Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
drollige Dinge, die ihm gerade in den Sinn kamen. Der Gedanke, Vater zu werden, war ihm etwas Köstliches. Jetzt fehlte ihm nichts mehr auf der Welt. Nun hatte er alles erlebt, was Menschen erleben können, und er durfte zufrieden und vergnügt sein.
In der ersten Zeit war Emma über sich selbst arg verwundert. Dann kam die Sehnsucht, von ihrem Zustande wieder befreit zu sein. Sie wollte wissen, wie es sein würde, wenn das Kind da war. Aber als sie kein Geld dazu hatte, eine Wiege mit rosa-seidnen Vorhängen und gestickte Kinderhäubchen zu kaufen, da überkam sie eine plötzliche Erbitterung; sie verlor die Lust, die Baby-Ausstattung selber sorglich auszuwählen, und überließ die Herstellung in Bausch und Bogen einer Näherin. So lernte sie die stillen Freuden dieser Vorbereitungen nicht kennen, die andre Mütter so zärtlich stimmen, und vielleicht war dies der Grund, daß ihre Mutterliebe von Anfang an gewisser Elemente entbehrte. Weil aber Karl bei allen Mahlzeiten immer wieder von dem Kinde sprach, begann auch Emma mehr daran zu denken.
Sie wünschte sich einen Sohn. Braun sollte er sein, und stark sollte er werden, und Georg müßte er heißen! Der Gedanke, einem männlichen Wesen das Leben zu schenken, kam ihr vor wie eine Entschädigung für alles das, was sich in ihrem eigenen Dasein nicht erfüllt hatte. Ein Mann ist doch wenigstens sein freier Herr. Ihm stehen alle Leidenschaften und alle Lande offen, er darf gegen alle Hindernisse anrennen und sich auch die allerfernsten Glückseligkeiten erobern. Ein Weib liegt an tausend Ketten. Tatenlos und doch genußfreudig, steht sie zwischen den Verführungen ihrer Sinnlichkeit und dem Zwang der Konvenienz. Wie den flatternden Schleier ihres Hutes ein festes Band hält, so gibt es für die Frau immer ein Verlangen, mit dem sie hinwegfliegen möchte, und immer irgendwelche herkömmliche Moral, die sie nicht losläßt.
An einem Sonntag kam das Kind zur Welt, früh gegen sechs Uhr, als die Sonne aufging.
»Es ist ein Mädchen!« verkündete Karl.
Emma fiel im Bett zurück und ward ohnmächtig. Schon stellten sich auch Frau Homais und die Löwenwirtin ein, um die Wöchnerin zu umarmen. Der Apotheker rief ihr diskret ein paar vorläufige Glückwünsche durch die Türspalte zu. Er wollte die neue Erdenbürgerin besichtigen und fand sie wohlgeraten.
Während der Genesung grübelte Emma nach, welchen Namen das Kind bekommen sollte. Zunächst dachte sie an einen italienisch klingenden Namen: an Amanda, Rosa, Joconda, Beatrice. Sehr gefielen ihr Ginevra oder Leocadia, noch mehr Isolde. Karl äußerte den Wunsch, die Kleine solle nach der Mutter getauft werden, aber davon wollte Emma nichts wissen. Man nahm alle Kalendernamen durch und bat jeden Besucher um einen Vorschlag.
»Herr Leo,« berichtete der Apotheker, »mit dem ich neulich darüber gesprochen habe, wundert sich darüber, daß Sie nicht den Namen Magdalena wählen. Der sei jetzt sehr in Mode.« Aber gegen die Patenschaft einer solchen Sünderin sträubte sich die alte Frau Bovary gewaltig. Homais für seine Person hegte eine Vorliebe für Namen, die an große Männer, berühmte Taten und hohe Werke erinnerten. Nach dieser Theorie habe er seine vier eigenen Sprößlinge getauft: Napoleon (der Ruhm!), Franklin (die Freiheit!), Irma (ein Zugeständnis an die Romantik!) und Athalia (zu Ehren des Meisterstücks des französischen Dramas!). Seine philosophische Überzeugung, sagte er, stehe seiner Bewunderung der Kunst nicht im Wege. Der Denker in ihm ersticke durchaus nicht den Gefühlsmenschen. Er verstünde sich darauf, das eine vom andern zu scheiden und sich vor fanatischer Einseitigkeit zu bewahren.
Zu guter Letzt fiel Emma ein, daß sie im Schloß Vaubyessard gehört hatte, wie eine junge Dame von der Marquise mit »Berta-Luise« angeredet worden war. Von diesem Augenblick an stand die Namenswahl fest. Da Vater Rouault zu kommen verhindert war, wurde Homais gebeten, Gevatter zu stehen. Er stiftete als Patengeschenk allerlei Gegenstände aus seinem Geschäft, als wie: sechs Schachteln Brusttee, eine Dose Kraftmehl, drei Büchsen Marmelade und sechs Päckchen Malzbonbons.
Am Taufabend gab es ein Festessen, zu dem auch der Pfarrer erschien. Man geriet in Stimmung. Beim Likör gab der Apotheker ein patriotisches Lied zum besten, worauf Leo Dúpuis eine Barkarole vortrug und die alte Frau Bovary (Patin des Kindes) eine Romanze aus der Napoleonischen Zeit sang. Der alte Herr Bovary bestand darauf, daß das Kind heruntergebracht wurde, und taufte die Kleine »Berta«, indem er ihr ein Glas Sekt von oben über den Kopf goß. Den Abbé Bournisien ärgerte diese Profanation einer kirchlichen Handlung, und als der alte Bovary ihm gar noch ein spöttisches Zitat vorhielt, wollte der Geistliche fortgehen. Aber die Damen baten ihn inständig zu bleiben, und auch der Apotheker legte sich ins Mittel. So gelang es, den Priester wieder zu beruhigen. Friedlich langte er von neuem nach seiner halbgeleerten Kaffeetasse.
Bovary senior blieb noch volle vier Wochen in Yonville und verblüffte die Yonviller durch das prächtige Stabsarztskäppi mit Silbertressen, das er vormittags trug, wenn er seine Pfeife auf dem Marktplatze schmauchte. Als gewohnheitsmäßiger starker Schnapstrinker schickte er das Dienstmädchen häufig in den Goldnen Löwen, um seine Feldflasche füllen zu lassen, was selbstverständlich auf Rechnung seines Sohnes erfolgte. Um seine Halstücher zu parfümieren, verbrauchte er den gesamten Vorrat an Kölnischem Wasser, den seine Schwiegertochter besaß.
Ihr selbst war seine Anwesenheit keineswegs unangenehm. Er war in der Welt herumgekommen. Er erzählte von Berlin, Wien, Straßburg, von seiner Soldatenzeit, seinen Liebschaften, den Festlichkeiten, die er dereinst mitgemacht hatte. Dann war er wieder ganz der alte Schwerenöter, und zuweilen, im Garten oder auf der Treppe, faßte er Emma um die Taille und rief aus: »Karl, nimm dich in acht!«
Die alte Frau Bovary sah dergleichen voller Angst um das Eheglück ihres Sohnes. Sie fürchtete, ihr Mann könne am Ende einen unsittlichen Einfluß auf die Gedankenwelt der jungen Frau ausüben, und so betrieb sie die Abreise. Vielleicht war ihre Besorgnis noch schlimmer. Dem alten Herrn war alles zuzutrauen.
Emma hatte das Kind zu der Frau eines Tischlers namens Rollet in die Pflege gegeben. Eines Tages empfand sie plötzlich Sehnsucht, das kleine Mädchen zu sehen. Unverzüglich machte sie sich auf den Weg zu diesen Leuten, deren Häuschen ganz am Ende des Ortes, zwischen der Landstraße und den Wiesen, in der Tiefe lag.
Es war Mittag. Die Fensterläden der Häuser waren alle geschlossen. Die sengende Sonne brütete über den Schieferdächern, deren Giebellinien richtige Funken sprühten. Ein schwüler Wind wehte. Emma fiel das Gehen schwer. Das spitzige Pflaster tat ihren Füßen weh. Sie ward sich unschlüssig, ob sie umkehren oder irgendwo eintreten und sich ausruhen sollte.
In diesem Augenblick trat Leo aus dem nächsten Hause heraus, eine Aktenmappe unter dem Arme. Er kam auf sie zu, begrüßte sie und stellte sich mit ihr in den Schatten der Leinwandmarkise vor dem Lheureurschen Modewarenladen.
Frau Bovary erzählte ihm, daß sie nach ihrem Kinde sehen wollte, aber müde zu werden beginne.
»Wenn …«, fing Leo an, wagte aber nicht weiterzusprechen.
»Haben Sie etwas vor?« fragte Emma. Auf die Verneinung des Adjunkten hin bat sie ihn, sie zu begleiten. (Bereits am Abend desselben Tages war dies stadtbekannt, und Frau Túvache, die Bürgermeistersgattin, erklärte in Gegenwart ihres Dienstmädchens, Frau Bovary habe sich kompromittiert.)
Um zu der Amme zu gelangen, mußten die beiden am Ende der Hauptstraße links abgehen und einen kleinen Fußweg einschlagen, der zwischen einzelnen kleinen Häusern und Gehöften in der Richtung auf den Gemeindefriedhof hinlief. Die Weiden, die den Pfad umsäumten, blühten, und es blühten die Veroniken, die wilden Rosen, die Glockenblumen und die Brombeersträucher. Durch Lücken in den Hecken erblickte man hie und da auf den Misthaufen der kleinen Gehöfte ein Schwein oder eine angebundne Kuh, die ihre Hörner an den Stämmen der Bäume wetzte.
Seite an Seite wandelten sie gemächlich weiter. Emma stützte sich auf Leos Arm, und er verkürzte seine Schritte nach den ihren. Vor ihnen her tanzte ein Mückenschwarm und erfüllte die warme Luft mit ganz leisem Summen.
Emma erkannte das Haus an einem alten Nußbaum wieder, der es umschattete. Es war niedrig und hatte braune Ziegel auf dem Dache. Aus der Luke des Oberbodens hing ein Kranz von Zwiebeln. Eine Dornenhecke umfriedigte ein viereckiges Gärtlein mit Salat, Lavendel und blühenden Schoten, die an Stangen gezogen waren. An der Hecke waren Reisigbunde aufgeschichtet. Ein trübes Wässerchen rann sich verzettelnd durch das Gras;