Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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ist so gut wie noch unbenutzt geblieben. Wie vordem drängen sich die Grabhügel nach dem Eingangstor zu zusammen. Der Pförtner, der zugleich auch Totengräber und Kirchendiener ist und somit aus den Leichen der Gemeinde eine doppelte Einnahme zieht, hat sich das unbenutzte Land angeeignet, um darauf Kartoffeln zu erbauen. Aber von Jahr zu Jahr vermindert sich sein bißchen Boden, und es brauchte bloß wieder einmal eine Epidemie zu kommen, so wüßte er nicht, ob er sich über die vielen Toten freuen oder über ihre neuen Gräber ärgern solle.

      »Lestiboudois, Sie leben von den Toten!« sagte eines Tages der Pfarrer zu ihm.

      Diese gruselige Bemerkung stimmte den Küster nachdenklich. Eine Zeitlang enthielt er sich der Landwirtschaft. Dann aber und bis auf den heutigen Tag zog er seine Erdäpfel weiter. Ja, er versichert sogar mit Nachdruck, sie wüchsen ganz von selber.

      Seit den Ereignissen, die hier erzählt werden, hat sich in Yonville wirklich nichts verändert. Noch immer dreht sich auf der Kirchturmspitze die weiß-rot-blaue Fahne aus Blech, noch immer flattern vor dem Laden des Modewarenhändlers zwei Kattunwimpel im Winde, noch immer schwimmen im Schaufenster der Apotheke häßliche Präparate in Glasbüchsen voll trübgewordnem Alkohol, und ganz wie einst zeigt der alte; von Wind und Wetter ziemlich entgoldete Löwe über dem Tore des Gasthofes den Vorübergehenden seine Pudelmähne.

      An dem Abend, da das Ehepaar Bovary in Yonville eintreffen sollte, war die Löwenwirtin, die Witwe Franz, derartig beschäftigt, daß ihr beim Hantieren mit ihren Töpfen der Schweiß von der Stirne perlte. Am folgenden Tag war nämlich Markttag im Städtchen. Da mußte Fleisch zurechtgehackt, Geflügel ausgenommen, Bouillon gekocht und Kaffee gebrannt werden. Daneben die regelmäßigen Tischteilnehmer und heute obendrein der neue Doktor nebst Frau Gemahlin und Dienstmädchen! Am Billard lachten Gäste, und in der kleinen Gaststube riefen drei Müllerburschen nach Schnaps. Im Herde prasselte und schmorte es, und auf dem langen Küchentische paradierten neben einer rohen Hammelkeule Stöße von Tellern, die nach dem Takte des Wiegemessers tanzten, mit dem die Köchin Spinat zerkleinerte. Vom Hofe aus ertönte das ängstliche Gegacker der Hühner, die von der Magd gejagt wurden, weil sie etlichen die Köpfe abschneiden wollte.

      Ein Herr in grünledernen Pantoffeln, eine goldne Troddel an seinem schwarzsamtnen Käppchen, wärmte sich am Kamin des Gastzimmers den Rücken. Im Gesicht hatte er ein paar Blatternarben. Sein ganzes Wesen strahlte förmlich von Selbstzufriedenheit. Offenbar lebte er genau so gleichmütig dahin wie der Stieglitz, der oben an der Decke in seinem Weidenbauer herumhüpfte. Dieser Herr war der Apotheker.

      »Artemisia!« rief die Wirtin. »Leg noch ein bißchen Reisig ins Feuer! Fülle die Wasserflaschen! Schaff den Schnaps hinein! Und mach schnell! Ach, wenn ich nur wüßte, was ich den Herrschaften, die heute eintreffen, zum Nachtisch vorsetzen soll? Heiliger Bimbam! Die Leute von der Speditionsgesellschaft hören mit ihrem Geklapper auf dem Billard auch gar nicht auf! Und der Möbelwagen steht draußen immer noch mitten auf der Straße, gerade vor der Hofeinfahrt! Wenn die Post kommt, wird es eine Karambolage geben. Ruf mir mal Hippolyt! Er soll den Wagen beiseiteschieben…. Was ich sagen wollte, Herr Apotheker, diese Leute spielen schon den ganzen Vormittag. Jetzt sind sie bei der fünfzehnten Partie und beim achten Schoppen Apfelwein! Man wird mir noch ein Loch ins Tuch stoßen!«

      Sie war auf einen Augenblick, den Kochlöffel in der Hand, ins Gastzimmer gelaufen.

      »Das wär auch weiter kein Malheur!« meinte Homais. »Dann schaffen Sie gleich ein neues Billard an!«

      »Ein neues Billard!« jammerte die Witwe.

      »Nu freilich, Frau Franz! Das alte Ding da taugt nicht mehr viel! Ich habs Ihnen schon tausendmal gesagt. Es ist Ihr eigner Schaden! Und ein großer Schaden! Heutzutage verlangen passionierte Spieler große Bälle und schwere Queues. Mit solchen Bällchen spielt man nicht mehr. Die Zeiten ändern sich! Man muß modern sein! Sehen Sie sich mal bei Tellier im Café Français….«

      Die Wirtin wurde rot vor Ärger, aber der Apotheker fuhr fort:

      »Sie können sagen, was Sie wollen! Sein Billard ist handlicher als Ihrs. Und wenn es heißt, eine patriotische Poule zu entrieren, sagen wir: zum Besten der vertriebenen Polen oder für die Uberschwemmten von Lyon …«

      »Ach was!« unterbrach ihn die Löwenwirtin verächtlich. »Vor dem Bettelvolk hat unsereiner noch lange keine Angst! Lassen Sies nur gut sein, Herr Apotheker! Solange der Goldne Löwe bestehen wird, sitzen auch Gäste drin! Wir verhungern nicht! Aber Ihr geliebtes Café Français, das wird eines schönen Tages die Bude zumachen! Oder vielmehr der Gerichtsvollzieher! Ich soll mir ein andres Billard anschaffen? Wo meins so bequem ist zum Wäschefalten! Und wenn Jagdgäste da sind, können gleich sechse drauf übernachten! Nee, nee…. Wo bleibt nur eigentlich der langweilige Kerl, der Hivert!«

      »Sollen denn Ihre Tischgäste mit dem Essen warten, bis die Post gekommen ist?« fragte Homais ungeduldig.

      »Warten? Herr Binet ist ja noch nicht da! Der kommt Schlag sechs, einen wie alle Tage! So ein Muster von Pünktlichkeit gibts auf der ganzen Welt nicht wieder. Er hat seit urdenklichen Zeiten seinen Stammplatz in der kleinen Stube. Er ließe sich eher totschlagen, als daß er wo anders äße. Was Schlechtes darf man dem nicht vorsetzen. Und auf den Apfelwein versteht er sich aus dem ff. Er ist nicht wie Herr Leo, der heute um sieben und morgen um halb acht erscheint und alles ißt, was man ihm vorsetzt! Übrigens ein feiner junger Mann! Ich hab noch nie ein lautes Wort von ihm gehört.«

      »Da sehen Sie eben den Unterschied zwischen jemandem, der eine Kinderstube hinter sich hat, und einem ehemaligen Kürassier und jetzigen Steuereinnehmer!«

      Es schlug sechs. Binet trat ein.

      Er hatte einen blauen Rock an, der schlaff an seinem mageren Körper herunterhing. Unter dem Schirm seiner Ledermütze blickte ein Kahlkopf hervor, der um die Stirn eingedrückt von dem langjährigen Tragen des schweren Helms aussah. Er trug eine Weste aus schwarzem Stoff, einen Pelzkragen, graue Hosen und tadellos blankgewichste Schuhe, die vorn besonders ausgearbeitet waren, weil er dauernd an geschwollenen Zehen litt. Sein blonder Backenbart war peinlichst gestutzt und umrahmte ihm das lange bleiche Gesicht mit den kleinen Augen und der Adlernase wie eine Hecke den Garten. Er war ein Meister in jeglichem Kartenspiel und ein guter Jäger, hatte eine hübsche Handschrift und besaß zu Hause eine Drehbank, auf der er zu seinem Vergnügen Serviettenringe drechselte. Er hatte ihrer schon eine Unmenge, die er mit der Eifersucht eines Künstlers und dem Geiz des Spießers hütete.

      Binet schritt nach der kleinen Stube zu. Erst mußten dort aber die drei Müllerburschen hinauskomplimentiert werden. Während man drin für ihn deckte, blieb er in der großen Gaststube stumm in der Nähe des Ofens stehen, dann ging er hinein, klinkte die Türe ein und nahm seine Mütze ab. Das hatte alles so seine Ordnung.

      »An übermäßiger Höflichkeit wird der mal nicht sterben!« bemerkte der Apotheker, als er wieder mit der Wirtin allein war.

      »Er redet nie viel«, entgegnete diese. »Vergangene Woche waren zwei Tuchreisende hier, lustige Kerle, die uns den ganzen Abend Schnurren erzählt haben. Ich wäre beinahe umgekommen vor Lachen. Der aber hat wie ein Stockfisch dabeigesessen und keine Miene verzogen.«

      »Ja, ja,« sagte der Apotheker, »der Mensch hat keine Phantasie, keinen Witz, keinen geselligen Sinn!«

      »Er soll aber wohlhabend sein«, warf die Wirtin ein.

      »Wohlhabend?« echote Homais. »Der und wohlhabend!« Und gelassen fügte er hinzu: »Gott ja, so für seine Verhältnisse. Das ist schon möglich!«

      Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: »Hm! Wenn ein Kaufmann, der ein großes Geschäft hat, oder ein Rechtsanwalt, ein Arzt, ein Apotheker derartig in seinem Beruf aufgeht, daß er zum Griesgram oder Sonderling wird, so verstehe ich das. Davor gibt es Beispiele und Exempel. Solche Leute haben immerhin Gedanken im Kopfe. Wie oft ists mir nicht selber passiert, daß ich meinen Federhalter auf meinem Schreibtische gesucht habe, um ein Schildchen auszufüllen oder so was, – und weiß der Kuckuck, schließlich hatte ich ihn hinterm rechten Ohre stecken!«

      Frau Franz ging indessen an die Haustür, um nachzusehen, ob die Post noch nicht angekommen sei. Sie war ganz aufgeregt. Da trat ein


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