm Puppen, Spielsachen und entzückende Kleider kaufen, es wird einen Roller haben und Fahrräder und natürlich werden wir ein Kindermädchen anstellen«, sagte er. »Ich habe mir alles schon ausgedacht.«

      »Und die Mutter der Kleinen, was sagt sie zu deinen Plänen?« fragte sie sarkastisch. »Es gibt doch eine Mutter, nicht wahr?«

      Nina, durchfuhr es Ulf mit eisigem Schrecken. An Nina, Amelies Mutter, hatte er in seinem Überschwang überhaupt noch nicht gedacht.

      »Natürlich gibt es eine Mutter«, sagte er barsch. »Ich habe mich noch nicht mit ihr verständigt. Doch ich denke, das kriegen wir schon geregelt. Sie wird uns bestimmt keine Schwierigkeiten machen. Wir werden ihr eine hohe Abfindung anbieten.«

      »Eine hohe Abfindung anbieten?« wiederholte Yvonne mit einem ironischen Auflachen. »Und du glaubst, sie läßt sich darauf ein?«

      »Warum nicht?« entgegnete er schroff.

      »Nun, so sicher wäre ich da nicht, mein Lieber. Glaubst du denn, daß eine Mutter sich so ohne weiteres von ihrem Kind trennt?« antwortete sie. Ihre Stimme war kalt, eiskalt. »Übrigens – du sagst immer ›wir‹. Wieso bist du sicher, daß ich bei deinen unausgegorenen Plänen mitmache? Daß ich dieses Kind überhaupt haben möchte, es akzeptiere?«

      Ulf erstarrte, er war mit einem Mal aus all seinen wunderschönen Träumen gerissen. Er sah Yvonne nur an, wie sie vor ihm stand, schön, elegant und eiskalt mit diesem spöttischen, abfälligen Lächeln auf den Lippen. Haß loderte in ihm auf, wilder, unbezähmbarer Haß – und er hätte am liebsten die Hände um ihre Kehle gelegt und zugedrückt, so lange zugedrückt, bis – bis…

      Er taumelte. Er schloß die Augen und wischte sich mit der Handfläche über die Stirn, als wollte er ein böses Spinnweb wegwischen. Was war nur in ihn gefahren?

      »Es ist mein Kind – und ich will es haben«, sagte er nach einer – wie es ihm schien – unendlichen Spanne Zeit. Seine Stimme klang heiser, und er sah Yvonne erbittert an.

      »Du sagst es: es ist dein Kind«, sagte sie kühl. »Was habe ich damit zu schaffen?«

      Mit diesen Worten wandte sie sich ab und wollte die breite Treppe hinaufgehen, nach oben in ihre Zimmer, aber er packte sie am Handgelenk und hielt sie mit einem eisernen Ruck fest.

      »Was du damit zu schaffen hast?«


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